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INTERVIEW/012: Linksliteraten - kapital- und umweltschadenfrei ...    Emil Bauer im Gespräch (SB)


19. Linke Literaturmesse Nürnberg

Emil Bauer über die Notwendigkeit, die Umweltfrage mit der sozialen Frage zu verbinden, und dabei insbesondere die Jugend, um deren Zukunft es geht, mitzunehmen



Man muß die Gesamtdimension der Umweltzerstörung zum Thema machen. Der bürgerliche Ansatz genügt nicht, beispielsweise mehr mit dem Fahrrad zu fahren oder weniger zu heizen, sondern es muß der Hauptverursacher der Weltklimakatastrophe herausgearbeitet werden, fordert Emil Bauer, Direktkandidat der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) für den Wahlkreis Augsburg-Stadt. Der Bauingenieur, der als Lehrer an einer Technikerschule arbeitet, stellte auf der 19. Linken Literaturmesse das inzwischen in der vierten Auflage erschienene Buch "Katastrophenalarm - Was tun gegen die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur?" (Verlag Neuer Weg) des MLPD-Vorsitzenden Stefan Engel vor.

Auf dem Gothaer Parteitag habe Marx die Behauptung kritisiert, daß die Arbeit die einzige Quelle des Reichtums sei. Er und Engels hätten sich sehr gründlich mit der Einheit von Mensch und Natur beschäftigt und diese als Grundlage jeder Gesellschaft bezeichnet, berichtete Bauer, für den der Marxismus sogar Vorreiter im Kampf um Umweltschutz ist. Das sei "von der revolutionären Bewegung" vernachlässigt worden.

Im Anschluß an die Buchvorstellung und Diskussion stellte sich Emil Bauer dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung:

Beim Interview - Foto: © 2014 by Schattenblick

Emil Bauer
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Du bist Mitglied der MLPD und hattest in deinem Vortrag davon gesprochen, daß ihr euch im Moment in einer Phase der Selbstkritik oder Selbstveränderung befindet. Aufgrund welcher Erkenntnisse seid ihr dazu gekommen, einen Veränderungsprozeß einzuleiten?

Emil Bauer (EB): Hauptsächlich wegen der Umweltfrage. Wir haben festgestellt, daß sie heute eine andere Dimension einnimmt als noch vor zehn, zwanzig Jahren. Daraufhin haben wir uns gesagt, daß das Konsequenzen für unsere Parteiarbeit, für unsere Strategie und Taktik haben muß. Dazu haben wir entsprechende theoretische Untersuchungen durchgeführt und Ausarbeitungen gemacht. Beispielsweise liegt dazu das Buch "Katastrophenalarm" vor. Natürlich ist das kein Selbstläufer. Das heißt trotzdem noch, daß jetzt eine Veränderung unserer praktischen Arbeit erfolgen muß, und dazu machen wir gerade eine Selbstkritikkampagne, die über zwei Jahre bis zum nächsten Parteitag geht. Uns geht es darum, das auch schöpferisch in eine Veränderung der Parteiarbeit umzusetzen.

SB: Der Realsozialismus der DDR und Sowjetunion ist ja nicht gerade für seine Umweltschutzbemühungen bekannt. Was müßte sich an einer sozialistisch orientierten Gesellschaft ändern, damit sich die Produktivkraftentwicklung nicht in Umweltzerstörung niederschlägt und somit in einer Verschlechterung der Lebensqualität der Menschen?

EB: Ein ganz wichtiger Abschnitt des Buchs befaßt sich genau mit dieser Frage. In der Zeit der Sowjetunion unter Stalin wurde eine Losung ausgegeben, die darauf hinauslief, daß Sozialismus ständiges Wachstum und Befriedigung der ständig wachsenden materiellen Bedürfnisse sei. Wir hingegen sagen: So ist die Losung nicht richtig und heute weniger denn je. Statt dessen muß es heißen: Befriedigung der sich verändernden Bedürfnisse der Menschen in Verbindung mit der Verwirklichung und Weiterentwicklung der Einheit von Mensch und Natur.

Man darf und kann nicht einfach von ungezügeltem Wachstum ausgehen, sondern das muß in Einheit von Mensch und Natur erfolgen. Das könnte dann in mancher Frage einen gewissen Verzicht bedeuten, weil es heute auch darum geht, weltweit einen gewissen Ausgleich zu schaffen. Wir können dieses Leben, das wir hier in Deutschland führen, nicht auf die ganze Welt übertragen. Das funktioniert nicht. Dafür ist unsere Erde nicht geeignet. Das heißt, auch hier muß ein Ausgleich stattfinden zwischen verschiedenen Ländern und Völkern.

Es ist meiner Meinung nach sehr wichtig, beim Sozialismus zwischen der Zeit zu unterscheiden, in der er tatsächlich noch sozialistisch war und es teilweise Errungenschaften gegeben hat - wobei teilweise auch Fehler begangen wurden, aber hauptsächlich war das noch eine Richtung, in der es darum ging, umweltpolitische Fortschritte zu erzielen -, und der Zeit nach 1956. Ab dem Zeitpunkt wurde in der Sowjetunion und der DDR der Kapitalismus wieder restauriert, daraufhin hatten sich auch die Vorzeichen für die Umweltpolitik vollständig verändert. Das ging in manchen Bereichen schlagartig. Nach 1956 hat Chruschtschow das Waldprogramm, das noch unter Stalin ausgearbeitet worden war, gestrichen und sofort rückgängig gemacht.

SB: Stalin hatte ein Waldschutzprogramm aufgelegt?

EB: Genau, er hat gegen die Verödung vieler Landschaften, zum Schutz von Anbauflächen und gegen Überschwemmungen ein wichtiges Aufforstungsprogramm entwickelt.

SB: Wie schätzt du die sozialistischen oder zumindest sozial orientierten Länder Lateinamerikas wie Ecuador, Bolivien und Venezuela ein? Einerseits haben sie im sozialen Bereich Fortschritte erzielt, andererseits gibt es noch den Extraktivismus: Bolivien baut weiter im großen Stil Rohstoffe ab; für Venezuela und Ecuador ist die Erdölförderung wichtig, was damit begründet wird, daß man darauf nicht verzichten kann.

EB: Das sind keine sozialistischen, sondern linke, antiimperialistische Regierungen, die einige sozialen Fortschritte erreicht haben, die zum Teil auch die Umweltfrage thematisieren. In Bolivien hat eine große Umweltkonferenz stattgefunden mit über 30.000 Teilnehmenden. Das sind Ansätze, die jedoch nach wie vor von der kapitalistischen Politik überlagert sind. Von einer Gesamteinschätzung her kann man sagen, daß diese Länder einzelne fortschrittliche Sachen machen, aber insgesamt betreiben sie in der Umweltfrage noch keine durchgängig andere Politik.

SB: Du hast in deinem Vortrag häufiger von der Einheit von Mensch und Natur gesprochen. Was wäre das? Gibt es dafür vielleicht Ideen oder Vorbilder aus der Geschichte?

EB: Wir betonen, daß der Mensch ein Teil der Natur, sogar ein besonderer Teil der Natur ist, weil er in sie eingreifen und sie sich nutzbar machen kann. Das macht er aber nur dann richtig, wenn es in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen geschieht. Wenn er ihnen widerspricht, dann zerstört er die Umwelt. Deshalb ist für uns die Einheit von Mensch und Natur die Lebensgrundlage jeder Gesellschaft. Wenn diese Einheit zerstört ist, dann gibt es kein Leben mehr. Die Natur wird es in anderen Erscheinungsformen weiter geben, aber nicht das Leben. Insofern hätte dann die Einheit von Mensch und Natur aufgehört zu existieren.

Das Problem besteht nun darin, daß im Kapitalismus aufgrund des Profitstrebens diese Einheit untergraben und zerstört wird. Und das sogar beschleunigt, weil das Profitstreben sehr kurzsichtig angelegt und eine sehr oberflächliche Sichtweise ist. Ich denke, das muß nicht sein, das kann in einer sozialistischen Gesellschaft anders gemacht werden. Man kann die Gesellschaft sehr wohl so entwickeln, daß in ihr die Einheit von Mensch und Natur ausgebaut wird.

Wobei man sie ja teilweise erst wieder herstellen muß, weil in bestimmten Gebieten wie beispielsweise den Meeren schon sehr weitgehende Zerstörungen angerichtet wurden. Da steht eine riesige Aufgabe an, das überhaupt wiederherzustellen und in ein gewisses Gleichgewicht zu bringen. Wenn man die Gesellschaft unter anderen Gesichtspunkten entwickelt, kann sich die Einheit von Mensch und Natur auch wieder weiter- und höherentwickeln und eine für die Menschen fruchtbare Sache sein.

SB: Bei der Diskussion im Anschluß an deinen Vortrag sagten einige junge Leute, die man wohl der Umweltbewegung oder dem Umweltaktivismus zurechnen kann, sinngemäß Dinge wie: "Was redet ihr da eigentlich? 'Antagonistischer Widerspruch'? Davon habe ich noch nie etwas gehört. Es geht doch darum, etwas konkret zu machen." Gehört zur Selbstkritik deiner Partei auch die Frage, wie man junge Leute erreicht? Hast du eine Idee dazu, wie man junge Leute mit linken Inhalten vertraut machen kann?

EB: Meiner Erfahrung nach ist die Jugend insbesondere der Umweltfrage gegenüber sehr aufgeschlossen. Aber sie ist sehr viel auf einer Ebene damit beschäftigt - wie es teilweise auch heute zu hören war -, daß sie sagt, wir müssen gucken, was wir selber verändern, zum Beispiel indem wir nur noch vegan essen. Sehr viele junge Leute sind gegen die Massentierhaltung. Es gibt also sehr viele konkrete Themen, die sie beschäftigen. Und da sagen wir, daß wir das mit ihnen diskutieren müssen. Ihre Anliegen sind berechtigt, und wir müssen auch gemeinsame Aktionen machen, gemeinsam Initiativen entwickeln, um die Umweltfrage insgesamt in die Gesamtentwicklung einzuordnen, um die Dimension, die sie inzwischen eingenommen hat, deutlich zu machen.

Mit den Vorschlägen, die heute vorgebracht wurden, kann man das Problem nicht lösen; damit haben wir uns noch reichlich auseinanderzusetzen. Für uns ist es ganz wichtig, gerade die Jugend in dieser Frage zu gewinnen. Weil die Jugend davon nochmal ganz anders betroffen ist als wir. Wir können das vielleicht in den nächsten 20 Jahren überleben, aber für die Jugend ist das die Zukunft der nächsten 50, 60 Jahre. Da wird die Umweltfrage nochmal ganz anders abgehen. Das wird nicht so bleiben, wie das heute ist.

Deshalb setzen wir uns in unserer Arbeit auch selbstkritisch damit auseinander, die Jugend zu gewinnen. So haben wir einen Jugendverband namens REBELL, der macht zum Beispiel rebellische Umwelt-AGs. Darin wird versucht, auf breiterer Ebene Jugendliche anzusprechen und dafür zu gewinnen, etwas gemeinsam zu machen und Auseinandersetzungen zu führen. Das muß eine Einheit sein, das ist ganz wichtig.

SB: Wie stehst du zu technologischen Vorstellungen, die unter Stichworten wie "green economy", grüne Wirtschaft oder auch grüner Kapitalismus abgehandelt werden?

EM: (lacht) Ach, heute sind sie alle grün! Ich kenne das von MAN Diesel & Turbo in Augsburg. Die werben jetzt damit, daß sie vermehrt Gaskraftwerke herstellen. Klar, Gaskraftwerke sind nicht ganz so starke CO2-Schleudern wie Kohlekraftwerke. Aber das ist noch lange keine grüne Politik. Deshalb nennen wir das "greenwashing". Sie versuchen, sich ein grünes Deckmäntelchen umzuhängen, betreiben aber eigentlich weiterhin eine Politik, die eine immense Umweltzerstörung auslöst. Und so etwas machen inzwischen alle. Auch das muß man entlarven und deutlich machen. So etwas hat dann schon eine gewisse Wirkung unter den Kollegen, das darf man nicht unterschätzen.

SB: Die MLPD unterstützt die Bildung einer Umweltgewerkschaft, deren Gründung für Ende November vorgesehen ist. In der Diskussion wurde gesagt, daß auch Organisationen wie Greenpeace oder BUND in die Umweltgewerkschaft eintreten könnten, "wenn sie sich verändern". Bedeutet das, daß sie bestimmten Vorstellungen "abschwören" müßten?

EB: Nein, nein! Aber sie müssen natürlich das Statut oder die Satzung der Umweltgewerkschaft anerkennen. Wenn sie dazu bereit sind, können auch solche Organisationen mitmachen, ganz klar. Sie brauchen sich dafür nicht aufzulösen, die Umweltgewerkschaft soll ein Sammelbecken auch für Organisationen sein.

Aber natürlich spielt bei Greenpeace der Antikommunismus eine große Rolle, damit haben wir in Augsburg erst vor kurzem wieder Erfahrungen machen müssen. Die sind unheimlich hierarchisch ausgerichtet, so etwas Undemokratisches habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Ich war erstaunt, daß die nichts ohne die Genehmigung ihres örtlichen Vorstands machen dürfen, und der muß den Bundesvorstand fragen, was sie am Ort machen dürfen. Natürlich würden sie sich schwertun mit der Vorstellung, bei der Umweltgewerkschaft mitzumachen. Aber wenn sie in der Lage sind, mit ihrer Einstellung auch kritisch umzugehen, steht dem nichts im Wege.

SB: Häufig stehen die Interessen der Gewerkschaften im Widerspruch zum Anliegen der Umweltbewegung. Was sind deine Erfahrungen, wie zugänglich sind Lohnabhängige für die Umweltschutzidee, wenn sie sich vom Verlust ihres Arbeitsplatzes bedroht sehen?

EB: Die Frage tauchte eben auf, dazu hätte ich gerne noch mehr gesagt. Ein Großteil der Gewerkschaftsführungen spielt Arbeitsplätze und Umweltschutz gegeneinander aus. Damit machen sich die Gewerkschaften zum Büttel der Konzerne, die das nämlich ebenfalls einander gegenüber stellen und erklären, daß man kapitalistische Ökonomie und Ökologie miteinander vereinbaren müsse. Das heißt aber immer Vorrang für die kapitalistische Ökonomie! Stets wird reklamiert, es dürften keine Arbeitsplätze verlorengehen und ähnliches. Das wird so verkauft, als ob das im Interesse der Arbeiter sei.

Das müssen wir kritisieren und den Gewerkschaftsmitgliedern verdeutlichen, daß im Umweltbereich ganz viele Arbeitsplätze entstehen, wenn man sich ernsthaft darum kümmert. Dann kann man Arbeitsplätze in der Autoindustrie meinetwegen ersetzen durch Arbeitsplätze, durch die der öffentliche Nahverkehr ausgebaut wird. So etwas ist durchaus möglich. Doch auch wenn man hier bis zu einem gewissen Grad manches durchsetzen könnte, wirklich umfassend kann man im Kapitalismus keine Veränderung erzielen.

SB: Du hast davon gesprochen, daß man die soziale Frage mit der ökologischen Frage verbinden muß. Ist denn nicht die ökologische Frage im Kern ebenfalls eine soziale Frage, weil sich die Umweltschäden immer sozial auswirken?

EB: Ja, richtig, das hat konkret sehr viel miteinander zu tun. Zum Beispiel wenn wir sagen, daß wir eigentlich das ganze Verkehrssystem umdenken und den öffentlichen Nahverkehr ausbauen müssen, da wir nicht weiter eine Milliarde Autos bauen können. Das geht einfach nicht. Das heißt, wir müssen eine andere Richtung einschlagen, und das wird sicherlich auch in dem Bereich der Autoproduktion Arbeitsplätze vernichten. Doch die können wir woanders wieder schaffen. Ich gebe dir recht, daß man den Blickwinkel darauf ausrichten und lernen muß, diesen Zusammenhang zu sehen und dann entsprechend Forderungen zu entwickeln und aufzustellen, die beides berücksichtigen, nicht nur die soziale Frage.

SB: Die Arbeitsbedingungen in einer Fabrik, die Windradflügel herstellt, sind im Prinzip nicht anders als die in einer Fabrik, die beispielsweise Autotüren herstellt. Wie siehst du die Problematik, daß im Bereich der Umwelttechnologien Arbeitsplätze entstehen, die sich beispielsweise hinsichtlich der Belastung, der gesundheitlichen Gefährdung, des Arbeitsdrucks durch Überstunden etc. womöglich nicht von den Arbeitsplätzen in anderen Branchen unterscheiden?

EB: Der Kampf um soziale Rechte wird nicht damit aufhören, nur weil es eine "grüne" Produktion ist. Wir haben eine Entwicklung hin zur Überausbeutung von Mensch und Natur, also muß es auch um beides gehen. Wir können nicht sagen, nur weil in einer Fabrik Windräder produziert werden, daß wir deswegen alle Arbeits- und Lohnbedingungen akzeptieren. Das muß unter Gesichtspunkten stattfinden, die auch für die Arbeiter tragbar sind. Und der zunehmende Streß und Druck in den Betrieben ist natürlich eine wichtige Frage, die man nicht mit der Umweltfrage beiseiteschieben kann. Auch das betrifft somit die Einheit von Mensch und Natur.

SB: Wie stehst du zu der Idee der Inwertsetzung der Natur beispielsweise über den Handel mit CO2-Emissionszertifikaten, wo also Profite mit Verschmutzungsrechten erwirtschaftet werden können?

EB: Das ist eine riesige Sauerei und Augenwischerei. Da geht es nicht darum, den CO2-Gehalt runterzubringen. Das ist ein ganz normales Spekulationsgeschäft und da machen die Beteiligten zum Teil riesige Profite mittels verschiedenster Tricks. Bei einer dieser Methoden erhalten die Unternehmen eine bestimmte Menge an Emissionsrechten zugeteilt, verlagern ihre Produktion in ein anderes Land, wo sie die Rechte nicht brauchen, und können die Emissionsrechte anschließend verkaufen. Was da mit den Verschmutzungsrechten in Gang gesetzt wurde, ist eine subventionierte Profitmaschine.

Auf der anderen Seite ist es eine Augenwischerei, weil gleichzeitig behauptet wird, man könnte damit den CO2-Gehalt in der Erdatmosphäre senken. Das ist durch die Wirklichkeit widerlegt worden. Da hat sich überhaupt nichts am CO2-Ausstoß verändert.

SB: In China gibt es Fabrikstädte, in denen unter Umständen 300.000 Menschen arbeiten und am gleichen Ort wohnen. Entspricht das deiner Vorstellung, arbeiten und wohnen wieder näher zusammenzubringen?

EB: Nein, das sind diese riesigen Wohnfabriken. So stelle ich mir nicht die Verwirklichung der Einheit von Produktion und Wohnen vor! Wir sagen zwar, im Sozialismus geht es darum, beides näher zusammenzubringen, aber das sähe dann nicht so aus wie dort! (lacht) Es soll schon so sein, daß man keine halbe Stunde zur Arbeit fährt, sondern vielleicht nur 15 Minuten, weil Wohn- und Arbeitsplatz näher zusammenliegen. Die Unterschiede zwischen Stadt und Land sollten aufgehoben werden, indem beispielsweise auf dem Land mehr Industrie entwickelt und in den Städten mehr Landwirtschaft betrieben wird. Den Unterschied aufzuheben, wird ein langer Prozeß sein. Gerade in China ist das brutal, die haben da inzwischen solche Megastädte! Das entspricht überhaupt nicht meiner Vorstellung von Sozialismus, was sich da entwickelt hat.

SB: Was wären denn die nächsten Schritte zum Sozialismus?

EB: Für uns besteht der nächste Schritt darin, eine breite Strategiedebatte zu der Umweltfrage zu führen. Das Buch "Katastrophenalarm" ist ein ganz wichtiges Mittel, um unser Anliegen zu unterstützen und zu befördern. Außerdem geht es natürlich darum, den Inhalt des Buchs in eine praktische Arbeit umzusetzen. Dazu gehört die Unterstützung des Aufbaus der Umweltgewerkschaft und dazu gehört, in gewissen Umweltbewegungen Umweltkämpfe mitzumachen, wobei diese aber mit der weitergehenden sozialen Frage verbunden werden sollten.

Wir überlegen zum Beispiel, ob wir in Bayern eine Verbindung zwischen dem Kampf gegen die Stromtrassen und dem Aufbau der Umweltgewerkschaft herstellen. Und in Nordrhein-Westfalen haben wir erfolgreich den Bergmann Christian Link unterstützt, der abgemahnt worden ist, weil er einer derjenigen war, die aufgedeckt haben, daß die Giftmülleinlagerungen in den Bergwerken eine Gefahr darstellen. Die Einlagerungen als solche sind schon älter und hinlänglich bekannt, neu war jedoch, daß die Schutzmaßnahmen für das Wasser eingestellt werden sollten, wodurch die Gefahr besteht, daß der Giftmüll irgendwann in Verbindung mit dem Grundwasser gelangt. Diese Sauerei hat er mit aufgedeckt und ist abgemahnt worden. Dagegen haben wir Solidarität aufgebaut, das aber auch damit verbunden, für die Umweltgewerkschaft zu werben. Zumal das ziemlich gut zusammenpaßt - Christian Link ist selber Mitinitiator und Unterstützer der Umweltgewerkschaft.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.


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23. November 2014


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