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MARKT/035: Kritik an länderübergreifenden Milcherzeugergemeinschaften (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 340 - Januar 2011,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Das ist eine Kampfansage an die Milcherzeuger
Der AbL-Vorsitzende kritisiert den Vorschlag der EU-Kommission und fordert Aigner zum Gegensteuern auf

Von Ulrich Jasper


BAUERNSTIMME: Der EU-Agrarkommissar schlägt vor, dass sich Europas Milchbauern in Erzeugergemeinschaften bündeln dürfen, auch länderübergreifend, um zu mehr Marktmacht gegenüber den Molkereien zu kommen. Warum kritisiert die AbL den Vorschlag?

F. W. GRAEFE ZU BARINGDORF: Wir haben einen gesetzlichen Rahmen für das Recht der Bauern zur Bündelung in der ganzen EU immer eingefordert. Aber das, was die Kommission nun vorschlägt, bringt den europäischen Milcherzeugern nicht die notwendige Marktmacht. Gegenüber dem Recht und den Möglichkeiten der Milcherzeuger in Deutschland, die sie nach dem deutschen Marktstrukturgesetz haben, ist es sogar ein erheblicher Rückschritt. Notwendig gewesen wäre aber, die jetzigen Möglichkeiten, die das Marktstrukturgesetz bietet, in den EU-weiten Rechtsrahmen aufzunehmen.

BAUERNSTIMME: Worin besteht dieser Rückschritt?

F. W. GRAEFE ZU BARINGDORF: Das Marktstrukturgesetz nennt überhaupt keine Zahl für einen zulässigen Grad der Bündelung. Das Bundeskartellamt hat immer wieder betont, dass es von sich aus erst ab einer Bündelung der Milcherzeuger bei 75 Prozent mit der wettbewerbsrechtlichen Prüfung beginnen wird. Die Kommission schlägt jetzt aber vor, dass national maximal 33 Prozent der Milcherzeugung gebündelt werden darf. Für Deutschland noch schärfer ist die zweite vorgeschlagene Grenze von 3,5 Prozent der EU-Milchmenge, womit bei rund 5 Millionen Litern die Bündelung eingestellt werden müsste. Bezogen auf die deutsche Milchmenge wäre damit bei rund 18 Prozent Bündelung Schluss, während sich die Molkereien - auch die Genossenschaften - weiter faktisch unbegrenzt konzentrieren können.

BAUERNSTIMME: Die deutschen Genossenschaftsverbände und Bauernverbände jubeln.

F. W. GRAEFE ZU BARINGDORF: Genossenschafts- und Bauernverbände bejubeln mal wieder ihre Durchsetzung von Industrieinteressen. Sie haben Einfluss genommen nicht nur darauf, dass der erste Bündelungsvorschlag von Agrarkommissar Ciolos von 75 Prozent auf 49 Prozent und schließlich auf 33 Prozent abgesenkt wurde. Sie legen zudem den Vorschlag der Kommission so aus, dass sich in Milch-Erzeugergemeinschaft nur Lieferanten von Privatmolkereien bündeln dürfen, nicht aber milchliefernde Mitglieder von Genossenschaftsmolkereien. In Deutschland wären damit 70 Prozent der Milch von der Bündelung ausgeschlossen. Das ist eine Kampfansage an die Milcherzeuger.

BAUERNSTIMME: Aus Sicht der Kommission ist eine Genossenschaft schon eine Bündelung der Bauern.

F. W. GRAEFE ZU BARINGDORF: Dann müsste in Deutschland ja alles in bester Ordnung sein. Molkerei-Genossenschaften bündeln ihre Marktmacht aber eher gegen die Interessen der Bauern. Auch deshalb ist der Milchpreis im "Genossenschafts-Deutschland" im Jahr 2009 tiefer abgesackt als in anderen EU-Mitgliedstaaten.

BAUERNSTIMME: Aber jetzt liegt Deutschland leicht über dem EU-Durchschnitt.

F. W. GRAEFE ZU BARINGDORF: Aber das musste von den Milchbauern gegen die Genossenschaften durchgekämpft werden. Der Unmut der Milcherzeuger ist gerade in Deutschland und ganz besonders bei den genossenschaftlichen Molkereien groß. Übrigens hat sogar das Kartellamt den fehlenden Einfluss besonders der Genossenschafts-Mitglieder auf den Milchpreis beschrieben und kritisiert. Es ist schon frech, wie der Bauernverband sich hinstellt und die hiesigen Verhältnisse als Vorbild für ganz Europa bezeichnet.

BAUERNSTIMME: Was ist, wenn die EU dem Streit mit der Genossenschaftslobby aus dem Weg geht und es bei dem Vorschlag belässt? Ist dann das deutsche Milch Board, in dem viele Genossen gleichzeitig Mitglied sind, am Ende?

F. W. GRAEFE ZU BARINGDORF: Ob das Milch Board von dem EU-Vorschlag negativ betroffen ist und eingegrenzt wird, ist eher unwahrscheinlich, weil es bisher keine Lieferverträge mit Molkereien aushandelt. Aber wenn Genossenschafts-Molkereien außen vor bleiben bei jeglicher Begrenzung, dann gründen wir eben Genossenschaften gegen die Genossenschaften, die dann die Auseinandersetzung mit den Molkereien und der Milchindustrie führen.

BAUERNSTIMME: Was steht nun an?

F. W. GRAEFE ZU BARINGDORF: Ein gesetzlicher Rahmen für das Recht auf Zusammenschluss der Milchbauern in ganz Europa ist richtig und notwendig. Aber die engen Grenzen müssen fallen und auch die Genossenschaftsmitglieder müssen sich in einer Erzeugergemeinschaft zusammenschließen können. Jetzt liegt der Vorschlag der Kommission in den Händen von Ministerrat und Europäischem Parlament. Weil wir aber nicht davon ausgehen können, dass Ministerin Aigner, aber auch die Europa-Abgeordneten die notwendigen Änderungen schon durchsetzen werden, ist eine öffentliche Diskussion und ein möglichst geschlossenes Eintreten der Milcherzeuger für ihre eigenen Interessen erforderlich. Nur mit einer gebündelten Marktmacht können die Milcherzeuger über eine bedarfsorientierte Ausrichtung der Milchmenge auf dem Markt auch langfristig einen ordentlichen Milchpreis erzielen, und nur über die gebündelte Einflussnahme bewegt sich auch die Politik.

BAUERNSTIMME: Vielen Dank für das Gespräch


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 340 - Januar 2011, S. 6
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2011