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LAIRE/051: Hetze in Italien gegen Rumänen (SB)


Italiens Regierung hat Freizügigkeit eingeschränkt

Nach dem Mord an einer Italienerin ist es zu Übergriffen gegen rumänische Einwanderer gekommen


Die Europäische Union erlebt derzeit eine schwere Belastungsprobe, die ein Beispiel für künftige Verwerfungen bildet. Ausgelöst wurden sie durch ein Dekret der italienischen Regierung, die entgegen der Freizügigkeitsregelung innerhalb der EU rumänische Staatsbürger in ihr Heimatland abschieben will und bereits Vollzug gemeldet hat. Darüber hinaus kommt es in Italien zu fremdenfeindlichen Übergriffen auf rumänische Einwanderer.

Auslöser - oder vielmehr Vorwand - der Rumänenhetze war die Vergewaltigung und der Tod einer 47jährigen Frau eines italienischen Marineoffiziers, die vergangene Woche Dienstag bewußtlos in einem Graben in der Nähe einer Siedlung, die überwiegend von rumänischstämmigen Roma bewohnt wird, gefunden wurde und am Donnerstag im Krankenhaus verstarb. Ein 24jähriger Rumäne, der der Tat verdächtigt und verhaftet wurde, bestreitet die gegen ihn gerichteten Vorwürfe. Inwieweit die Möglichkeit besteht, daß die Roma gezielt diffamiert werden sollten, hat die Polizei zu überprüfen.

Die Regierung des früheren EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi hatte in der vergangenen Woche als Antwort auf die von allen Medien hochgespielte Betroffenheit über den tragischen Vorfall in einem Eilverfahren ein Dekret erlassen, durch das die Abschiebung unerwünschter EU-Ausländer erleichtert wurde. Mit dieser gesetzlichen Maßnahme sowie einer von Scheinheiligkeit geprägten Debatte innerhalb Regierung, die alle Vorurteile gegen Rumänen um so mehr bestätigte, je mehr sie zu beschwichtigen versuchte. Dabei wurden aber Formulierungen gebraucht wie, daß man von dem Massenansturm der Rumänen überrascht worden sei (Prodi heute in der "Financial Times Deutschland"), daß die Italiener ein wachsendes Bedürfnis nach Sicherheit hätten (Justizminister Clemente Mastella) oder daß Italien dringend auf Arbeitskräfte angewiesen sei (womit sich die Rumänen auf der Ebene von Nutzvieh befänden).

Während in ganz Italien Razzien in den Niederlassungen der Roma und Sinti durchgeführt werden und die Behörden sogar Teile der Siedlung, aus der der mutmaßliche Mörder stammte, dem Erdboden gleichgemacht haben - was an Kollektivstrafen erinnert, bei denen die israelische Armee die Häuser der Familien von vermeintlich terroristischen Palästinensern niederreißt -, werden erste Berichte über Selbstjustiz bekannt. Das war zu erwarten.

Im Südosten Roms wurden auf dem Parkplatz eines Supermarkts vier Rumänen angegriffen, zusammengeschlagen und so gefährlich verletzt, daß sie im Krankenhaus behandelt werden mußten. Eine mit Motorradmasken und Kapuzen maskierte Rotte hatte die Rumänen mit Stöcken, Eisenstangen und Messern attackiert. Der Vorfall wurde von den Medien heruntergespielt, indem sie ihn nahezu einhellig als "Strafaktion" bezeichneten. Wenn jemand bestraft wird, muß er ja irgend etwas verbrochen haben, lautet die unausgesprochene Botschaft. Das wäre so, als wenn deutsche Touristen beispielsweise in der Türkei krankenhausreif geschlagen und dafür bestraft würden, weil Rechtsextreme in Deutschland jedes Wochenende zum "Kanaken-Klatschen" losziehen.

Es herrscht Pogrom-Stimmung in Italien, da gießen die Politiker mit ihren Beschwichtigungsversuche eher noch Öl ins Feuer. Selbstverständlich sieht sich die Prodi-Regierung genötigt aufzupassen, daß ihr die Entwicklung nicht aus den Händen gleitet, denn es kann nicht im Sinne eines Staatsapparats sein, wenn sich die Bürger nicht mehr durch Recht und Gesetz gebunden fühlen. Ansonsten könnte sich der gegen die rumänischen Einwanderer gerichtete Haß irgendwann genauso gegen die Behörden richten.

Romano Prodi hatte vor drei Jahren maßgeblich mit daran gewirkt, daß Rumänien Anfang dieses Jahres der Europäischen Union beitreten durfte. Niemand weiß, wieviele Rumänen ihr Land seit dem 1. Januar 2007 verlassen haben, deshalb ist auch die häufig gehandelte Schätzung von 400.000 mit Vorsicht zu genießen.

Kritik an dem Abschiebe-Dekret kommt von links wie von rechts. Gianfranco Fini, Vorsitzender der extrem rechten Alleanza Nazionale (AN), hält eine Integration der Roma in die italienische Gesellschaft für "unmöglich" und fordert sogar eine Verschärfung des Sicherheitspakets, damit nicht nur straffällig gewordene EU-Bürger, sondern auch Migranten ohne gesichertes Einkommen ausgewiesen werden können. Die Regierung lehnt dies zwar ab, bleibt aber ambivalent. Ein Beispiel dafür lieferte Sozialminister Paolo Ferrero von der kommunistischen Regierungspartei Rifondazione Comunista. Er kündigte an, daß seine Partei nicht für das Dekret stimmen werde ... solange nicht einige Änderungen vorgenommen würden. Es geht um Makulatur. Das wird durch Ferreros Erklärung bestätigt, daß "Finis Aussagen (...) eine faschistische Färbung" tragen. Offenbar hat Faschismus für ihn viel mit Tünche zu tun, nicht aber mit einer substantiellen, tiefreichenden Fremdenfeindlichkeit.

Darin bildet Italien keine Ausnahme. Die Europäische Union an sich ist ein politisches, wirtschaftliches und militärisches Konstrukt, das sich in den letzten Jahren immer stärker gegen die Einwanderung von Menschen in Not gewehrt hat. Jahr für Jahr ertrinken tausende Afrikaner im Mittelmeer und Atlantik bei dem Versuch, nach Europa zu gelangen. Ihr Tod ist eine unmittelbare Konsequenz der pauschalen Kriminalisierung aller Flüchtlinge aus Afrika.

Kein Bewohner innerhalb der "Festungsmauern" der Europäischen Union sollte sich etwas darüber vormachen, daß die gleichen Institutionen, die fähig sind, in Not geratene Menschen zu Illegalen zu erklären und zurückzuweisen, mit den eigenen Bürgern im Zweifelsfall nicht genauso umgingen. Wenn sich erst die Klimaverhältnisse in Südeuropa so verändert haben, daß manche Regionen unbewohnbar werden und es, wie von Klimaforschern vorhergesagt, zu empfindlichen Ernteeinbußen kommt, dann zeigt sich, daß sich die Mitgliedsländer der EU nach wie vor selbst am nächsten sind. Möglicherweise sind die Italiener die Rumänen von morgen, wenn sie in die klimafreundlicheren Länder des Nordens ziehen wollen und man ihnen mit den gleichen Argumenten die Tür vor der Nase zuschlägt, mit denen Italien heute das EU-Mitgliedsland Rumänien zurückweist.

7. November 2007