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ARTIKEL/003: Der Widerstand gegen das transatlantische Freihandelsabkommen gewinnt an Tragweite (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2015
Ökosystem Boden
Die dünne Haut der Erde

Alles TTIP oder was?
Der Europäische Widerstand gegen das transatlantische Freihandelsabkommen gewinnt an Tragweite

Von Nelly Grotefendt


Anfang Februar trafen sich in Brüssel erneut amerikanische und europäische VerhandlerInnen des Freihandelsabkommens zwischen den USA und der EU (Transatlatic Trade and Investment Partnership, TTIP). Die Verhandlungen gingen somit in die achte Runde, aber ein Ende scheint nicht in Sicht. Der ursprünglich angesetzte Zeitplan, das Abkommen im Jahre 2015 zu verabschieden, scheint in weite Ferne gerückt. Und das gibt der aktiven Zivilgesellschaft Zeit, sich in ganz Europa und auf der anderen Seite des Atlantiks zu organisieren. Denn der Widerstand gegen TTIP ist längst kein deutsches Phänomen mehr, das vom Rest Europas nur ungläubig beäugt wird.


Nur zu gerne wurde der Protest gegen das derzeit verhandelte Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA als Eigenheit der dickköpfig und emotional getriebenen deutschen Zivilgesellschaft inszeniert. Zu gerne würden die EU-Kommission und andere TTIP-Befürworter weiter an diesem Bild festhalten, doch langsam bröckelt es und gibt den Blick auf eine transatlantische Protestbewegung frei. Parallel zur achten offiziellen Verhandlungsrunde trafen sich in Brüssel die europäische TTIP-kritische Zivilgesellschaft und ihre amerikanischen Verbündeten zum Austausch. An den über 180 TeilnehmerInnen aus 26 Ländern lässt sich der wachsende Erfolg der TTIP-kritischen Bewegung ablesen. Die Länderberichte, die das Treffen eröffneten, illustrierten diesen Erfolg.

Auch im Osten rührt sich was

Obwohl die kritische Debatte noch nicht in allen Ländern angekommen ist, nimmt sie doch auch in den Ländern mit Zivilgesellschaft, die bisher wenig aktiv in globalisierungskritischen Fragen war, langsam an Fahrt auf. Slowenien, Kroatien, Rumänien und selbst Ungarn sowie Bulgarien verzeichnen rasch wachsende Kampagnenbündnisse gegen TTIP. Nicht zuletzt zeigt dies auch die rasant zunehmende Anzahl der Stimmen, welche die selbstorganisierte europäische BürgerInneninitiative "Stop TTIP" in diesen Ländern derzeit sammelt. Auf der Agenda dieser Länder stehen unter anderem genmanipuliertes Saatgut und Rohstoffe sowie das Streben nach Gerechtigkeit und Demokratie, das sich durch die gesamteuropäische Debatte zieht.

Recht still war es bisher um die Nordlichter Europas, doch allmählich regt sich insbesondere in Finnland der Widerstand. Hier hat ein aus 15 Organisationen bestehendes, noch kleines Netzwerk, in den sozialen Medien eine rege Debatte losgetreten, der derzeit auch die traditionellen Medien ergriffen hat. Im Süden Europas geraten die TTIP-BefürworterInnen wie etwa in Spanien immer mehr in Bedrängnis. Die schnell wachsende Podemos-Bewegung - übersetzt "Wir können" - und die regionalistischen Parteien greifen die amtierende Regierung immer mehr an. Es wird zunehmend wahrscheinlicher, dass Spanien in den anstehenden Wahlen ein ähnliches Szenario wie Griechenland ereilt und Konservative wie Sozialisten sich in der Opposition wiederfinden werden. Griechenlands neue Regierung hat durch seine klare Ablehnung gegenüber TTIP in den letzten Wochen eine wichtige Signalwirkung für ganz Europa generiert. In wie weit das eine griechische Bewegung beflügelt, bleibt abzuwarten, bisher gibt es kein landesweites Bündnis.

Im Westen immer was Neues

In Großbritannien mausert sich die Bewegung gegen TTIP langsam zu einem zentralen Streitthema. Der befürchtete Privatisierungsdruck auf den National Health Service, die nationale Gesundheitsversorgung, mobilisiert neben der Zivilgesellschaft nun auch die Parteien jenseits von Konservativen und Labour. Letztere baden sich bisher noch im TTIP-Optimismus, aber von Links über Grün bis hin zu den schottischen Nationalisten rütteln die übrigen Parteien, durch TTIP aufgeweckt, am Zwei-Parteien-System der Insel. Dass das Thema auch bei den AktivistInnen angekommen ist, zeigte nicht zuletzt die Aktion vor dem Gebäude der Europäischen Kommission. Am Mittwoch der Verhandlungswoche war das TTIP Abkommen in Gestalt eines lebensgroßen Trojanischen Pferdes auf der Protestaktion in Erscheinung getreten. Rund 200 AktivistInnen aus Großbritannien reisten eigens für diese Aktion an.

Auch in kleineren Ländern wie etwa Belgien tut sich etwas. Durch den öffentlichen Druck der Zivilgesellschaft hat die Regionalregierung von Wallonien verlauten lassen, sie werde TTIP nicht ratifizieren. Belgien befindet sich ähnlich wie Deutschland, wo neben dem Bundestag auch der Bundesrat dem Abkommen zustimmen muss, in der Situation, dass die Regionen wie eben Wallonien oder auch Flandern der Ratifizierung zustimmen müssen. Frankreich zeigt mit seinem Beispiel von Dutzenden von "TTIP-freien Zonen", wie Städte und Regionen sich erfolgreich in den Widerstand einbringen können. Der Senat ließ in der Verhandlungswoche verlauten, dass er das umstrittene Investor-Staat-Klagerecht aus TTIP und anderen Abkommen streichen will.

Anhaltende Proteste in Europa

Warum also gibt es anhaltenden, ja sogar massiv wachsenden Widerstand der Anti-TTIP-Bewegung? Keines der vorgebrachten Argumente der TTIP-Verteidiger und der Kommission konnte das wachsende Misstrauen und den Protest in Europa beruhigen. Vielmehr scheint es so, als ob die Kommission mit ihren Transparenz-Offensiven der letzten Wochen, die eigentlich dazu gedacht waren den KritikerInnnen den Wind aus den Segeln zu nehmen, von einem Fettnäpfchen ins andere trete. Zum einen sind die kürzlich veröffentlichten Dokumente unzulänglich und bestehen größtenteils aus schon bekannten Unterlagen und Positionspapieren, die nicht verhandlungsrelevant sind. Das führte nur dazu, dass sich KritikerInnen eher nicht ernst genommen fühlten in ihren Forderungen nach mehr Transparenz. Zum anderen bleibt die Kommission bei zentralen Themen uneinsichtig. So waren alle Augen im Januar nach Brüssel gerichtet, da endlich die im Sommer durchgeführte Konsultation der Kommission zu ISDS (dem Investor-Staat-Klage-Recht) veröffentlicht wurde. Umfrageergebnisse zeigen, dass sich 97% der Befragten ablehnend dem Mechanismus gegenüber geäußert hatten. Die Kommission wiederum zieht daraus aber nicht die einzig mögliche Schlussfolgerung: Kein ISDS in den Freihandelsabkommen. Ihre anhaltende, positive Haltung gegenüber ISDS hat den Widerstand weiter befeuert.

Blick über den Tellerrand

Der Widerstand gegen TTIP ist kein rein europäisches Phänomen, auch in den USA hat sich längst ein Anti-TTIP-Aktivismus gebildet. Deren Unterstützer bangen derzeit um die anstehende Entscheidung zu dem so genannten Fast-Track-Verfahren. Fast-Track würde es dem US-Präsidenten ermöglichen, das Abkommen im Alleingang fertig zu verhandeln. Der US-Kongress, Sitz des US-Senats und Abgeordnetenhauses, hätte im entscheidenden Moment nur noch die Möglichkeit, das Abkommen abzulehnen oder anzunehmen - die Mitglieder des Senats verzichten somit auf ihr Recht der Einzelabstimmung über die Feinheiten des Abkommens. Die Situation wäre dann interessanterweise ähnlich wie in Europa. Denn hier haben beispielsweise Bundestag und Bundesrat nur die finale Entscheidungsmacht über das Abkommen und können nicht bei einzelnen Punkten des Abkommens mitreden. (Bisher haben sie paradoxerweise aber auch nicht mehr Beteiligung eingefordert.)

Die amerikanische NGO Institute for Agriculture and Trade Policy aus Washington warnt eindringlich davor, dass sich Mitglieder des US-Kongresses durch Fast-Track ihrer Verantwortung entziehen. Handelsabkommen betreffen eine breite Palette von Gesetzen und Programmen, die sich beispielsweise auf Lebensmittelsicherheit, Pestizide, genmanipulierte Organismen sowie Patente auf Saatgut beziehen. Sie untergraben somit die Bemühungen von nationalen Initiativen. Hierzu zählt beispielsweise das "farm to school"-Programm. Das Programm sorgt dafür, dass das Schulessen bevorzugt von lokalen ErzeugerInnen geliefert wird und somit lokale Unternehmen gestärkt werden und die Lebensmittel aus einer sicheren und nahen Umgebung stammen. Diese bewusste Bevorzugung von lokalen AnbieterInnen würde unter TTIP wegfallen, weil es sich um eine Diskriminierung der ausländischen MarktteilnehmerInnen, wie etwa großen deutschen Lebensmittelunternehmen, handeln würde.

Gemeinsamer Widerstand am 18. April!

Der wachsende Widerstand auf beiden Seiten des Atlantiks zeigt klar und deutlich, dass sich Bürgerinnen und Bürger nicht so einfach beruhigen lassen. Die Bewegung wächst und zeigt der globalen Bevölkerung, dass es gute Gründe gibt, nicht alles mit einem Schulterzucken hinzunehmen.

Die nächste Möglichkeit sich gemeinsam gegen Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA zu engagieren steht schon vor der Tür. Angelehnt an den europäischen Aktionstag im Oktober vergangenen Jahres wird am 18. April der globale Aktionstag gegen Freihandel stattfinden. Weltweit werden wir mit kreativen und dezentralen Aktionen den Widerstand gegen Freihandelsabkommen, die ohne unsere Zustimmung verhandelt werden, auf den Straßen sichtbar machen. Denn transatlantische Partnerschaft geht anders - TTIP ist unfairHandelbar!


Autorin Nelly Grotefendt ist Referentin für Handelspolitik beim Forum Umwelt und Entwicklung


Mehr Infos unter:
http://www.ttip-unfairhandelbar.de/start/aktionstag/

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2015, S. 17-18
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2015

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