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PARLAMENTE/002: Wahlen - Querschuß von links ... (Gerhard Feldbauer)


Ein Anhänger Aldo Moros ist neuer Staatspräsident Italiens

Erster Staatsakt: Ehrendes Gedenken an der Fosse Ardeatine für die 335 Opfer eines SS-Massakers 1944 in Rom

von Gerhard Feldbauer, 1. Februar 2015


Gut zwei Wochen nach dem Rücktritt von Staatspräsident Giorgio Napolitano ist am Sonnabend der 73jährige Sergio Mattarella von der regierenden Demokratischen Partei (PD) zum 12. Präsidenten der 1946 gegründeten Italienischen Republik gewählt worden. Er trat erst zum vierten Votum an, zu dem eine absolute Mehrheit genügte, und wurde mit 665 von 1009 Stimmen der Versammlung der Abgeordneten, Senatoren und Vertreter der Regionen (Länder) gewählt. Die ersten drei Wahlgänge, zu denen eine Zweidrittelmehrheit erforderlich war, verliefen ergebnislos. Das Wahlergebnis ist eine schwere Niederlage für den Ex-Premier und Chef der faschistoiden Partei Forza Italia (FI) Silvio Berlusconi, aber auch ein Denkzettel für den PD- und Regierungschef Matteo Renzi, der bis zum Wahlbeginn mit Berlusconi einen gemeinsamen Kandidaten nominieren wollte. Erst die Proteste der PD-Linken und der Partei Linke und Umwelt (SeL) gegen einen mit Berlusconi abgesprochenen Bewerber zu stimmen und damit eine drohende Spaltung der Partei, zwangen Renzi zur Kehrtwende und Nominierung Sergio Mattarellas, den Berlusconi postwendend wütend ablehnte.

Mit Mattarella brachte der gewiefte Taktierer Renzi dann seine PD-Wähler geschlossen hinter sich und schaltete gleichzeitig den von den Linken favorisierten Romano Prodi, mehrmaliger Ministerpräsident von Mitte Links-Regierungen, an denen die Kommunisten beteiligt waren, aus. Prodi erklärte, er wolle kein Kandidat der Spaltung sein und rief zur Wahl Mattarellas auf.


Aus einer Familie mit antifaschistischen Traditionen

Sergio Mattarella kommt aus einer Familie mit antifaschistischen Traditionen, die aktiv die Politik des linken Führers der Democrazia Cristiana (DC) Aldo Moro unterstützte, eines NATO-Gegners, der in den 1970er Jahren mit IKP-Generalsekretär Enrico Berlinguer ein Regierungsbündnis schloss und deswegen im Mai 1978 einem von der CIA inszenierten Mordkomplott zum Opfer fiel. Sergio Mattarellas Bruder Piersanto, dem La Repubblica am Sonnabend einen mehrspaltigen Beitrag widmete, hielt an diesem Bündnis auch nach der Ermordung Moros fest und wollte auf Sizilien mit der IKP eine Regionalregierung bilden. Faschisten und Mafiakiller schossen ihn daraufhin am 8. Januar 1979 auf offener Strasse nieder. Der Mailänder Corriere della Sera schrieb, mit Sergio Mattarella sei der "letzte Moroteo" (Anhänger Moros) Staatschef geworden. La Repubblica nennt ihn einen Garanten, der dieses "politische Erbe fortsetzt". Demonstrativ begab sich Mattarella nach seiner Wahl zu Gedenkstätte an den Fosse Ardeatine (Tuffsteinhöhlen) bei Rom, wo im März 1944 335 Geiseln von deutscher SS barbarisch ermordet wurden. Der neue Staatschef wurde dort aktuell: Europa sollte geschlossen den Kräften entgegentreten, die versuchten, es "in eine neue Zeit des Terrors hineinzuziehen".


Schon 1990 Gegner Berlusconis

Sergio Mattarella zehrte zwar bei linken Wählern vom Ruf seines Bruders, bringt aber genügend eigenes linksliberales Profil auf die Waagschale. Er war fünfmal Minister, darunter 1998/99 unter dem Ex-Kommunisten Massimo D' Alema Vize-Premier. 1990 stimmte er gegen das Gesetz, dass das Fernsehmonopol Berlusconis legalisierte und trat aus Protest dagegen als Minister zurück. Seit 2011 Mitglied des Obersten Verfassungsgerichts trat er wiederholt den kriminellen Machenschaften Berlusconis entgegen.


Das rechtsextreme Lager gespalten

Im Gegensatz zu Mitte Links gelang es Berlusconi nicht, das rechte/rechtsextreme Lager zu einigen. Die FI als auch die Lega Nord traten mit eigenen Kandidaten an, die kläglich scheiterten. Auch beim Chef der von der FI abgespaltenen Rechtspartei NCD, Angelino Alfano, der in der Regierung sitzt, verhallte Berlusconis Appell zur Geschlossenheit ungehört. Der gab seiner Gefolgschaft Order, mit Si (ja) zu stimmen, was meist befolgt wurde. Andernfalls, so hatte Renzi gedroht, werde er die NCD aus der Regierung auszuschließen, was eine Regierungskrise und Neuwahlen bedeuten würde, deren Ausgang für Berlusconi, dessen FI zuletzt bei Umfragen von 29 Prozent bei den Wahlen 2013 unter 16 Prozent abgesackt war, mit einer Niederlage enden könnte.


Renzi könnte bereits Parlamentsneuwahlen planen

Der neue Staatschef tritt also, wie das Medienecho durchweg festhält, kein leichtes Erbe an. Wie die Auseinandersetzungen weiter gehen, bleibt offen. Für Renzi, der zwar gestärkt aus den Präsidentenwahlen hervorgeht, steht als nächste Machtprobe die Auflösung des Senats als zweiter Kammer an, der Berlusconis zustimmen muss und damit sein letztes Druckmittel verlieren würde. Aber Renzi könnte bereits die nächste Überraschung parat haben: Neuwahlen, bei denen er sowohl die offen zutage getretene Zersplitterung der extrem Rechten als auch den Aufschwung, den die Präsidentenwahl seiner PD verschafft hat, nutzen könnte. Wenn er dann auch noch verhindern will, dass Berlusconi kandidiert, muss er sich allerdings beeilen. Das über den Ex-Premier verhängte zweijährige Ämterverbot läuft im Oktober aus. Aber Neuwahlen ausschreiben und dazu vorher das Parlament auflösen darf nur der Staatschef. Bleibt die Frage, ob Mattarella dazu schon so schnell bereit sein wird.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2015