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ITALIEN/105: Rücktritt des linken Bürgermeisters von Rom (Gerhard Feldbauer)


Nach Rücktritt des linken Bürgermeisters von Rom

Faschisten wollen Campidoglio zurückerobern

Von Gerhard Feldbauer, 12.10.2015


Nach einer seit Beginn seiner Amtszeit anhaltenden Hetzkampagne der extremen Rechten, an der sich auch die anarchistische Protestbewegung M5S beteiligte, hat der linke Bürgermeister von Rom, Ignazio Marino, für den heutigen Montag seinen "unwiderruflichen Rücktritt" angekündigt. Nachdem ihm aus seinem Partito Democratico (PD) mit einem Mißtrauensvotum gedroht worden war und PD- und Regierungschef Renzi erklärt hatte, "es gebe keine Alternative", verzichtete Marino auf die zunächst in Anspruch genommene Bedenkzeit von drei Wochen. Nach dem Rücktritt müssten im Frühjahr 2016 Neuwahlen stattfinden. Bis dahin wird ein vom Präfekten von Rom ernannter kommissarischer Bürgermeister amtieren.


Faschistenfühererin als Capolista

Bei Neuwahlen wollen die Faschisten das Campidoglio (Sitz der Stadt-Regierung) zurückerobern. Der Chef der rassistischen Lega Nord, Matteo Salvini, der die Nachfolge des gescheiterten Ex-Premiers Berlusconi an der Spitze der extremen Rechten beansprucht, hat dazu bereits die Führerin der faschistischen Fratelli d' Italia - FdI (Brüder Italiens), Giorgia Meloni, angekündigt. Die FdI ist ein Nachfolger der früheren Alleanza Nazionale (AN), die noch vor vier Jahren eine halbe Million Mitglieder zählte und als Bündnispartner von Ex-Premier Berlusconi zirka zwölf Prozent Wählerstimmen erzielte. Mit der früheren Ministerin Berlusconis als Capolista (Spitzenkandidatin) will Salvini das alte Image als Sezessionistische Partei abstreifen und sich in Rom gesamtnational profilieren. Denn, so zitierte ihn die römische Repubblica, die Rückeroberung der Stadt-Regierung in Rom werde erst der Anfang sein. "Als nächstes sei Renzi an der Reihe". Aber auch M5S werden bei Neuwahlen Erfolgschancen eingeräumt.

Marino, ein international renommierter Transplantationschirurg in Cambridge, Professor in Pittsburgh und Philadelphia, hatte im Juni 2013 den Amtsinhaber von der faschistischen AN Alemanno mit 63,9 Prozent geschlagen. Der war mit zahlreichen Ratsmitgliedern in die Machenschaften eines Hunderte Politiker und Unternehmer zählenden Mafia-Kartells (Mafia Capitale) verwickelt, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge Dutzende Millionen Euro an Bestehungsgeldern zahlte. Trotz Erfolgen Marinos gegen diesen Sumpf - der Entlassung überführter Mitarbeiter, der aktiven Unterstützung der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und der Umbildung der Stadtregierung konnte dieses schwarze Erbe, wie auf nationaler Ebene die faschistoide und mafiose Hinterlassenschaft Berlusconis auch, nicht sofort überwunden werden. In ihrer rachsüchtigen Hetzkampagne warf ihm die extreme Rechte in demagogischer Weise vor, mit dem Mafia-Sumpf nicht nur nicht aufzuräumen, sondern ihn fortzusetzen. Ein Sprachrohr dieses gegen die Sozialdemokratie gerichteten Kreuzzuges wurde die Hauptstadtzeitung Messaggero des mehrfach wegen krimineller Delikte verurteilten Wirtschafts- und Finanzunternehmers Francesco Caltagirone. Er sei, erklärte Marino, Opfer eines "Komplotts" dieser Kreise, die "die Wahlresultate auszuhebeln versuchten".


Keine Unterstützung von Renzi

Der rechte PD-und Regierungschef Renzi ließ von Anfang an Unterstützung für den zur linken PD-Minderheit gehörenden Bürgermeister fehlen und äußerte wiederholt, er sollte besser zurücktreten. Als Marino vor der Eröffnung der Bischofssynode am 4. Oktober auch noch mehrere homosexuelle Paare selbst traute, wandte auch der Vatikan sich gegen ihn.

Schließlich wurde dem Stadtoberhaupt vorgeworfen, Arbeitsessen, an denen Freunde teilnahmen, hätten privaten Charakter gehabt, wären aber mit seiner kommunalen Kreditkarte bezahlt worden. Marino wies die Anschuldigungen zurück und stellte die Rechnungen ins Netz, zahlte aber eine Summe von rund 20.000 Euro in die Stadtkasse ein, was ihm als "Schuldeingeständnis" angelastet wurde. Sein Stellvertreter Marco Causi und zwei Ratsmitglieder nahmen die Vorwürfe zum Anlass, zurückzutreten und eröffneten damit die Krise der Stadt-Regierung.


Schwere Abfuhr für rechten Premier Renzi

Der bekanntgegebene Rücktritt hat eine unerwartete Welle der Sympathie für Marino ausgelöst. Wie La Repubblica am Montag berichtete, forderten Tausende vor allem Jugendliche, darunter seiner PD, in einem sit in vor dem Campidoglio und an weiteren Orten der Hauptstadt den Bürgermeister, auf im Amt zu bleiben. Binnen zwei Tagen wurden dazu etwa 40.000 Unterschriften gesammelt. Wenn es beim Rücktritt bleibe, solle Marino als Kandidat zur Wiederwahl antreten. Marino wurde mit minutenlangem Beifall begrüßt, als er sich vor dem Campidoglio kurz zeigte und unter Tränen gerührt für diese Unterstützung dankte, die er "das Salz der Demokratie" nannte. Er bat um Verständnis, dass er seinen Rücktritt nicht widerrufen könne, versicherte aber, dass er unermüdlich für das Wohl der Hauptstadt, für Recht und Gerechtigkeit eintreten und den Machenschaften der Mafia weiter entschieden entgegentreten werde. Beobacheter in Rom werteten die Sympathiekundgebungen für den PD-Linken als eine schwere Abfuhr für die Partei-Rechte unter Premier Renzi, die den auch international angesehenen Mediziner als Stadtoberhaupt zum Rücktritt getrieben hätte.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2015

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