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BERICHT/068: Linke Buchtage Berlin - der belesene Blick nach vorne ... (SB)


Dieses Buch hat eigentlich kein Vorwort nötig. Um so mehr, als es sich nicht an uns wendet. Ich habe trotzdem eines geschrieben, um die Dialektik bis zu Ende zu führen: auch wir Europäer werden dekolonisiert. Das heißt, durch eine blutige Operation wird der Kolonialherr ausgerottet, der in jedem von uns steckt. Schauen wir uns selbst an, wenn wir den Mut dazu haben, und sehen wir, was mit uns geschieht.
Jean-Paul Sartre im Vorwort zu Frantz Fanon "Die Verdammten dieser Erde [1]


An linker Literatur herrscht im deutschsprachigen Raum kein Mangel. An links von der Sozialdemokratie positionierter und den herrschenden Verhältnissen offensiv auf den Leib rückender radikaler Bewegung schon eher. Die nach wie vor große Produktivität im Bereich linker Literatur ist auch der breiten Ausdifferenzierung der Linken in - im gröbsten Raster - eher identitätspolitische und eher klassenkämpferische Bewegungen und Theoriebildung geschuldet. Das ist kein Nachteil. Die Vielfalt der Probleme und Herausforderungen, mit denen sich der zum Marktsubjekt mutierte Mensch tagtäglich herumschlägt, bringt eben auch verschiedenste Überlegungen und Vorschläge zur Überwindung und Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung, von Herrschaft und Diskriminierung hervor. Problematisch kann es werden, wenn die jeweilige Doktrin absolut gesetzt und der anderen Position jegliche Existenzberechtigung abgesprochen wird. Wo linke Schnittmengen im gemeinsamen Widerstand gegen Nationalismus, Rassismus, Kapitalismus, Sexismus und Sozialchauvinismus zustandekommen, müssen keine Wahrheitsdebatten um die reine Lehre geführt werden, um die aus der Vielfalt hervortretende Kampfkraft kollektiven Handelns zur Anwendung zu bringen.


Banner 'Linke Buchtage' in der Einfahrt zum Mehringhof - Foto: © 2018 by Schattenblick

Foto: © 2018 by Schattenblick

Ein drei Tage währendes Treffen von LeserInnen und LiteraturproduzentInnen wie die 16. Linken Buchtage Berlin bietet mithin reichlich Gelegenheit, auf all diesen Gebieten weiterzukommen. Insbesondere die Kombination der über mehrere Etagen des Mehringhofes, der als alternatives und selbstverwaltetes Kulturzentrum auf eine fast 40jährige Geschichte linksalternativer Gegenkultur zurückblickt, verteilten Buchstände und die an bis zu fünf verschiedenen Orten parallel dazu stattfindenden Buchpräsentationen können die Buchtage - zudem bei heißem Juniwetter - durchaus zu einer schweißtreibenden Angelegenheit machen. Wer daran interessiert ist, einen Überblick über das breite Spektrum linker Geschichte und Gegenwartskultur zu erhalten oder den verschiedenen Kämpfen und Bewegungen auf den Grund zu gehen, fand am Wochenende vom 1. bis 3. Juni mehr als genug Betätigungs- und Begegnungsfläche.


Stand des Verlages Klaus Wagenbach - Fotos: 2018 by Schattenblick Stand des Verlages Klaus Wagenbach - Fotos: 2018 by Schattenblick

Literarische Reminiszenzen 1968
Fotos: 2018 by Schattenblick

Mit "Politik ist lesbar" bewirbt der 1964 gegründete Verlag Klaus Wagenbach ganz seiner eigenen Geschichte gemäß einen Rückblick auf die Epoche des revolutionären Aufbruchs der Jahre bis 1968. Originaltexte von Erich Fried, der mit dem ehemaligen Verleger Klaus Wagenbach in langjähriger Freundschaft verbunden war, von Rudi Dutschke, Peter Brückner und Ulrike Meinhof laden zum Studium der Quellen einer Radikalität ein, die, wenn sie nicht ohnehin im institutionalisierten Politik- und Kulturbetrieb verebbte oder dem deutschen Imperialismus in den Führungsetagen der alten BRD zu einem bunten und humanitären Image verhalfen, in ihrer Wortmächtigkeit und Treffsicherheit bis heute zu erfrischender Lektüre einlädt. Wagenbach-Verlegerin Susanne Schüssler befeuert als Herausgeberin einer Streitschrift den hoffentlich nicht nur rückwärts gewandten Diskurs zu '68, der als bilanzierender Schlußstrich nicht weniger kontraproduktiv sein könnte denn als melancholische Rückschau. Wenn die Archive der kämpferischen Texte, die die Revolte antrieben, nicht zur inhaltlichen Kontinuität und besseren Bemittelung eines politischen Veränderungswillens beitragen, der auch ganz praktisch in Erscheinung tritt, dann verkämen sie allerdings zu bloßen Fußnoten der erst noch zu schreibenden Geschichte revolutionärer Wirklichkeitsbewältigung.


Stand und Gesammelte Werke von Wolfgang Pohrt - Fotos: 2018 by Schattenblick Stand und Gesammelte Werke von Wolfgang Pohrt - Fotos: 2018 by Schattenblick

Diskursschleifen und Eigensinn - Wolfgang Pohrt bei Edition Tiamat
Fotos: 2018 by Schattenblick

Am Stand der Edition Tiamat beantwortete Ule Will, ein Mitstreiter des Verlegers Klaus Bittermann, die Frage nach der kommerziellen Rentabilität politischer Literatur mit der Auskunft, daß Kleinverlage ohne ehrenamtliches Engagement kaum auskämen. Allein das Erstellen eines Personenregisters erfordere viel Zeit, vom notwendigen Lektorat oder einer Übersetzung in andere Sprachen ganz zu schweigen. Auflagen von 2000 Stück, wie früher üblich, würden heute kaum noch erreicht, habe das Interesse an Literatur doch überhaupt spürbar nachgelassen. Sein 24jähriges Patenkind habe wohl nicht mehr als drei Bücher insgesamt gelesen, ein Pensum, das in einer Woche zu vollziehen für ihn selbstverständlich sei.

Zu den herausragenden Errungenschaften der Edition Tiamat zählt eine in ihren elf Bänden halbjährlich herausgegebene Edition der gesammelten Werke des scharfzüngigen Ideologiekritikers Wolfgang Pohrt. Dieser seinen Schreibtisch zwischen allen Stühlen aufstellende Freigeist verfügt nicht nur über großen Wortwitz, sondern legt die immanenten Widersprüche linker GenossInnen wie die steil abfallenden Abgründe der auf moralisch integre Kopfnoten getrimmten Eliten des Landes mit einem Seziermesser offen, bei dem ganz bewußt auf die anästhesierende Wirkung betulicher Beschwichtigung und abwinkender Relativierung verzichtet wird.


Am Stand der Edition Assemblage - Fotos: © 2018 by Schattenblick Am Stand der Edition Assemblage - Fotos: © 2018 by Schattenblick

Mit Weitblick und Zuversicht - Bini Adamczak bei Edition Assemblage
Fotos: © 2018 by Schattenblick

Karina, Mitarbeiterin bei der Edition Assemblage, vertrat auf den Linken Buchtagen auch noch den Wiener Mandelbaum Verlag, den aus der Arbeitsgemeinschaft Sozialpolitischer Arbeitskreise (AG SPAK) hervorgegangenen Verlag AG SPAK Bücher und den anarchistischen Buchverlag Edition AV. Auf die Frage, wieso linke Buchmessen neben den großen Publikumsmessen in Leipzig und Frankfurt Sinn machen, verwies sie auf die sehr hohen Standgebühren, die dort verlangt werden, und ein Publikum, das aufgrund der hohen Eintrittspreise zusehends aus Menschen bestehe, die sich vor allem für die Werbegeschenke der Mainstreamverlage interessierten. Demgegenüber seien kleine, explizit linke Buchmessen kommunikativer. Dort rennen nicht die ganze Zeit Leute mit Rollkoffern durch, so daß Gespräche mit den KollegInnen anderer linker Verlage und einem an der Sache deutlich interessierten Publikum ohne weiteres möglich seien.

Letztlich wäre es für sie völlig okay, so Karina auf die Frage nach der Notwendigkeit kommerziellen Erfolges, wenn die Menschen für Bücher lediglich spendeten. Wenn aber niemand mehr wisse, ob sich die Bücher auch nur selbst trügen und nicht nachvollziehbar sei, mit welchem Aufwand sie hergestellt werden, dann hätten sie auch keine Grundlage mehr dafür, wie groß so ein solidarischer Beitrag sein müßte. Sie jedenfalls halte die Diagnose, daß sich Lesen als Kulturtechnik im Niedergang befinde, für völlig falsch. Zwar lesen viele Leute heute anders, indem bei der Lektüre etwa Bilder, Videos oder andere multimediale Inhalte integriert werden. Sie könne sich auch vorstellen, daß das klassische gedruckte Buch in dieser Form zukünftig weniger Bedeutung hat, glaube aber nicht, daß das Lesen nicht mehr wichtig sei, nur weil es nicht mehr in der traditionellen Form zwischen zwei Buchdeckeln stattfindet. Den Kulturpessimismus, der in unterschiedlichen Verbreitungsformen zwischen analog und digital oder dem Nebeneinander von leichter Sprache und hochkomplexer Elaboriertheit den Niedergang des Buches sieht, könne sie jedenfalls nicht teilen.

Unter den Neuerscheinungen bei Edition Assemblage reizt die von der Theoretikerin Bini Adamczak aufgeworfene Frage nach dem "womöglichen Gelingen der Russischen Revolution", die sie unter dem Titel "Der schönste Tag im Leben des Alexander Berkman" entwickelt, zur Lektüre. Nicht nur das Scheitern dieses ins Autoritäre gewendeten Aufbruchs zu beschwören, sondern danach zu fragen, was das nächste Mal besser zu machen wäre, ist alles andere als ein spekulatives Spiel mit alternativen Geschichtsverläufen. Herauszufinden, warum sich die Herrschaft des Menschen über den Menschen so hartnäckig durchsetzt, ist bei Einbeziehung eigenen Interesses an Dominanz und Unterwerfung ein keineswegs aussichtsloses Unterfangen.


Bücher des Mandelbaum Verlages und Ökofeminismus von Mies und Shiva - Fotos: © 2018 by Schattenblick Bücher des Mandelbaum Verlages und Ökofeminismus von Mies und Shiva - Fotos: © 2018 by Schattenblick

Feminismus gegen Landnahme und Extraktivismus und andere Lektüren, für die es nie zu spät ist
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"Die Arbeit des Körpers" von Wolfgang Hien, eine sozialhistorische Geschichte der Arbeit von unten in Deutschland und Österreich und des Widerstandes gegen die krank- und totmachenden Bedingungen der Lohnarbeit, ist eine der wichtigen Neuerscheinungen des rührigen Mandelbaum Verlages. Mit einem Buch über die politische Verfolgung der österreichischen Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung wurde 2011 die Reihe Kritik & Utopie aufgelegt. Unter dieser Rubrik wurde Silvia Federicis feministischer Klassiker "Caliban und die Hexe" auf deutsch übersetzt und unter dem Titel "Streiks im Perlflussdelta" über den ArbeiterInnenwiderstand in Chinas Weltmarktfabriken berichtet, um nur zwei herausragende Titel zu nennen. Wie breit die Themenpalette des Verlages ist, zeigt die erfolgreiche Reihe Feine Gourmandisen. Monographien über eßbare, für viele Kulturen zentrale, woanders hingegen in ihrem Ernährungs- und Gesundheitswert unterschätzte Gewächse wie etwa Sellerie, Granatapfel oder Zimt erfahren dort ihre ganz eigene Würdigung.

Zuletzt 2016 in komplett überarbeiteter und aktualisierter Neuauflage erschien bei AG SPAK Bücher das von den international bekannten Aktivistinnen Maria Mies und Vandana Shiva verfaßte Grundlagenwerk "Ökofeminismus". Sein antikolonialistischer und sozialökologischer Fokus leistet einen wichtigen Beitrag zur höchst aktuellen Kritik an einer extraktivistischen, fossilistischen und imperialen Lebensweise.


Stände von Marta Press und w_orten & meer - Fotos: © 2018 by Schattenblick Stände von Marta Press und w_orten & meer - Fotos: © 2018 by Schattenblick

Intersektionalität auf den Begriff gebracht
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Am Stand von Marta Press weist Verlegerin Jana Reich auf das in Vorbereitung befindliche Buch "Fatale Männlichkeiten - Kollektive Weiblichkeiten. Die Furorwelt des Münchner Hitler. Folgen bis heute" hin. Daß ihr Programm hin und wieder den Rahmen bürgerlicher Literaturmessen sprengt, was ein Grund dafür ist, daß sie gerne auf linken und alternativen Literaturmessen ausstellt, ist dem großen Angebot queerfeministischer und transsexueller Titel geschuldet. Jana Reich publiziert selbst über die 1936 in Hamburg geborene jüdische Künstlerin Eva Hesse. Sie entkam mit nur zwei Jahren auf einem der letzten Kindertransporte nach Holland dem Holocaust und emigrierte schließlich in die USA, wo ihre Skulpturen und Materialbilder heute höchstes Ansehen genießen.

Auch sie habe früher viel mehr Geld für Bücher ausgegeben, meint die Verlegerin auf die Frage nach der kommerziellen Rentabilität des Büchermachens. Insgesamt würden weniger Bücher gekauft, andererseits vermehrt untereinander ausgetauscht. Dennoch hätten gute Bücher ihren Wert und damit einen Preis, den auch sie dafür entrichte. In Berlin vertrat Jana Reich auch w_orten & meer, der als "Verlag für antidiskriminierendes Handeln" viele Schriften zu Dekolonisierung und Antirassismus im Programm hat. Den Stand zierte ein Buchcover mit dem Bild der Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde. Die wortmächtige Streiterin gegen Rassismus und für Frauenrechte, die von 1984 bis 1992 eine Gastprofessur an der FU Berlin innehatte, stellte sich selbst gerne als black lesbian feminist mother poet warrior vor, was sie als von Mehrfachunterdrückung betroffen kennzeichnet. Auf den Begriff der Intersektionalität gebracht, gehört dieser Topos zu den heiß debattierten Essentials der queerfeministischen und gendertheoretischen Forschung.


Am Stand des Verlages Die Buchmacherei - Fotos: © 2018 by Schattenblick Am Stand des Verlages Die Buchmacherei - Fotos: © 2018 by Schattenblick Am Stand des Verlages Die Buchmacherei - Fotos: © 2018 by Schattenblick

Revolutionäre Aufbrüche dem Vergessen entreißen
Fotos: © 2018 by Schattenblick

Linke Buchmessen sind aus mehreren Gründen wichtig, meint Rainer Knirsch vom Verlag Die Buchmacherei. So koste, wie ihm berichtet wurde, ein Tisch mit einer Fläche von zwei Quadratmetern in Leipzig oder Frankfurt/Main rund 1000 Euro. Dabei dürfe man die Bücher nicht einmal verkaufen, sondern dies erfolgt im Buchladen der Messeorganisation, an die 35 Prozent abfließen. Rechnet man noch die Ausgaben für Unterkunft usw. hinzu, dann sei das schon kostentechnisch absurd.

Vor drei Jahren nahm Die Buchmacherei an Messe BuchBerlin teil. Wie sich herausstellte, hatten höchstens zehn Prozent der BesucherInnen Interesse an linker Literatur. So habe der Umsatz der verkauften Bücher nicht einmal die Standmiete gedeckt, geschweige denn die Kosten für die Herstellung der Bücher. Für ein ideelles Projekt wie das ihre sei so etwas nicht tragbar. Insofern seien linke Veranstaltungen wie die anarchistische Buchmesse in Mannheim oder die Linke Literaturmesse in Nürnberg am besten geeignet, um ein linkes Programm zu präsentieren, denn dort bestehe auch vitales Interesse an den Büchern.

Insgesamt sei sehr erfreulich, daß es sich bei allen politisch-ideologischen Differenzen um durchweg friedliche Ereignisse handle, zu denen die Leute gehen, um Bücher kennenzulernen und zu diskutieren. In den sieben Jahren, in denen er auf den Linken Buchtagen im Mehringhof präsent sei, habe er weder tätliche Auseinandersetzungen noch aggressive Übergriffe erlebt. Zudem seien keine Bücher geklaut worden.

Was die Frage der Rezeption linker Literatur betrifft, so befinde man sich eben nicht mehr in der Studierendenbewegung von '68, wo in ein, zwei Jahren 5000 oder 10.000 Ausgaben eines linken Titels verkauft wurden. Heute befinde man sich mit Auflagen von wenigen hundert Büchern auf einem weit niedrigeren Niveau. Selbst die wichtige, 2011 veröffentlichte Neuauflage des historischen Zeitzeugenberichtes zur deutschen Novemberrevolution von Richard Müller, Metallarbeiter und Vorsitzender des Vollzugsrats der Arbeiter- und Soldatenräte, habe seitdem in 12 Auflagen eine Gesamtauflage von nur 1400 Büchern erreicht.


Am Stand des Alibri Verlages - Foto: © 2018 by Schattenblick

Die Schlagkraft der Theorie kollektiv präsentiert - reichhaltiges Angebot von Alibri und anderen
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Auch für Gunnar Schedel vom Alibri Verlag spricht viel für das Abhalten alternativer linker Buchmessen. So seien die Bücher auf der Frankfurter Buchmesse in den letzten 25 Jahren immer weiter in den Hintergrund getreten, während der Eventcharakter der Messe immer mehr in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt sei. Wer wie Alibri und die anderen im Mehringhof ausstellenden Verlage zu den eher kleineren Betrieben des Buchgewerbes gehöre, dem falle es schwer, im Eventzirkus mitzumachen. Das koste nicht nur Geld, sondern man müsse auch etwas Spektakuläres auffahren, um wahrgenommen zu werden.

Mit der Kombination von Bücherständen und Veranstaltungen, in denen die LeserInnen in persönlichen Kontakt mit den AutorInnen treten, mit ihnen diskutieren oder auch ein Bier trinken können, habe man weit mehr zu bieten als jeder Buchladen. Zudem werde eine viel größere Auswahl an Buchtiteln als auch in sehr gut sortierten Buchhandlungen geboten, was das Organisieren linker Buchmessen wie in Berlin, wie die Linke Literaturmesse in Nürnberg oder auch die Gegenbuchmesse in Frankfurt, allemal rechtfertige.

Mit neuen Verbreitungsformen wie E-Books habe man noch nicht so viel zu tun. Das Segment werde bedient, aber eher am Rande. Schedel hat den Eindruck, daß die Vertriebsschienen bei elektronischen Medien anders funktionieren als bei gedruckten Büchern und tendenziell große Verlage und große Einheiten bevorzugen. Was den Vertrieb über Amazon betrifft, so sei dieser leider nicht zu vermeiden. Selbst wenn man keinen Direktvertrag mit Amazon habe, was die ihm bekannten Verlage scheuten, weil nicht nur die Konditionen schlecht seien, sondern auch das Verhalten des Konzerns gegenüber seinen Lieferanten unterirdisch sei, biete Amazon alle Bücher an, das sei gar nicht zu verhindern. Amazon kaufe bei den Zwischenhändlern, den Barsortimentern, ein, worauf man keinen Einfluß habe. Wenn man die KundInnen nicht davon überzeugen könne, die Bücher direkt beim Verlag oder den Buchhandlungen, die sie vorrätig haben, zu erstehen, fielen zudem hohe Rabatte bei den Zwischenhändlern an.


Comic-Ausstellung an Stelltafeln - Fotos: © 2018 by Schattenblick Comic-Ausstellung an Stelltafeln - Fotos: © 2018 by Schattenblick

Gerahmte Diskurse - Worte in Bewegung
Fotos: © 2018 by Schattenblick

Die Comic-Ausstellung Gerahmte Diskurse ist in die Linken Buchtage integriert und bietet Auszüge aus verschiedenen Comics und Graphic Novels. Quasi zur Aufführung gelangte Eva Müllers Werk "Sterben ist echt das Letzte", aus dem ein stark autobiographischer Text synchron zu Bildprojektionen und Musik gelesen wurde. Fast zeitgleich erhielt sie dafür auf dem Comic-Salon in Erlangen den Charly-Eiselt-Preis für die beste Publikation eines Newcomers. Was die Zeichnerin und Autorin an Gründen dafür präsentierte, den Tod zu fürchten und sich mit ihm anzulegen, überzeugte auf Anhieb, während das Arrangement, zu dem sie schließlich gelangte, wie ein loses Ende im freien Raum auf die Fortsetzung der Geschichte hoffen läßt.

Der Stand vom Freiburger ça ira-Verlag wird von in Berlin lebenden Menschen betreut, die nicht direkt zum Verlag gehören, sondern diesen dadurch unterstützen, daß sie seine Bücher auf den Linken Literaturtagen präsentieren. Neben Klassikern wie den Gesammelten Werken von Alfred Sohn-Rethel, dessen Analysen zur Wirtschaftspolitik des NS-Staates bis heute von großem historischen Wert sind, und diversen Werken des Hamburger Soziologen Gerhard Stapelfeldt ist der Verlag bekannt für seine Kritik am sogenannten linken Antisemitismus. Inwiefern es einen solchen überhaupt geben kann respektive antisemitische Ausfälle und Denkweisen nicht einen anderen politischen Standort voraussetzten, wird auch in Zukunft die Gemüter erregen, steht diese Frage doch im Mittelpunkt des Disputs zwischen sogenannten Antideutschen und Antiimps.


Zwei Stände - Fotos: © 2018 by Schattenblick Zwei Stände - Fotos: © 2018 by Schattenblick Zwei Stände - Fotos: © 2018 by Schattenblick

Schwarze Risse mit Assoziation A im Hof ...
Fotos: © 2018 by Schattenblick

Quasi als Buchmesse in Permanenz ist der in kollektiver Selbstorganisation betriebene Buchladen Schwarze Risse eine feste Institution des linken Berlins. Vor dem geräumigen Laden, der sich in einem Kellergeschoß des Mehringhofes befindet, sind zwei Bücherstände aufgebaut, in denen die MitarbeiterInnen des seit 1984 unter diesem Namen firmierenden Buchladens in Vertretung die Bücher anderer Verlage präsentieren. Udo vom Schwarze Risse-Kollektiv erklärt auf die Frage, ob die Buchtage auch mit einer gewissen ideologischen Gewichtung betrieben würden, ganz diplomatisch, daß die Tatsache, daß die jeweiligen Hauptveranstaltungen unter Beteiligung der Redaktion der Wochenzeitung Jungle World erfolge, eine gewisse Affinität nahelege, daß aber der Querschnitt der präsentierten Bücher keinen Hinweis darauf gebe.

Auch stehe die Farbe schwarz im Namen des Buchladens nicht zwingend für eine politische Ausrichtung, Zwar sei es bestimmt kein Zufall, daß er über eine relativ gutsortierte anarchistische Abteilung verfüge, das heiße aber auch nicht, daß es sich um einen anarchistischen Buchladen handle. Angesichts der großen Auswahl an englischsprachiger Literatur etwa zur Black Panther Party und zur antirassistischen Bürgerrechtsbewegung in den USA attestiert Udo, daß diese Bücher auch aus Interesse an der Sache angeboten werden. Das Kollektiv sei Teil der Bewegung und verfüge natürlich über ein politisches Selbstverständnis. Es gehe darum, die Diskussion zu fördern, wenn Klassiker der Black Panther oder des antikolonialen Vordenkers Frantz Fanon angeboten werden. Sie seien weiterhin von Relevanz, was auch die Ecke mit theoretischen Schriften der 68er-Bewegung belege. Ganz bewußt präsentiere man dort nicht nur die Stimmen von Studierenden, sondern auch von ArbeiterInnen und Lehrlingen.

Auf jeden Fall sei wichtig, daß die Kontinuität linken Denkens nicht verlorengehe. So gebe es auch eine relativ große Abteilung über den bewaffneten Kampf in den 70er und 80er Jahren, denn der Buchladen beanspruche, das ganze Spektrum sozialer und linker Bewegungen abzubilden. An diesen habe sich viel verändert, und nicht zuletzt seien viele Gruppen und AktivistInnen nicht nur aus der 68er-Bewegung gescheitert.


Im Buchladen Schwarze Risse - Fotos: © 2018 by Schattenblick Im Buchladen Schwarze Risse - Fotos: © 2018 by Schattenblick Im Buchladen Schwarze Risse - Fotos: © 2018 by Schattenblick

... und im Haus der linken Literatur
Fotos: © 2018 by Schattenblick

Um so wichtiger scheint es zu sein, die klaffenden Brüche in der Vermittlung des in sozialen Kämpfen erreichten Erfahrungsschatzes und Wissenstandes zumindest dadurch zu brücken, daß in mündlicher wie schriftlicher Form generationenübergreifender Kontakt hergestellt wird. Man sieht es den Linken Buchtagen und anderen alternativen Plattformen des politischen Buches auf den ersten Blick vielleicht nicht an - die dort hergestellten Kontakte und die Kommunikation zwischen schreibenden und lesenden Menschen sind elementare Vitalfaktoren einer Schriftkultur, bei der es noch niemals darum ging, am Nichtort abstrakter Reflexion zu verbleiben. Erst in der sozialen Praxis zu erstreitender Befreiung erweist sich der Wert einer Literatur, die, wenn sie nicht über den Selbstzweck ihrer ästhetischen Form hinausweist, bestenfalls den Schmerz erlittener Vergeblichkeit kultivieren kann.


Hausfassade und Bäume - Foto: © 2018 by Schattenblick

Erster Hof im Komplex des Mehringhofes
Foto: © 2018 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Frantz Fanon: Die Verdammten dieser Erde, Frankfurt am Main 1966, S. 20


5. Juni 2018


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