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DILJA/031: Soziallabor Griechenland - Die Troika zieht die Daumenschrauben immer enger (SB)


Griechenland - ein gezielt erzeugter Testfall zukünftiger Aufstandsbekämpfung?



Wenn es so etwas gäbe wie den "gesunden Menschenverstand", müßte er ausgeschaltet werden, um den Versuch, die aktuelle Lage in Griechenland zu beschreiben und insbesondere das Verhalten der Troika plausibel zu erklären, zu einem überzeugenden Ergebnis zu bringen. Athen befindet sich in einem extrem hohen Abhängigkeitsverhältnis gegenüber den sogenannten Geldgebern oder vielmehr Gläubigervertretern, bestehend aus der Europäischen Union (EU), dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB). Nach den Wahlen vom 17. Juni waren die konservative Nea Dimokratia (ND), die sozialdemokratische PASOK und die Demokratische Linke (Dimar) eine gemeinsame Koalition unter Ministerpräsident Antonis Samaras eingegangen zu dem Ziel, über die Finanzierungsbedingungen neu zu verhandeln. Bekanntlich fordert die Troika im Gegenzug für ihre "Hilfs"-Pakete in Höhe von 110 und 130 Milliarden Euro einen Unterwerfungskurs der griechischen Regierung, der in der Geschichte des Landes wie auch der gesamten EU nahezu ohne Beispiel sein dürfte.

Da die radikale Linkspartei SYRIZA und ihr Präsidentschaftskandidat Alexis Tsipras vor der Wahl deutlich gemacht hatten, das Spardiktat der Troika nicht länger akzeptieren zu wollen, läßt sich der Wahlerfolg des konservativen Samaras wohl nur damit erklären, daß die griechische Bevölkerung ihm einen solchen Canossa-Gang am ehesten zugetraut hat und bereit war, die bittere Pille eines weiteren Kniefalls zu schlucken um des puren Überlebens willen. Der Lohn der Anpassung, um nicht zu sagen Unterwerfung, wird jedoch nicht gezahlt, sprich: Die Troika stellt nach wie vor Forderungen über Forderungen, die längst die Marke der Unerfüllbarkeit überschritten haben und die Knebelung Griechenlands auf immer neue, bislang unerreichte Stufen heben.

Bereits Anfang September machte der griechische Ministerpräsident Samaras deutlich, daß soziale Unruhen nicht verhindern werden können, sollte die Troika auf den jüngsten Forderungen ihres "Spar"-Programms bestehen. Samaras forderte EU, EZB und IWF auf, baldmöglichst die nächste Kredittranche in Höhe von 31,5 Milliarden Euro zu zahlen, damit die griechische Wirtschaft sich etwas erholen und die Bevölkerung ruhiggestellt werden könne. Allem Anschein nach liegt das jedoch nicht, so absurd dies auch erscheinen mag, im Interesse der europäischen "Partner" Griechenlands. Nach einem Gespräch mit Herman Van Rompuy, dem EU-Ratspräsidenten, am 7. September in Athen, erklärte Samaras, die Zurückhaltung der Griechen habe ihre Grenze erreicht. Zur Begründung verwies der griechische Regierungschef auf die Arbeitslosigkeit, die mit 24,4 Prozent explosive Dimensionen angenommen habe und stellte klar, daß die griechische Bevölkerung mit ihrer Geduld am Ende sei.

So sehen die Bedingungen, die Athen gestellt werden, unter anderem vor, daß die Regierung, um die in Aussicht gestellten Kredite zur Bedienung von Altschulden zu bekommen, weitere 11,5 Milliarden Euro in den kommenden zwei Jahren einsparen solle, und zwar bei den Renten, im Gesundheitswesen sowie beim Militär. Wenig später bezeichnete Samaras die im Sparpaket geschnürten Maßnahmen als "hart und ungerecht" [1] - eine bemerkenswerte Äußerung nicht etwa wegen ihres Inhalts, sondern angesichts der Tatsache, daß sie von einem Politiker stammt, der erklärtermaßen eine pro-europäische Regierung bilden wollte, um, wie er wohl glaubte, sein Land aus der Krise führen zu können.

Bereits Ende Mai war die Zahl der Obdachlosen in der griechischen Hauptstadt nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Praksis auf rund 13.000 Menschen angewachsen, von denen sich etwa 11.500 auf engstem Raum in verfallenen Gebäuden Athens aufhalten, während 1500 direkt auf der Straße leben. Den Angaben zufolge hat sich die soziale Zusammensetzung der Wohnungslosen verändert, sind doch mehr und mehr Familienväter im Alter zwischen 40 und 55 betroffen, die ihre Arbeit verloren haben und nicht mehr in der Lage sind, die Miete zu zahlen und ihre Familien zu ernähren. [2] Bei den Wahlen vom 17. Juni hatte die Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA) ihren vorherigen Stimmanteil auf nie zuvor erreichte 17 Prozent vervierfachen können, nachdem sie sich im Wahlkampf klar und deutlich gegen die von der EU durchgedrückten Kürzungsmaßnahmen positioniert hatte, die diese Verelendung immer weiter vorantreiben.

Nach jüngsten Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die die Erwerbslosigkeit in 178 Staaten analysiert hat, steht Griechenland mit 22,3 Prozent dicht hinter Spanien, dem mit 24,5 Prozent der unrühmliche Titel eines Weltmeisters der Arbeitslosigkeit zugesprochen wurde. Allerdings beruht der für Griechenland berechnete Wert auf im Mai erhobenen Daten; da die Arbeitslosigkeit seitdem noch weiter angestiegen ist, muß von einem noch höheren Wert ausgegangen werden. Einer weiteren von der ILO veröffentlichten Studie zur Jugendarbeitslosigkeit ist zu entnehmen, daß in Griechenland und Spanien bereits über die Hälfte der jungen Menschen keine Arbeitsstelle hat, während dieser Wert in Deutschland und der Schweiz unter zehn Prozent liegt.

Doch das Ende der Fahnenstange ist nicht einmal in Sicht. Als Vertreter der Gläubiger-Troika am 10. September mit dem griechischen Finanzminister Giannis Stournaras in Athen verhandelten, traten die Schwierigkeiten offen zu Tage. Die EU-Unterhändler bestanden darauf, daß die griechische Regierung ungeachtet ihrer Weigerung die Nichtweiterbeschäftigung von 150.000 Angestellten des öffentlichen Dienstes bis Ende 2015 beschließt. Erklärte sich Athen dazu bereit, würde die ohnehin seit Mai katastrophal hohe Arbeitslosenquote erneut in die Höhe schnellen. Die Troika focht all dies nicht an, was den sich aufdrängenden Verdacht nährt, sie sei an einer von Regierungsseite nicht mehr abfederbaren Zuspitzung der sozialen Lage in Griechenland interessiert oder würde eine solche Katastrophe sogar gezielt herbeiführen wollen.

Die Kreditgeber bestanden auf ihrem Standpunkt, daß ohne einen solchen Kahlschlag im öffentlichen Dienst kein Sparprogramm greifen könne. Zu bemängeln hatte die Troika noch so manches. So wurde von ihrer Seite der Plan der griechischen Regierung, in den kommenden zwei Jahren rund zwei Milliarden Euro in den Gemeinden sowie im Gesundheitswesen einzusparen, ebenso in Zweifel gezogen wie die bekundete Absicht Athens, bei den Militärausgaben 517 Millionen Euro einsparen zu wollen. Da Griechenland einen hohen Prozentsatz seiner militärischen Güter in der EU und den USA bezieht, liegt die Annahme einer unmittelbaren Interessenspolitik Brüssels und Washingtons hier durchaus nahe. Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) kommentierte die Verhandlungen zwischen Athen und den Gläubigervertretern folgendermaßen: "Die zentrale Achse der von Regierung und Troika neu vereinbarten Maßnahmen ist die drastische Senkung von Löhnen, Renten, Sozialleistungen, die Abschaffung des Achtstundentages und der kollektiven Tarifverträge und mehr", was die KKE als "Strategie der EU" [1] bezeichnete.

Unterdessen äußert Ministerpräsident Samaras Zweifel am möglichen Erfolg des Sparplans der Troika und merkte gegenüber der Washington Post seine Bedenken an, nämlich daß sein Land nach sechs Rezessionsjahren in Folge keine weiteren drei Jahre mit einem solchen Wirtschaftsrückgang würde aushalten können. Der Regierungschef richtete in der Presse die Bitte an die Kreditgeber, seinem Land mehr Zeit einzuräumen, und begründete dies mit dem Argument, daß er wegen möglicher sozialer Spannung sehr besorgt sei.

Dies ist noch äußerst moderat ausgedrückt. Wenn man bedenkt, daß fast 60 Prozent der arbeitslosen Menschen in Griechenland keinerlei Unterstützung erhalten, liegt auf der Hand, daß der sogenannte soziale Friede längst aufgekündigt wurde. Die pro-europäische Regierung Samaras wird dies mit einigen Bauchschmerzen getan haben, muß ihr doch bewußt sein, wie schwer und nahezu unmöglich es sein wird, die sich radikalisierenden Proteste noch unter Kontrolle zu halten. Da diese Verhältnisse und Zusammenhänge den Verantwortlichen in Brüssel sowie den übrigen Hauptstädten Europas sehr wohl vertraut sein dürften, bliebe als Schlußfolgerung nur zu ziehen, daß die soziale Katastrophe Griechenlands gezielt geschürt wird, um aus einem der schwächsten EU-Staaten ein Protektorat Brüssels zu machen, in dem Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen und Befriedungskonzepte zur Eindämmung von Massenprotesten und zur Ruhigstellung einer ganzen Bevölkerung systematisch und mit Blick auf ähnliche Krisenbewältigungsaufgaben in der gesamten Europäischen Union erprobt und entwickelt werden können.


Fußnoten:

[1] Geldsäcke zählen. Gläubigertroika mit griechischen Plänen für Sozialkahlschlag nicht zufrieden. Sie gehen ihr nicht weit genug. Von Heike Schrader, junge Welt, 12.09.2012, S. 7

[2] 13.000 Obdachlose in Athen, junge Welt, 25.05.2012, S. 6

20. September 2012