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SCHULDEN/043: Die Euro-Krise als Demokratiekrise (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 137/September 2012
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

It's banks, stupid! Die Euro-Krise als Demokratiekrise

von Mattias Kumm



Kurzgefasst: Die Hauptursache für die Krise in Europa ist nicht die undisziplinierte Fiskalpolitik einzelner Staaten, sondern eine Symbiose zwischen öffentlichen Haushalten und Banken, die zulasten der öffentlichen Haushalte und zugunsten privater Banken geht. Diese Symbiose muss durch die Etablierung einer Fiskal- und Bankenunion aufgebrochen werden. Die EZB muss in Kooperation mit dem ESM "lender of last resort" werden. Die Banken und der Finanzsektor sollten so geregelt werden, dass sie ohne massive öffentliche Transfers auskommen.


Die Euro-Krise ist auch eine Demokratiekrise. Das zentrale Problem ist allerdings nicht ein drohender Verlust demokratischer Staatlichkeit der Mitglieder der Europäischen Union, wenn sie den Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) und den Fiskalpakt ratifizieren - wie die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nahelegt. Die Demokratie ist auch nicht primär dadurch bedroht, dass einzelne Mitgliedsstaaten auf unverantwortliche Weise von Möglichkeiten Gebrauch gemacht haben, die durch die Währungsunion und den gemeinsamen Markt entstanden sind, und nunmehr durch Solidaritätsforderungen Außenstehenden die Kosten ihres unverantwortlichen Wirtschaftens aufbürden. Die Euro-Krise ist zur Herausforderung für die Demokratie geworden, weil zwischen öffentlichen Haushalten und dem Bankensystem in Europa asymmetrisch-symbiotische Beziehungen bestehen.

Die unzulängliche Regulierung des Bankenwesens ermöglicht es scheiternden Banken, den Staat zur Rettung zu zwingen, um die Ansteckungsgefahr auf die Realwirtschaft zu bannen. Profite bleiben so privatisiert, aber Verluste werden sozialisiert. Diese Formel ist nicht als populistisch abzutun, bloß weil sie zur politischen Mobilisierung taugt. Sie beschreibt auf frappierende Weise die Wirklichkeit: In der Zeit zwischen Oktober 2008 und Oktober 2011 hat die Europäische Kommission 4,5 Billionen (das sind 37 Prozent des europäischen Bruttosozialprodukts und mehr als das Sechsfache des Stammkapitals des ESM) an Staatshilfen für Finanzinstitutionen genehmigt. Bankenrettungen - die volkswirtschaftlich kostenträchtigen Externalitäten eines schlecht geregelten Bankensektors - sind eine wesentliche Ursache für die wachsende Verschuldung der Mehrheit hilfsbedürftiger Staaten in der Eurozone.

Gleichzeitig können die Euro-Staaten aus rechtlichen Gründen nicht auf eine Zentralbank als "lender of last resort" zurückgreifen - wie das in anderen hochverschuldeten Staaten wie Japan oder den USA möglich ist. Das schafft Unsicherheit, die auf dem Finanzmarkt schnell zu höheren Leihkosten für Staaten führt und insgesamt Volatilität durch Spekulationsanfälligkeit fördert. Haben Finanzmärkte einen Staat in die Knie gezwungen, sind wiederum die Banken gefährdet. Es bestehen starke Anreize für Banken, in Staatsanleihen zu investieren. Banken sind als Staatsanleihekäufer von Eigenkapitalvorschriften befreit, können die Staatsanleihen als Sicherheit bei der Europäischen Zentralbank (EZB) hinterlegen und werden von ihr billig mit Kredit versorgt. Wenn es schief geht, werden die Banken wiederum durch die öffentliche Hand kapitalisiert. So schließt sich der Kreis der organisierten Verantwortungslosigkeit. Er muss durch eine entsprechend strukturierte Banken- und Fiskalunion aufgebrochen werden.

Dass die Ursache der Finanzierungsschwierigkeiten von Euro-Staaten nicht unbedingt das Resultat undisziplinierter mitgliedsstaatlicher Fiskalpolitik und noch nicht einmal das Resultat hoher Staatsverschuldung sein muss, zeigen aktuelle Beispiele. Anfang August 2012 haben die Ratingagenturen Moody's und Standard and Poor's die Kreditwürdigkeit von Slowenien massiv gesenkt und damit die Finanzierungskosten für Slowenien weiter nach oben getrieben. Warum? Slowenien galt beim EU-Beitritt 2004 und bei der Euro-Einführung 2007 als Musterland. Sloweniens Gesamtverschuldung liegt nach wie vor bei unter 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Hauptgrund für die Herabstufung sind die faulen Kredite slowenischer Banken in Milliardenhöhe. Es bestehe, so Moody's, eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die drei größten Banken des Landes, Nova Ljubljanska banka, Nova Kreditna banka Maribor und Abanka Vipa, eine staatliche Kapitalspritze von bis zu 8 Prozent des BIP benötigten. Unter diesen Umständen sei nicht damit zu rechnen, dass die Regierung das Defizit in den Griff bekommt. Die Renditen slowenischer Staatsanleihen sind zuletzt stark gestiegen. Zudem leidet die Haushaltslage unter dem krisenbedingt geringen Wachstum. Es werde erwartet, dass Slowenien entweder ganz unter den Euro-Rettungsschirm schlüpft oder nach dem Vorbild Spaniens um EU-Bankenhilfe ersucht.

Das europapolitisch gewichtigere Beispiel Spanien ist zum Teil ähnlich gelagert. Bis zum Beginn der Finanzkrise 2008 war Spanien in geringerem Maße verschuldet als Deutschland. Das änderte sich erst allmählich mit der Finanzkrise und dem Platzen der Immobilienblase in Spanien, die auch zu erheblichen öffentlichen Kapitalflüssen in den Bankensektor führten. Die bis zu 100 Milliarden Euro, die Spanien im Juli von den EFSM/EFSF (den Vorläufern des ESM) bewilligt worden sind, fließen ausschließlich gefährdeten spanischen Banken zu. Auch Irland hatte bis zu dem Zeitpunkt, als öffentliche Haushalte die scheiternden Banken mit Kapital versorgen mussten, keine ernsthaften Probleme mit den Maastricht-Stabilitätskriterien.

Selbst das Beispiel Griechenland ist kein Beleg dafür, dass fiskalpolitische Disziplinlosigkeit ein Kernproblem der Eurozone darstellt. Es ist richtig, dass Griechenland mit der Hilfe von Goldman Sachs und raffinierten Bilanzierungstricks unter zweifelhaften Bedingungen die politisch von allen befürwortete Euro-Mitgliedschaft erlangte (siehe hierzu Kurt Biedenkopfs Darstellung in diesem Heft, S. 7 [Printausgabe]). Zudem wurden Griechenlands wichtige Wirtschaftssektoren Tourismus und Schifffahrt besonders von der Rezession 2008 und 2009 getroffen. Aber was macht das griechische Problem der Zahlungsunfähigkeit zu einem genuin europäischen Problem? Die gemeinsame Währung ist zunächst vor allem für Griechenland ein Problem, weil Griechenland nicht die Option hat, die Schuldenlast durch Abwertung der nationalen Währung auf sozialverträgliche Art und Weise abzubauen. Der mögliche Ausfall Griechenlands als Schuldner ist vor allem deshalb ein Problem für die öffentlichen Haushalte anderer Mitgliedsstaaten, weil europäische Großbanken, auch und gerade aus Frankreich und Deutschland, Inhaber griechischer Staatsanleihen waren. So ist der im März 2012 vereinbarte griechische Schuldentausch, der von den teilnehmenden Banken erhebliche Opfer verlangte, der Hauptgrund dafür, dass Zypern, dessen Banken 22 Milliarden griechische Staatsanleihen hielten, nunmehr hilfsbedürftig ist. Banken geraten nicht nur wegen geplatzter Immobilienblasen in Gefahr (wie in Irland, Spanien oder Slowenien), sondern auch, weil sie als Inhaber von Staatsanleihen von staatlichen Zahlungsausfällen direkt betroffen sind. Banken halten aber in hohem Maße Staatsanleihen, weil die EZB ihnen billig Geld leiht und sie ermuntert werden, mit diesem Geld Staatsanleihen zu kaufen, da der Kauf von Staatsanleihen nicht den Vorschriften über Eigenkapitalanforderungen unterliegt.

Auch zur Wiederherstellung des Primats demokratisch verantworteter Politik gegenüber den Finanzmärkten muss die Symbiose zwischen öffentlichen Haushalten und Banken aufgebrochen und das Verhältnis zwischen Staaten und Finanzmärkten umgekehrt werden. Dabei geht es darum sicherzustellen, dass in Zukunft Staaten nicht mehr zur Bankenrettung herangezogen werden müssen, dass Staaten ihrerseits aber unter bestimmten Umständen auf die EZB in Kooperation mit dem ESM zurückgreifen können. Durch entsprechende Regulierung ist dafür zu sorgen, dass nicht nur Staaten, sondern auch Banken und andere Finanzmarktakteure angemessen begrenzt und diszipliniert werden. Dazu muss zweierlei geschaffen werden: eine entsprechend strukturierte Fiskalunion und eine Bankenunion.

Die Fiskalunion muss einen über den ESM vermittelten Rückgriff auf die EZB als "lender of last resort" für Staaten gewährleisten. Auf den Finanzmärkten muss Klarheit darüber herrschen, dass jede Spekulation gegen die Zahlungsfähigkeit eines Staates zwecklos ist. Dadurch wird Volatilität unterbunden, und das schafft Vertrauen. Die durch die EZB garantierte Liquidität muss mit hinreichend robusten fiskalischen Kompetenzen zur Aufsicht und Kontrolle der nationalen Haushalte einhergehen. Das kann im Rahmen des ESM dadurch geschehen, das die EZB den ESM durch Gouverneursbeschluss als Geschäftsbank anerkennt. Der ESM könnte dann praktisch unbegrenzt Kredite gewähren und außerdem, in Verbindung mit entsprechenden Konditionen, direkt Staatsanleihen gebeutelter Staaten kaufen und bei der EZB als Sicherheit hinterlegen. Private Banken dagegen sollten nicht durch Fehlanreize verleitet werden, Staatsanleihen zu kaufen, etwa durch Nichtanwendbarkeit von Eigenkapitalvorschriften, verbunden mit billiger Versorgung durch Kredite. Entweder Staatsanleihen werden auf dem Finanzmarkt zu allgemeinen Bedingungen platziert, oder die EZB versorgt die Staaten mit Geld.

Andererseits muss eine europäische Bankenunion etabliert werden. Wenn das europäische Staatsschuldenproblem in vielen Fällen im Wesentlichen das Resultat eines Externalitätenproblems des privatwirtschaftlich organisierten Bankensektors ist, müssen im Rahmen einer europäischen Bankenunion rechtliche Strukturen geschaffen werden, die sicherstellen, dass das Scheitern einer Bank oder auch einer Reihe von Banken nicht zum allgemeinen Problem für die gesamte Volkswirtschaft und die öffentlichen Haushalte wird. Das Scheitern einer Bank sollte, wie das Scheitern anderer Privatunternehmen auch, primär dessen (leitende) Angestellte, Aktionäre und Gläubiger treffen. Ein Ansatz besteht darin, durch neue Rechtsregeln das Risiko des Scheiterns von Geschäftsbanken zu reduzieren. Das soll zum Teil durch deleveraging geschehen, insbesondere durch Erhöhung der Eigenkapitalquote (Basel III), durch das Verbot besonders risikoreicher Geschäfte, die Einführung eines Eigenhandelverbots für Geschäftsbanken oder eine Veränderung der Anreize bei der Bezahlung leitender Angestellter. In den Worten des Ökonomen und Nobelpreisträgers Paul Krugman: "Banking has to be boring again." In der Diskussion steht nach wie vor auch die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die bestimmte, unter Umständen volatilitätsfördernde und das Vertrauen in Finanzmärkte untergrabende Praktiken wie das algorithmengesteuerte, automatisierte high frequency low margin trading durch prohibitive Transaktionskosten stark reduzieren würde (siehe hierzu Roni Manns Beitrag, S. 13 [der Printausgabe]).

Neben solchen präventiven Regeln sollte eine europäische Bankenaufsicht zur frühen Intervention ermächtigt werden. Schließlich sollte eine europaweite Regelung der Restrukturierung oder Abwicklung von gescheiterten Banken etabliert werden, die auf weitestgehende Immunisierung gegen Folgeeffekte ausgerichtet ist und in höchstmöglichem Maße dafür sorgt, dass Kosten internalisiert bleiben. Dabei ist auch zu prüfen, ob weitergehende Vorschläge, wie das Zerschlagen großer Privatbanken ("too big to fail is too big to exist"), ernst genommen werden müssen. Durch eine entsprechend strukturierte Fiskal- und Bankenunion kann so einerseits die politisch verantwortliche Handlungsfähigkeit demokratischer Gemeinschaften sichergestellt werden. Andererseits würden Finanzmärkte und Banken in einen rechtlichen Rahmen eingebunden, der gewährleistet, dass die Finanzmärkte ihrer allokativen Funktion in vollem Umfang gerecht werden und nicht auf massive Transfers von öffentlichen Haushalten angewiesen sind.


Mattias Kumm hat die Irmgard-Coninx-Stiftungsprofessur Rule of Law in the Age of Globalization am WZB inne und ist geschäftsführender Leiter des WZB Rule of Law Center. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Rule of Law, Europarecht, Internationales Recht, Vergleichendes Verfassungsrecht und Rechtsphilosophie.

mattias.kumm@wzb.eu

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 137, September 2012, Seite 10-12
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph. D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2012