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LAIRE/057: Auf Druck der EU hebt Kroatien Adria-Schutzzone auf (SB)


Aus für eine ökologische Schutzzone im Adriatischen Meer

Das Nachgeben aufgrund einer Erpressung wird als Schritt in die Modernität verkauft


Wer bei den Freibeutern anheuert und sich in ihre Obhut begibt, steht in der Rangfolge erst einmal ganz hinten. Das erfuhr jetzt Kroatien, das vor einigen Jahren Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union aufgenommen hat und eine volle Mitgliedschaft bis spätestens 2011 anstrebt. Anfang des Jahres hat der Balkanstaat in seinen Hoheitsgewässern des Adriatischen Meeres eine ökologische Schutzzone, ZERP genannt, eingerichtet. In dem von vielen Inseln und einer zerklüfteten, eintausend Kilometer langen Küste geprägten Meeresgebiet sollte nur eingeschränkter, ökologisch vertretbarer Fischfang betrieben werden.

Gegen diese Maßnahme liefen die EU-Mitgliedsländer Slowenien und Italien, deren Fischer ihre eigenen Fanggebiete abgeweidet und sich gern vor der kroatischen Küste getummelt haben, Sturm. Der wütende Widerstand gipfelte in einer schieren Erpressung auf höchster Ebene: Sollte Kroatien die 30.000 Quadratkilometer große Schutzzone nicht für italienische und slowenische Fischer öffnen, werde es nichts mit dem EU-Beitritt. Nach Berechnungen Kroatiens fangen italienische Fischer jährlich Fisch im Wert von bis zu 300 Millionen Euro in seinen Gewässern.

Gegen eine Aufhebung der Schutzzone sprach nicht zuletzt der bekanntlich räuberische Umgang der europäischen Fischwirtschaft mit den knappen Ressourcen. Anfang Dezember vergangenen Jahres hatte der EU-Rechnungshof in einem Bericht schwerwiegende Mißstände der Brüsseler Fischereipolitik aufgeführt (Neue Zürcher Zeitung, 23. Dezember 2007). Die Regelung von jährlichen Fangquoten pro Fischart und Meeresabschnitt fußten auf einem "archaischen Politikverständnis". Die europäischen Gewässer seien stärker überfischt als die Meere in den meisten anderen Weltregionen, und die ohnehin zu großzügig bemessenen Fangquoten würden regelmäßig überschritten, befanden die Gutachter.

Diese Woche gab der kroatische Premierminister Ivo Sander dem Druck der Europäischen Union nach und erklärte, daß der EU-Beitritt wichtiger sei als die Schutzzone. Und nach einer neunstündigen Debatte im kroatischen Parlament fiel die Entscheidung in der vergangenen Nacht für den Kotau gegenüber Brüssel, respektive Rom und Ljubljana, denkbar knapp aus. 77 von 153 Abgeordneten erteilten der Aufhebung der Schutzzone ihren Segen. In dem Parlamentsbeschluß wird davon gesprochen, daß der EU-Beitritt "strategische Priorität" besitzt.

Dickes Lob kam natürlich aus Brüssel. EU-Kommissionspräsident José Maria Barroso kündigte sogleich an, er sei sehr zuversichtlich, daß die Beitrittsverhandlungen auf technischer Ebene möglichst noch vor Ende der Kommissionslegislaturperiode im November 2009 abgeschlossen werden könnten. EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn werde im Herbst diesen Jahres einen genauen Zeitplan für den Abschluß der Beitrittsverhandlungen präsentieren. Barroso rechnet mit der Zustimmung aller 27 EU-Mitgliedsländer.

Widerstand gegen die Aufhebung der Schutzzone sei vor allem aus nationalistischen Kreisen gekommen, heißt es. Ganz so, als könne es keine anderen Gründe zum Schutz des Fischbestands in der Adria geben als Chauvinismus. Allein das Abstimmungsergebnis im kroatischen Parlament zeigt, daß fast die Hälfte der Volksvertreter für die Bewahrung des marinen Reichtums war. Das gibt auch in etwa das Umfrageergebnis wider, das die Tageszeitung "Vecernji list" veröffentlichte. Demnach sagten 56 Prozent der Befragten, sie würden eher die Schutzzone unterstützen als den Beitritt zur Union. Umgekehrt gaben 33,8 Prozent an, daß ihnen die Zugehörigkeit zur EU wichtiger sei als die Schutzzone (Wiener Zeitung, 4.3.2008).

Das Einknicken ihrer Regierung könnte der kroatischen Fischindustrie und nicht zuletzt der Tourismuswirtschaft noch teuer zu stehen kommen. Während sich der Deutsche, Franzose oder Österreicher längst damit abgefunden hat und es kaum zur Kenntnis nimmt, daß EU-Brüssel und nicht Berlin, Paris oder Wien die wichtigsten Entscheidungen trifft, werden sich die Kroaten künftig daran gewöhnen müssen, daß der ins Auge gefaßte Abschluß der Beitrittsverhandlungen keinesfalls ein Abschluß der Bevormundung durch die EU bedeutet, sondern lediglich ein Zwischenschritt. Dieses Beispiel ist nicht das erste in der Europäischen Union, bei dem die ökologischen den ökonomischen Interessen untergeordnet werden.

13. März 2008