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ITALIEN/043: Berlusconi akzeptiert Haftantritt in Sozialdienst (Gerhard Feldbauer)


Berlusconi akzeptiert Haftantritt in Sozialdienst

"Unita": Eine Ära "geht zu Ende"

von Gerhard Feldbauer, 14. April 2014



Nach monatelanger Weigerung, das Urteil wegen Steuerbetrugs in Millionenhöhe zu vier Jahren Haft anzuerkennen, will Ex-Premier Silvio Berlusconi jetzt die Reststrafe von einem Jahr (drei wurden ihm wegen seines Alters von 77 Jahren erlassen) antreten. Möglich ist - auch hier aus Altersgründen - Hausarrest oder Sozialdienst. Seine Anwälte haben Sozialdienst beantragt, was ihm mehr Bewegungsfreiheit erlauben könnte, die er in der Kampagne für die EU-Wahlen am 25. Mai für seine Partei Forza Italia (FI) nutzen will. Eine eigene Kandidatur ist ihm auf Grund des Verbots der Ausübung öffentlicher Ämter jedoch untersagt. Nach einem Bericht des katholischen "Avvenire" sei vorgesehen, dass Berlusconi in einem Seniorenheim in der Nähe seiner Residenz Arcore in Mailand einmal wöchentlich für vier Stunden Sozialdienst leisten werde. Es war bereits davon die Rede, der Straftäter könnte bei "guter Führung" nach den EU-Wahlen bei Auflagen mit einer Aussetzung der Strafe rechnen. Im Gegenzug hatte Berlusconi, wie "La Repubblica" schrieb, den Widerstand seiner FI gegen die Verwaltungs- und Wahlrechtsreform der von Matteo Renzi von der Demokratischen Partei (DP) geführten Regierung aufgegeben. Berlusconi hat sich wegen angeblicher Knieverletzung zwei Tage ins Krankenhaus begeben und zeigt sich in der Öffentlichkeit mit Krücken. An Stelle seines immer gezeigten Strahlemann tritt er mit schmerzgezeichnetem Gesicht auf.

Der Beschluss des zuständigen Mailänder Gerichts zum Sozialdienst steht noch aus, ist aber bereits an die Bedingung gebunden, der Ex-Premier enthalte sich neuerlicher Angriffe auf die Richter. Deren Urteil hatte er in der Vergangenheit als "Rechtsbruch" und "Staatsstreich" diffamiert und angedroht, mit seiner FI das Land in einer "Eskalation der Gewalt in Flammen aufgehen zu lassen". Wiederhole sich das, so zitierte die Nachrichtenagentur ANSA Mailänder Justizkreise, werde eine evtl. Entscheidung "sofort rückgängig" gemacht.


Berlusconi-Vertrauter nach Flucht in Beirut verhaftet

In diese Situation platzte eine Nachricht, die alles in Frage stellen könnte. Der engste Vertraute, die langjährige rechte Hand Berlusconis, sein Staranwalt Marcello dell' Ultri, wegen Verstrickung in Mafia-Affären in erster Instanz zu sieben Jahren Haft verurteilt, war vor der Verhandlung in zweiter Instanz ins Ausland geflohen, wo er am Sonnabend in Beirut verhaftet wurde. Rom hat seine Auslieferung gefordert. Die "Unita" enthüllte, dass es im Verfahren gegen Dell'Ultri auch um Berlusconi gehen wird, denn der Anwalt habe in den 1990er Jahren den "Pakt zwischen der Mafia und Berlusconi" eingefädelt. In Berlusconis Villa Arcore in Mailand sei dazu ein Verbindungsmann der Mafia als Stallknecht getarnt untergebracht worden.


Berlusconis Mafia-Beziehungen könnten zur Sprache kommen

Das könnte, wie die Zeitung andeutet, zu einem Stich ins Wespennest werden, zu den berüchtigten Verbindungen zur mit der Mafia verbandelten faschistischen Putschloge P2 führen, deren Dreierdirektorium Berlusconi angehörte. Die P2 hatte, wie die Publizisten Giovanni Ruggeri und Mario Guarino in ihrem Buch "Silvio Berlusconi. Inchiesta sul Signore TV" (Deutsch bei Gatza, Berlin 1994) beweiskräftig nachwiesen, Berlusconi noch vor seinem von ihr beförderten Aufstieg zum Medienmonopolisten vor allem im Fernsehbereich bereits sein Emporkommen als Inhaber des reichsten Bauunternehmens Edilnord von Mailand finanziert.

Unabhängig davon wie die Angelegenheit sich weiter entwickeln könnte, wird in Rom allgemein eingeschätzt, dass, wie nicht nur die linke "Unita" schrieb, es damit mit der Ära Berlusconi "zu Ende" gehe. Die Durchsetzung des Strafvollzugs gegen Berlusconi, die Flucht Dell'Ultris seien "Symbole eines Machtzerfalls". Die Auseinandersetzungen in seiner FI zwischen Hardlinern und "Moderaten", die versuchen, zu retten was zu retten ist, glichen "einem Erdbeben". Eine "Personenpartei zerfalle". Umfragen sagen der Partei, die 2013 noch unter ihrem Namen "Partei der Freiheit des Volkes (PdL) mit 29,18 Prozent knapp hinter der jetzt regierenden PD lag, gerade noch 16 Prozent voraus. Nach dem Ausschluss aus dem Senat hat der Europäische Gerichtshof Berlusconis Antrag auf Aussetzung des Ämter-Verbots zurückgewiesen. Die Stimmen in seiner Partei mehren sich, um nicht noch mehr Schaden anzurichten, solle Berlusconi sich aus dem aktiven politischen Leben zurückziehen.

Die Ereignisse finden vor dem Hintergrund der Proteste von 20.000 Demonstranten am Sonnabend in Rom gegen die anhaltende Sparpolitik der EU, die 10 Millionen Euro Einsparungen fordert, die vor allem die arbeitenden Menschen und die Ärmsten des Landes treffen werden, statt. Bei Zusammenstößen mit der Polizei gab es mehrere schwer Verletzte.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2014