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GRENZEN/146: Nützliche Milizen (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 2. Februar 2018
german-foreign-policy.com

Nützliche Milizen


BERLIN/KHARTUM - Die EU profitiert bei Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr in Ostafrika vom Einsatz sudanesischer Milizen, mit deren mörderischen Aktivitäten sie vor Jahren die Unterstützung einer Klage gegen den sudanesischen Präsidenten vor dem Internationalen Strafgerichtshof begründete. Dabei handelt es sich um die einstige Janjaweed-Miliz, die schwerster Verbrechen im Bürgerkrieg in Darfur beschuldigt wurde und heute als Rapid Support Forces an der sudanesischen Grenze Jagd auf Flüchtlinge macht. Beihilfe bei der "Aufnahme" festgenommener Flüchtlinge will laut Berichten die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) leisten. Die EU stellt sogar dreistellige Millionensummen für die Flüchtlingsabwehr im Sudan zur Verfügung - obwohl die sudanesischen Repressionsapparate für ihren brutalen Umgang mit Migranten berüchtigt sind. Die Kooperation bei der Flüchtlingsabwehr ist eingebunden in eine allgemeine Wiederannäherung zwischen den westlichen Mächten und Khartum, die unter anderem geheimdienstliche Zusammenarbeit umfasst.

Der Khartum-Prozess

Grundlage der aktuellen Kooperation zwischen Berlin, Brüssel und Khartum bei der Abwehr von Flüchtlingen ist der "Khartum-Prozess", der im November 2014 auf einer Ministerkonferenz in Rom gestartet wurde - unter dem offiziellen Titel "EU-Horn of Africa Migration Route Initiative". Das Großprojekt zielt darauf ab, unerwünschte Migration aus Ostafrika in Richtung Mittelmeer zu beenden und damit die Zahl der Flüchtlinge, die nach Europa gelangen, signifikant zu verringern. Beteiligt sind alle Mitglieder der EU, Norwegen und die Schweiz sowie auf afrikanischer Seite elf Staaten von Tunesien bis Kenia [1]. Der Khartum-Prozess wird von einem Steering Committee gelenkt, dem fünf Staaten der EU - darunter Deutschland -, fünf Staaten Afrikas - darunter Sudan - sowie die EU-Kommission, der Europäische Auswärtige Dienst und die Kommission der Afrikanischen Union (AU) angehören.[2] Den - wechselnden - Vorsitz hat derzeit Äthiopien inne; folgen wird ihm Italien.

Sudans Kehrtwende

Dass die EU Khartum in den Khartum-Prozess nicht nur eingebunden, sondern das Vorhaben sogar nach ihm benannt hat, wirkt auf den ersten Blick überraschend: Schließlich hatten die westlichen Mächte, darunter Berlin und die EU, noch vor wenigen Jahren versucht, den von aufständischen Milizen bedrohten sudanesischen Präsidenten Omar al Bashir zu stürzen. Im Jahr 2009 hatte - auf Drängen auch der Bundesrepublik - der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen Al Bashir wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen erwirkt, den inzwischen freilich eine wachsende Zahl an Ländern boykottiert.[3] Allerdings hat der Sudan schon vor dem Start des Khartum-Prozesses eine politische Kehrtwende eingeleitet - eine klare Wiederannäherung an den Westen; inzwischen beteiligt er sich an der Seite Saudi-Arabiens am Krieg im Jemen und stellt sich der EU sowie den USA bei der Realisierung von deren Interessen in Ostafrika zur Verfügung. Den Vereinigten Staaten liefert sein Geheimdienst NISS (National Intelligence and Security Service) Informationen über jihadistisch e Strukturen in Ostafrika und im Sahel; dazu hat die CIA im September 2016 einen Kooperationsvertrag mit ihm geschlossen.[4] Der Bundesrepublik sowie der EU wiederum stellt sich der Sudan als Partner bei der Abwehr von Flüchtlingen zur Verfügung - im Khartum-Prozess.

Gewalt gegen Flüchtlinge

Dem steht nicht entgegen, dass der Sudan für seinen brutalen Umgang mit Flüchtlingen berüchtigt ist. Aktuellen Berichten zufolge greifen die sudanesischen Repressionsapparate monatlich hunderte nicht registrierte Flüchtlinge auf und stellen sie in Khartum vor Gericht; alle, die eine Strafe von 360 US-Dollar nicht bezahlen können, werden in ihre Heimatländer abgeschoben, auch wenn ihnen dort Verfolgung und Folter drohen.[5] Zuweilen werden sogar registrierte Flüchtlinge deportiert. Migranten, die an der sudanesischen Grenze aufgegriffen wurden, berichten, bei ihrem Transport in sudanesische Flüchtlingslager sei keinerlei Rücksicht auf sie genommen worden; Dutzende seien auf der mehrtägigen Reise verdurstet, verhungert oder an Krankheiten gestorben. Auch in dem Lager, in das sie gebracht worden seien, seien mehrere zu Tode gekommen, weil die medizinische Versorgung völlig unzureichend gewesen sei.[6] Gewalt gegen Flüchtlinge ist allgemein verbreitet; dies schließt sexuelle Gewalt gegen Frauen durch Angehörige der Repressionsapparate ein.

Motorräder für den Geheimdienst

Von der EU hat Sudan bislang mehr als 200 Millionen US-Dollar zur Flüchtlingsabwehr erhalten. Offiziell heißt es in Brüssel, die Mittel dienten dazu, Flüchtlinge zu schützen und ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Laut einer Untersuchung von Oxfam trifft dies so nicht zu.[7] Demnach wurden von den 400 Millionen Euro, die Brüssel insgesamt im Zusammenhang mit dem Khartum-Prozess für das "Migrationsmanagement" bereitstellte, lediglich drei Prozent für Schutzmaßnahmen verwendet; vier Prozent wurden für PR-Maßnahmen gegen Migration genutzt, 13 Prozent zur Feststellung der Identität von Flüchtlingen, 25 Prozent für politische Reformen zur verstärkten Abschiebung, 55 Prozent zur Förderung unmittelbarer Migrationskontrolle. Die EU-Maßnahmen im Sudan umfassen nicht zuletzt Ausrüstung und Training der Grenzpolizei. Offiziell behauptet Brüssel, keinerlei direkte Unterstützung für die sudanesischen Repressionsapparate zu leisten. Tatsächlich tun dies jedoch diverse Mittlerorganisationen, die die EU mit der praktischen Umsetzung ihrer Vorhaben beauftragt - Organisationen wie die International Organization for Migration (IOM) oder der UNHCR. Der UNHCR etwa hat unlängst gegenüber der unabhängigen Nachrichtenplattform IRIN eingeräumt, in der unweit der sudanesisch-eritreischen Grenze gelegenen Großstadt Kassala den sudanesischen Geheimdienst NISS mit Motorrädern ausgestattet zu haben.[8] Der NISS ist dafür berüchtigt, Oppositionelle und Menschenrechtler willkürlich zu verhaften und sie zu foltern. Die Tatsache, dass Organisationen wie der UNHCR für Brüssel die Schmutzarbeit übernehmen, ist auch hinsichtlich der Flüchtlingsabwehr in Libyen sowie in Niger aufschlussreich, wo IOM und UNHCR im Namen der EU umfassend tätig sind.[9]

Die GIZ im Sudan

Scharfe Kritik richtet sich aktuell gegen die staatliche deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die seit geraumer Zeit ein "Polizeiprogramm Afrika" durchführt - auch in Sudan [10] - und nun zudem ein Projekt namens Better Migration Management (BMM) koordiniert. Laut einem Bericht von IRIN will die GIZ im Rahmen des BMM in der nordsudanesischen Stadt Dongola ein "Zentrum" aufbauen, das Hilfestellung bei der "Aufnahme" von Flüchtlingen leisten soll, die an der Grenze aufgegriffen wurden. Bei BMM gehe es nur darum, "Flüchtlinge zu schützen", äußerte der deutsche Projektleiter Martin Weiß gegenüber IRIN. Auf die Frage, wie im Kontext von BMM Menschenrechtsverletzungen unterbunden werden sollten, erhielt IRIN von einem EU-Vertreter die Antwort, man sei nicht der Auffassung, dass im Sudan "ein großes Risiko" staatlicher Übergriffe gegen Migranten bestehe. Die EU entsende regelmäßig Kontrollpersonal in den Sudan. IRIN weist darauf hin, dass solche Besuche ihrerseits "von der Regierung und den Sicherheitsbehörden intensiv kontrolliert werden" - etwa durch Polizisten und Geheimdienstler, die sämtliche Gespräche mitprotokollierten.[11]

Nur umbenannt

Bei ihren Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr in Ostafrika profitieren Berlin und Brüssel vom Einsatz der Rapid Support Forces (RSF), einer Miliz, die seit dem Beginn des Khartum-Prozesses die sudanesischen Grenzen kontrolliert. Die RSF sind im Jahr 2013 durch Umbenennung aus der Janjaweed- Miliz hervorgegangen, die für ihr mörderisches Vorgehen im Bürgerkrieg in Darfur berüchtigt ist; mit ihren dortigen Verbrechen begründeten Berlin und die EU vor mehreren Jahren ihre Unterstützung für die Anklage gegen Sudans Präsidenten Al Bashir vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Die RSF operieren noch heute brutal - jetzt allerdings gegen Flüchtlinge. Im September berichteten sie, sie hätten in erbitterten Kämpfen 28 Menschenschmugglergetötet. Zur Zahl der Flüchtlinge, die dabei womöglich ebenfalls ums Leben gekommen sind, gaben sie keine Äußerung ab.[12] Mit Strafmaßnahmen der EU haben sie - anders als im Bürgerkrieg in Darfur - bislang nicht zu rechnen.


Anmerkungen:

[1] Dem Khartum-Prozess gehören auf afrikanischer Seite acht Staaten Ostafrikas (Sudan, Äthiopien, Eritrea, Dschibuti, Somalia, Südsudan, Uganda, Kenia) sowie die drei für die Abwehr von Migration aus Ostafrika wichtigen Mittelmeeranrainer Ägypten, Libyen und Tunesien an.

[2] Die Mitglieder des Steering Committee sind auf europäischer Seite Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien und die Niederlande, auf afrikanischer Seite Ägypten, Sudan, Südsudan, Äthiopien und Eritrea.

[3] S. dazu Instrument westlicher Machtpolitik.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/4245/

[4] Annette Weber: Sudan: Vom Schurkenstaat zum Partner. swp-berlin.org 10.07.2017.

[5], [6] Caitlin L. Chandler: Inside the EU's flawed $200 million migration deal with Sudan. irinnews.org 30.01.2018.

[7] An Emergency for Whom? Oxfam Briefing Note. November 2017.

[8] Caitlin L. Chandler: Inside the EU's flawed $200 million migration deal with Sudan. irinnews.org 30.01.2018.

[9] S. dazu Europäische Werte (II)
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/5906/
und Ab in die Wüste.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7464/

[10] S. dazu Polizeiprogramm Afrika.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/6801/

[11] Caitlin L. Chandler: Inside the EU's flawed $200 million migration deal with Sudan. irinnews.org 30.01.2018.

[12] Hiba Morgan: Sudan's RSF unit accused of abuses against migrants. aljazeera.com 17.11.2017.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2018

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