Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → MEINUNGEN


STANDPUNKT/047: Spanische Unrechtsjustiz verletzt weiterhin Menschenrechte (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Spanische Unrechtsjustiz verletzt weiterhin Menschenrechte

Von Prof. Dr. Axel Schönberger, 9. Januar 2018


Der Korruptionsvorwurf gegen große Teile der spanischen Justiz (vor allem in den obersten Gerichten des Landes) ist alt, wird innerhalb Spaniens selbst von prominenten Politikern und auch Juristen erhoben und findet auch im aktuellen "Fourth Evaluation Round: Corruption prevention in respect of members of parliament, judges and prosecutors - Interim Compliance Report Spain" [1] des Group of States against Corruption (GRECO) des Europarates vom 8. Dezember 2017, veröffentlicht am 3. Januar 2018, seinen berechtigten Niederschlag.

Da Spanien sich gemäß seiner Verfassung und der Ratifizierung der entsprechenden völkerrechtlichen Verträge beiden Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen vorbehaltlos und uneingeschränkt unterworfen hat, sind alle spanischen Staatsanwälte und Gerichte zwingend verpflichtet, spanisches Recht grundsätzlich im Lichte des höherrangigen Rechts der beiden internationalen Menschenrechtspakte zu interpretieren, die durch die spanische Verfassung zu bindendem spanischen Recht erklärt wurden.


Spanien auf dem Wege zum "Unrechtsstaat"

Seit mindestens September 2017 hat das Königreich Spanien, das seit Ende Oktober 2017 in Katalonien und gegen Katalanen nicht mehr in demokratischer, sondern in 'postdemokratischer' Weise vorgeht, im Katalonienkonflikt millionenfach die Menschenrechte verletzt und ist für einen der schwersten Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Europa während der letzten Jahrzehnte verantwortlich. Nun haben drei Richter der Berufungskammer des Obersten Gerichts des Königreichs Spaniens einen erkennbar politisch motivierten Beschluss gefasst, der erneut gegen Menschenrechte verstößt und offenbart, dass Spanien endgültig auf dem Wege ist, zu einem "Unrechtsstaat" zu werden.

Dr. Oriol Junqueras wurde 2015 in freien, demokratischen und gesetzmäßigen Wahlen als Abgeordneter des katalanischen Parlaments gewählt und von diesem in freien, demokratischen und gesetzmäßigen Wahlen zum Vizepräsidenten der katalanischen Regierung ernannt. Ohne gesetzliche Grundlage hat ihn die spanische Regierung Ende Oktober 2017 entmachtet - sie behauptet, ihn "abgesetzt" zu haben, was rechtlich nach der spanischen Verfassung und geltendem organischem Recht des spanischen Staates indes auf diese Weise nicht zulässig war - und nach eigenen Angaben dafür gesorgt, dass er durch ein kollusives Zusammenspiel von Regierung, Staatsanwaltschaft und Gericht der "Rebellion", des "Aufruhrs" und der "Verschwendung öffentlicher Mittel" angeklagt und in vorsorgliche, bedingungslose "Schutzhaft" - von einer "Untersuchungshaft" im deutschen Sinne wird man vorliegend wohl kaum sprechen können, wenn man sich die genauen Umstände des Falls und das spanische Recht vor Augen führt - genommen wurde.

Wie er wurden auch andere prominente Katalanen in einer Art und Weise inhaftiert - und während der Überführung in die Gefängnisse teilweise auf menschenrechtswidrige Weise von dem Wachpersonal behandelt -, die es angebracht erscheinen lässt, sie als "politische Gefangene" - und nach den Wahlen vom 21. Dezember 2017 als "politische Geiseln" - Spaniens, dessen Justiz faktisch keineswegs unabhängig ist und entscheidet, zu bezeichnen.


Gewaltfrei und auf politischem Weg für die Unabhängigkeit einzutreten ist keine Straftat

Der ehemalige Europa-Abgeordnete Dr. Oriol Junqueras hat in voller Gewaltfreiheit auf friedlichem, demokratischem und vor allem rechtskonformem Weg das Wahlprogramm, mit dem seine Partei zu den katalanischen Wahlen des Jahres 2015 angetreten war, umgesetzt. Deswegen wirft ihm die spanische Justiz nunmehr die Delikte der "Rebellion", des "Aufruhrs" und der "missbräuchlichen Verwendung öffentlicher Mittel" (insbesondere wegen der Kosten des katalanischen Referendums vom 1. 10. 2017 und dessen Vorbereitung) vor.

Auf gewaltfreiem, politischem Wege für die Unabhängigkeit Kataloniens in Form einer rechtsstaatlichen Republik einzutreten, ist nach spanischem Recht keine Straftat und steht auch weder zu internationalem noch zu europäischem Recht in irgendeinem Widerspruch. Das Recht des katalanischen Volkes, selbst, frei und alleine über seine politische Selbstbestimmung zu entscheiden, ist ein fundamentales Menschenrecht, dessen Träger alleine das katalanische Volk und keineswegs die spanische Monarchie oder deren Gesamtbevölkerung ist.


Recht der Völker auf Selbstbestimmung

Die Vereinten Nationen und die internationale Gerichtsbarkeit haben das Selbstbestimmungsrecht der Völker seit dem Zerfall der ehemaligen UdSSR, den Kriegen, in denen das ehemalige Jugoslawien zerfiel, der friedlichen Trennung der Tschechoslowakei in zwei Staaten im Jahr 1992 und der von den Vereinten Nationen angeforderten Stellungnahme des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag (2010) zu der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo wesentlich weiterentwickelt. Die Katalanen haben ebenso wie etwa die Kurden oder die Tamilen ein uneingeschränktes, unentziehbares Recht auf Selbstbestimmung, wobei das Recht der Entscheidung ("Right to Decide"), ob sie dieses innerhalb des spanischen Staates oder in Form eines eigenen Staates ausüben wollen, nur bei ihnen und bei sonst niemandem liegt. Dieses Recht braucht ihnen von Spanien nicht in der spanischen Verfassung gewährt zu werden, wie Spanien es ihnen auch nicht verweigern kann. Es ist ein ureigenes, unentziehbares Menschenrecht des katalanischen Volkes, das durch die Ratifizierung der beiden Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen durch Spanien im Übrigen auch zu zwingendem spanischem Recht wurde, das alle spanischen Verfassungsorgane zu wahren haben.

Kein Staat, sondern ausschließlich das katalanische Volk ist Träger dieses universellen Menschenrechtes, aus dem in der rechtlichen Logik der Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen weitere Menschenrechte abgeleitet werden. Jeder Versuch, dem katalanischen Volk sein Menschenrecht auf Selbstbestimmung zu verwehren, verstößt gegen zwingendes spanisches, europäisches und internationales Recht. Eine gewaltlose politische Tätigkeit, die auf Verwirklichung eines fundamentalen Menschenrechts ausgerichtet ist, kann per se nicht strafbar sein.

Aus Artikel 19 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, einem der beiden Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, folgt das unentziehbare Recht des katalanischen Volkes, ein Referendum über die Frage abzuhalten, wie es von seinem "Right to Decide" hinsichtlich seines Menschenrechtes der Selbstbestimmung Gebrauch machen will. Eine politische Tätigkeit, die gewaltfrei auf die Verwirklichung dieses Menschenrechts ausgerichtet ist, ist keine Straftat. Eine Justiz, die die Abhaltung eines solchen Referendums mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterbinden versucht und untersagt, wird zu einer die Menschenrechte verletzenden Unrechtsjustiz, ein Staat, der mit physischer Gewalt die Abhaltung eines solchen Referendums in menschenrechtswidriger Weise zu unterbinden versucht, wird zu einem Unrechtsstaat, der gegen sein eigenes Recht ebenso wie gegen höherrangiges, völkerrechtlich für ihn verbindliches Recht der Menschenrechtspakte verstößt.

Auch der Versuch der spanischen Justiz, katalanischen Politikern die Kosten für Volksbefragungen, die durch die Menschenrechtspakte gedeckt sind, privat aufzuerlegen und als "missbräuchliche Verwendung öffentlicher Mittel" einzustufen, stellt einen gravierenden Verstoß gegen die Menschenrechte dar. Davon war und ist übrigens auch der ehemalige katalanische Präsident Artur Mas betroffen, von dem die spanische Justiz menschenrechts- und damit rechtswidrig einen Millionenbetrag fordert, weil unter seiner Regierung in Katalonien eine Volksbefragung durchgeführt wurde. Von einer "missbräuchlichen Verwendung" oder "Verschwendung" öffentlicher Mittel kann im Falle der katalanischen Politiker im Zusammenhang mit den Referenden und den Unabhängigkeitsbestrebungen keine Rede sein. Es wäre freilich die Frage zu stellen, inwieweit spanische Politiker und auch Richter für die Kosten des menschenrechtswidrigen Polizeieinsatzes in Katalonien von September bis Dezember 2017 zu entsprechendem Schadensersatz zu verurteilen wären, wenn denn Spanien ein funktion ierender Rechtsstaat mit einer unabhängigen, nicht korrupten Justiz wäre.


Für den Tatbestand der Rebellion und des Aufruhrs bedarf es zwingend der Gewalt gegen Personen

Zur Verwirklichung der nach spanischem Recht strafbewehrten und mit hohen Freiheitsstrafen versehenen Delikte der "Rebellion" und des "Aufruhrs" bedarf es zwingend des Tatbestandes der Gewalt gegen Personen. Es ist unstreitig, dass eine solche Gewalt weder direkt noch indirekt von Dr. Oriol Junqueras und den übrigen inhaftierten sowie im Exil befindlichen katalanischen Regierungsmitgliedern ausgeübt wurde. Diese waren vielmehr nachweislich immer um ein friedliches, demokratisches Vorgehen bemüht und stets dialogbereit. Der politische Dialog wurde ihnen aber von der spanischen Regierung seit Jahren hartnäckig verweigert.

Die Begründung, weswegen die drei Richter des obersten spanischen Gerichtes entschieden haben, Dr. Oriol Junqueras weiterhin in Haft zu belassen, erinnert an Gerichtsentscheidungen des franquistischen Spaniens. Sie ist eine weitere Unrechtsentscheidung, die Spaniens Ruf in der ganzen Welt beschmutzt und den menschenrechtsverachtenden Charakter des postdemokratischen Spaniens offen zeigt.

Obwohl das spanische Strafrecht als Voraussetzung für die Verwirklichung der Tatbestände der "Rebellion" und des "Aufruhrs" Gewalt gegen Personen voraussetzt, sehen die drei Richter Indizien für das Vorliegen dieser Delikte und der missbräuchlichen Verwendung öffentlicher Gelder. Sie gehen davon aus, dass Dr. Junqueras seine politischen Ansichten nicht geändert habe.

Da er am 21. Dezember 2017 als Abgeordneter des katalanischen Parlaments wiedergewählt wurde, sehen sie die Gefahr, dass er - im Falle seiner persönlichen Anwesenheit während der Parlamentsdebatten - als möglicher Kandidat für das Amt des Präsidenten Kataloniens erneut die ihm vorgeworfenen Straftatbestände der "Rebellion" und des "Aufruhrs" verwirklichen könnte. Mit anderen Worten: Das oberste spanische Gericht behält einen in freien, demokratischen Wahlen gewählten Abgeordneten weiterhin in Haft, damit dieser keine Möglichkeit haben soll, das rechtlich zulässige Parteiprogramm, mit dem er antrat und für das er gewählt wurde, auf parlamentarischem Wege zu verwirklichen!

Die Richter lasten dem legitimen, aber entmachteten katalanischen Vizepräsidenten an, dass er versucht habe, am 1. Oktober 2017 ein vom spanischen Verfassungsgericht - wohlgemerkt: menschenrechtswidrigerweise (!) - untersagtes Referendum durchführen zu lassen, dessen Ergebnisse bekanntgegeben und an der Proklamation der Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien mitgewirkt habe. Sie werfen ihm somit vor, elementare Menschenrechte auf demokratische Weise und in Übereinstimmung mit in Spanien geltendem zwingenden Recht der Vereinten Nationen politisch ausgeübt zu haben, und bezeichnen dies als 'Erhebung' gegen den spanischen Staat, gegen das katalanische Autonomiestatut und gegen den Rest der rechtlichen Ordnung Spaniens.

Aber die spanische Unrechtsjustiz geht sogar noch weiter! Sie gesteht zwar ein, dass Dr. Junqueras persönlich an keinen gewalttätigen Akten teilgenommen und auch keine Anweisungen erteilt habe, Gewalt auszuüben. Aber durch seine politische Tätigkeit und sein Eintreten für eine Unabhängigkeit Kataloniens habe er die Anhänger seiner Position dazu motiviert, öffentlich zu demonstrieren und öffentliches Gelände zu besetzen. Dabei habe ihm jedoch klar sein müssen, dass der spanische Staat ein derartiges öffentliches Eintreten von Demonstranten für die Unabhängigkeit Kataloniens nicht hinnehmen würde und in der Folge auch zum Einsatz von Gewalt gegen die Demonstranten greifen würde. In dieser Lage sei es vorhersehbar gewesen, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Konfrontationen kommen würde, in denen seitens des Staates auch Gewalt zur Anwendung kommen würde. Diese falle somit in die Verantwortung u. a. des katalanischen Vizepräsidenten und erfülle somit den Straftatbestand des "Ungehorsams", auch wenn man ihm nicht die Straftatbestände der "Rebellion" und des "Aufruhrs" zur Last legen könne.

Diese Argumentation verstößt in eklatanter Weise gegen Menschenrechte und damit gegen bindendes spanisches Recht. Sie ist unter anderem im Kontext von Art. 14 Abs. 2, Art. 15 Abs.1, Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1-2, Art. 19 Abs. 1-2, Art. 21-22 und Art. 25 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte der Vereinten Nationen zu bewerten. Sie verhöhnt darüber hinaus die Opfer staatlicher Gewalt, die es am 1. Oktober 2017 in Katalonien durch die unverhältnismäßigen Gewaltexzesse der spanischen Polizei gab.


Die spanische Regierung verweigert weiterhin den Dialog und setzt auf Konfrontation

Anstatt den Dialog mit Katalonien zu suchen und das Ergebnis der seitens der spanischen Regierung - nach spanischem Recht rechtswidrig und insbesondere auch menschenrechtswidrig - für den 21. Dezember 2017 angesetzten Wahlen in Katalonien zu respektieren, setzen die spanische Regierung und die spanische Justiz in erkennbar kollusiver Zusammenarbeit weiterhin auf die Verweigerung jeglichen Dialogs und auf Konfrontation. Mit juristischen Tricks sollen nunmehr offenbar demokratisch gewählte Abgeordnete an der Ausübung ihres Mandats gehindert werden. Spaniens Vorgehensweise ist rechtswidrig. Da es sich um gravierende, massive Menschenrechtsverstöße handelt, ist es auch keine innere Angelegenheit Spaniens. Insbesondere die Europäische Union wird, falls sie weiterhin zusieht, wie in Spanien ihre Grundwerte mit Füßen getreten und in gravierender Weise gegen Art. 2 des EU-Vertrags verstoßen wird, indem schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen gegen das katalanische Volk und einzelne katalanische Politikerinnen und Politiker begangen werden, ihre moralische Glaubwürdigkeit nach innen und außen zwangsläufig und unwiderruflich verlieren, wenn sie sich nicht rasch eines Besseren besinnt und ein Verfahren gemäß Artikel 7 des EU-Vertrags gegen Spanien einleitet.


Keine Menschenrechte à la carte

Man kann sich nicht aussuchen, welche Menschenrechte wann, wo und in welchem Umfang gelten oder verweigert werden sollen! Menschenrechte gibt es nicht à la carte. Menschenrechte sind universell, unentziehbar und unteilbar. Sie sind das Fundament der Europäischen Union, das Spanien und alle europäischen Politiker, welche die massiven Menschenrechtsverletzungen in Spanien als angeblich 'nach spanischem Recht und der spanischen Verfassung' gesetzeskonform gutheißen und billigend unterstützen, unwiderruflich zu zerstören im Begriff sind.

Noch ist es nicht zu spät! Wie lange wird Europa, wie lange wird Deutschland den massiven Menschenrechtsverletzungen in Spanien noch zusehen und schweigen?


Über den Autor

Prof. Dr. Axel Schönberger ist Romanist sowie unter anderem ehemaliger Vorstand des Deutschen Katalanistenverbandes (DKV) und des Internationalen Katalanistenverbandes (AILLC)


Anmerkung:
[1] https://rm.coe.int/fourth-evaluation-round-corruption-prevention-in-respect-of-members-of/1680779c4d


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

*

Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Johanna Heuveling
E-Mail: johanna.heuveling@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Januar 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang