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LAIRE/065: Eliten-Einwanderung und Kriminalisierung der Flucht (SB)


Brüssel greift nach dem Sahnehäubchen

Die Europäische Union qualifiziert ihre selektive Einwanderungspolitik und lockt Fachkräfte an, während auf der anderen Seite Flüchtlinge in die Nähe sogenannter Terroristen gerückt werden


Die Folgen des Klimawandels, die Verknappung fossiler Energieträger und anderer strategischer Rohstoffe sowie das allgemeine Bevölkerungswachstum werden in Zukunft zu Migrationsströmen führen, die die heutige Flüchtlingswellen weit übertreffen. Mit der weltweiten Wirtschaftskrise kommt ein weiterer Faktor hinzu, der Menschen aus ihrer Heimat fliehen läßt, da sie dort keinerlei realistische Perspektiven zur Existenzsicherung aufbauen können.

Die relativ wohlhabenden Staaten schotten sich gegenüber den Flüchtlingsströmen ab und bauen ihre Grenzregime infrastrukturell und institutionell immer weiter aus. Am heutigen Donnerstag soll auf dem EU-Gipfeltreffen in Brüssel der "Pakt zu Einwanderung und Asyl" verabschiedet werden. Dieser zielt auf eine Vereinheitlichung der Einwanderungs- und Abschiebebestimmungen sowie eine Stärkung der Grenzschutzbehörde Frontex ab.

Mit dem im Pakt enthalten Blue-Card-System will die Europäische Union hochqualifizierte Fachkräfte von außerhalb des EU-Raums anwerben und auf die Festung Europa nehmen. Während andere Volkswirtschaften eine finanzielle Vorleistung bringen, indem sie in die Aus- und Weiterbildung einzelner Mitglieder ihrer Gesellschaft investieren, will die EU in klassischer Räubermanier die reifen Früchte abgreifen und sich selbst einverleiben. Dabei soll sich die Einwanderung am Bedarf der EU-Mitgliedsländer orientieren.

Das Abwerben von Fachkräften, auch "brain drain" genannt, zieht in den beraubten Ländern teils schwerwiegende Folgen nach sich. So stützt sich das staatliche Gesundheitssystems Großbritannien weitreichend auf ausländische Ärzte und Krankenschwestern. Teilweise wurde das medizinische Personal in den Zeitungen afrikanischer Länder angeworben. Man kann es einem Arzt nicht verdenken, wenn er sich dafür entscheidet, eine aus seiner Sicht hervorragend bezahlte Stelle im Ausland anzunehmen, wo er nicht der enormen Belastung wie in seinem Heimatland ausgesetzt ist und wo ihm wesentlich bessere medizinische Geräte zur Verfügung stehen. Für die in einem afrikanischen Land verbliebenen Ärzte dagegen wächst die Arbeitsbelastung, je mehr Kollegen von ihnen abwandern und Lücken in die meist unzureichende ärztliche Versorgung reißen. Die Europäische Union fördert diese Entwicklung, indem sie die Einwanderung von Fachkräften erleichtert.

Menschen, die aus Armuts- und Hungerregionen in die Europäische Union fliehen, als Illegale zu bezeichnen, verweist auf die Absicht, nichts mit der Not der Menschen in den Armuts- und Hungerregionen zu tun haben zu wollen. Illegale sollen anerkannt (was selten vorkommen dürfte) oder rückgeführt werden, dafür wurde eine eigene Richtlinie geschaffen, die ebenfalls mit dem Pakt verabschiedet werden soll. Sie sieht unter anderem eine Haftzeit von bis zu 18 Monaten für "illegal" Eingereiste vor.

Europa trägt nicht nur eine historische Verantwortung für die teils elenden Lebensverhältnisse in den ehemaligen Kolonialstaaten, sondern auch eine gegenwärtige. Mit den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) sollen die ehemaligen afrikanischen (sowie karibischen und pazifischen) Kolonialstaaten dazu gebracht werden, sich dem Weltmarkt weiter zu öffnen, was faktisch darauf hinausläuft, daß sie jenen Kräften keinen Widerstand entgegensetzen, die den Weltmarkt maßgeblich bestimmen.

Somit besteht die Beute der Europäischen Union zum einen aus abgeworbenen Fachkräften, zum anderen aus der Öffnung von Wirtschaftsräumen, die bislang durch Zölle und andere staatliche Schutzmechanismen vor Ausplünderung durch die kapitalstarken Investoren des Nordens bewahrt wurden. Der "Pakt zu Einwanderung und Asyl" wird die Welt tiefer spalten und die Kluft zwischen den bisherigen Wohlstandsregionen und dem vernachlässigten, lediglich als Ressourcenraum genutzten Rest weitgehend unüberbrückbar machen.

16. Oktober 2008