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ITALIEN/010: Kollaboration mit Rechtsextremen verschärft Rechtsruck (Gerhard Feldbauer)


Italien:
Neue Regierung aus Sozialdemokraten (PD) und Berlusconis Partei Volk der Freiheit (PdL)

Kollaboration mit Rechtsextremen verschärft Rechtsruck

von Gerhard Feldbauer, 29. April 2013



Im Ergebnis des fortgesetzten Kuhhandels mit der PDL des 2011 gestürzten Premiers und Mediendiktators Silvio Berlusconi ist es dem von Staatschef Giorgio Napolitano designierten Vize-Chef der Demokratischen Partei (PD), Enrico Letta, überraschend schnell gelungen, nach über zwei Monaten des Scheiterns ein Kabinett zu bilden. Entgegen vorheriger Ablehnung, mit der PdL zu koalieren, gehört der "Großen Koalition" jetzt auch die Bürgerliste des bisherigen Übergangspremiers Mario Monti an. Der vorherige Bündnispartner Berlusconis, die rassistische und sezessionistische Lega Nord, lehnt die Regierung Letta ab, da ihre föderalistischen, auf eine weitere Autonomie der Nordregionen vom Zentralstaat gerichteten Forderungen nicht berücksichtigt worden seien. Die Linkspartei Umwelt und Freiheit (SEL) Nichi Vendolas kündigte entschiedene Opposition gegen die mit der extremen Rechten gebildete Koalition an. Der Chef der 5 Sterne-Bewegung (M5S) Beppe Grillo nannte das Kabinett "eine Regierung der Gauner und Strolche", will aber dennoch mit Letta in Einzelfragen zusammenarbeiten. Die Regierung wurde bereits am Sonntag vom Staatspräsidenten vereidigt. Die für Montag angesetzte Vertrauensabstimmung ist nach einem Schusswechsel vor dem Regierungssitz verschoben worden. Es gilt als sicher, dass Letta nach dem erfolgreichen Kuhhandel die erforderliche Mehrheit erhalten wird. In der Abgeordnetenkammer verfügt die PD mit 340 der 630 Sitze die Mehrheit. Da wird es auch dann keine Probleme geben, wenn unter dem Druck der linken Basis Gegenstimmen aus der PD erwartet werden.

Mit dem 46jährigem Enrico Letta kommt ein verhältnismäßig junger Politiker an die Spitze des Palazzo, der auch das Durchschnittsalter seines Kabinetts von 64 auf 53 Jahre verjüngte. Er betrieb 2007 aus der Führung der katholischen Zentrumspartei Margerita den Zusammenschluss mit den Linksdemokraten zur heutigen PD. 2006-08 gehörte er der Mitte Links-Regierung unter Romano Prodi an. Sein Onkel ist Gianni Letta, die rechte Hand Berlusconis in der PdL, was hinter den Kulissen zum Zustandekommen der jetzigen Koalition beigetragen haben dürfte. Dem von der "Repubblica" "Regierung der Schadensbegrenzung" getauften Kabinett gehören 9 Minister der PD, 5 der PdL und 3 der Monti-Liste an. 4 sind parteiunabhängig, darunter der bisherige Direktor der Banca d'Italia (Staatsbank), Fabrizio Saccomanni, der das entscheidende Wirtschafts- und Finanz-Ressort übernimmt, und die für Justiz zuständige Annamaria Cancellieri. Insgesamt sind ein Drittel der 21 Minister Frauen, unter ihnen auch die frühere EU-Kommissarin Emma Bonino von der PD, die das Außenministerium verwaltet. Das EU-Ressort übertrug Letta dem parteiunabhängigen Enzo Moavero von der Bürgerliste Montis. PdL-Chef Angelo Alfano wird Vize-Premier und übernimmt gleichzeitig das Innenministerium. Von ihm wird erwartet, dass er für eine Einstellung der gegen Berlusconi laufenden Strafprozesse sorgt. Die PdL besetzt ferner mit Senator Mario Mauro das Verteidigungs-Ressort.

Der Staatschef, der maßgeblich, wie von der Opposition verlautete, über seine Kompetenzen hinaus auf die Bildung der Regierung Einfluss nahm, nannte die neue Exekutive die "einzig mögliche Lösung", mit der ein Zeichen "der Einheit" gesetzt worden sei. Der Industriellenverband Confindustria applaudierte Letta und nannte sein Kabinett eine "Regierung der Qualität". Der 2011 gestürzte Ex-Premier Berlusconi zeigt sich als Strahlemann wie seit langem nicht mehr. Wenn der neue Premier ankündigte, sich den ernsten Fragen der Wirtschaft, darunter der Arbeit und den sozialen Bereichen zuzuwenden, dann fragen nicht nur Gewerkschafter, wie er das unter einen Hut bringen und auch noch den Forderungen aus Brüssel zur Senkung des Haushaltsdefizits nachkommen will. Die Arbeitslosenquote beträgt mit über drei Millionen elf Prozent. Rechnet man die Gelegenheitsjobs dazu, sind es fünf Millionen, 35 Prozent davon sind Jugendliche. Die Durchschnittsrente liegt bei 649 Euro. 2012 haben pro Tag 1.000 Betriebe bankrott gemacht. Tendenz steigend. Die rigiden Sparmaßnahmen Montis haben das Staatsdefizit nicht abgebaut, aber den Zinsendienst von jährlich 60 bis 80 Mrd. Euro weiter auf demnächst 2.000 Mrd. anwachsen lassen. So wird in Rom gespannt gewartet, was der Premier, wenn er sich der Vertrauensabstimmung stellt, in seiner Regierungserklärung Konkretes sagen wird.

Während die Koalitionspartner eitel Freude demonstrieren, werden damit die Probleme vertuscht, die alten wie die Neuen. Sicher wäre es zu begrüßen, dass es jüngere und neue Gesichter gibt und ohne umstrittene Quote ad hoc ein Drittel Frauen ins Kabinett einziehen. Aber stehen sie tatsächlich für positive Veränderungen? Wohl kaum, denn sie alle haben auf die eine oder andere Weise dazu beigetragen, dass Italien in die gegenwärtige tiefe Krise hineingeschlittert ist. Wenn sich der neue Premier Hoffnungen macht, mit EU-erfahrenen Ministern, mit denen er die für die Außenpolitik und Brüssel zuständigen Ressorts besetzt, für Italien bessere Bedingungen aushandeln zu können, dürfte er sich einer besonders hoffnungslosen Illusion hingeben. Am Sitz der EU wie in Berlin, ist kein Deut Nachgeben zu erwarten. Warum soll es Italien besser als Griechenland oder Zypern ergehen? Die Daumenschrauben werden eher noch fester angezogen.

Nicht zu übersehen ist, dass es zu einer neuen Stufe der Kollaboration der sozialdemokratischen Führerschicht, die einst aus der IKP in die Linkspartei wechselte, sich dann mit dem katholischen Zentrum zusammentat, mit offenen und verkappten Faschisten vom Schlage eines Berlusconi und zwar erstmals in einer gemeinsamen Regierung kommt. Davon konnte PD-Chef Luigi Bersani ausgenommen werden, und deshalb wurde er, weil er sich bei seinem Versuch einer Regierungsbildung dem Druck des faschistoiden Berlusconi widersetze, ausgebootet und zwar von Leuten in der eigenen Partei. Das wird schwerwiegende, noch gar nicht abzusehende Konsequenzen für die weitere Entwicklung haben. Bisher wurde der von der faschistischen Putschloge P2 1994 erstmals an die Regierung gehievte Berlusconi, der zu ihrem Dreierdirektorium gehörte, von führenden und auf seinen hemmungslosen Antikommunismus setzenden Kapitalkreisen befördert. Jetzt tun sich mit diesem hochgradig Kriminellen Politiker zusammen, die sich ein sozialdemokratisches Mäntelchen umhängen. Es ist in Rom ein offenes Geheimnis, dass der in mehreren Strafverfahren, u. a. wegen Bestechungsaffären im Millionenhöhe, wegen Sex mit einer Minderjährigen und Amtsmissbrauch angeklagte Berlusconi die Niederschlagung seiner Prozesse zur Bedingung einer Regierungszusammenarbeit gemacht hat. Das soll im Rahmen einer Justizreform erfolgen, in der die Ermittlungsbehörden dem Innenminister unterstellt werden, der dann die Einstellung der Verfahren anordnen kann. Das zuständige Ressort hat deshalb nicht zufällig der Chef der PdL, Angelo Alfano übernommen, der obendrein Vizepremier geworden ist. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Justizministerin Cancellerie und die Justiz dem unterordnen und damit eine der drei Säulen der Gewaltenteilung bürgerlichen Gesellschaft zu Fall gebracht wird.

Summa summarum: Die Widersprüche und Probleme der tiefen politischen Krise Italiens sind nicht gelöst, sondern vertieft worden. Nicht zuletzt deshalb dürfte der so gefeierten Regierung Letta keine allzu lange Lebensdauer beschieden sein. Der Rechtsaußen der PD, der Florenzer Bürgermeister Matteo Renzi, ein besonders enger Kollaborateur mit der PdL, der die Partei wohl in diesem Sinne weiter "reformieren" will, spricht von maximal einem Jahr.

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Quelle:
© 2013 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2013