Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → POLITIK


ITALIEN/119: "Repubblica" berichtet über die Verhaftung von 109 Mafiosi (Gerhard Feldbauer)


Die römische Repubblica berichtete am 10. Februar über die Verhaftung von 109 Mafiosi

Das Datum erinnert an die Eröffnung der Maxi-Prozesse vor 30 Jahren

Der selbst der Komplizenschaft mit der Mafia verdächtigte Berlusconi stoppte die Verfahren

Von Gerhard Feldbauer, 12. Februar 2016


Wie La Repubblica berichtete, hat ein Spezialkommando der Carabinieri auf Sizilien und in Catania, aber auch landesweit 109 Mitglieder des berüchtigten Mafia-Clans Laudini der Cosa Nostra verhaftet. Sie werden zahlreicher Morde und Attentate, Drogenschmuggels, Waffenhandels sowie der Erpressung von Unternehmern beschuldigt. Der Bericht über die Operation, an der über 500 Carabinieri beteiligt waren, erinnert daran, dass vor 30 Jahren am 10. Februar 1986, eine Serie von Verfahren gegen die Verbrecherorganisation begann, die als Maxi- oder auch Mammutprozesse in die Geschichte eingingen. Auch die Wurzeln des Laudini-Clans reichen, so hebt La Repubblica hervor, in diese Zeit zurück. Angeklagt wurden damals 474 Mafiosi, davon 119 in Abwesenheit, da sie sich noch nicht in den Händen der Justiz befanden. Sie wurden der Mitgliedschaft bzw. Bildung einer kriminellen Vereinigung, der Begehung von 120 Morden, des Drogenhandels und der Schutzgelderpressung beschuldigt. Zur Spitze zahlreicher angeklagter Mafia-Bosse gehörten drei Mitglieder des bekannten Corleoneser Clans, während die Chefs Salvatore Riina und Bernardo Provenzano noch flüchtig waren. Um Anschläge der Mafia zu verhindern fanden die Verhandlungen in einem dazu in der Nähe des Gefängnisses Ucciardone errichteten massiven Bunker aus Stahlbeton statt, der extra noch mit Stacheldraht eingesäumt und mit Panzern, Alarmanlagen und Überwachungskameras abgesichert war. Die Angeklagten saßen in Gemeinschaftskäfigen. Die Verhandlungen wurden landesweit im Fernsehen übertragen. In den Prozessen wurden Hunderte Mitglieder der Cosa Nostra zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.


Angeklagt der siebenmalige Ministerpräsident Andreotti

Zu einem Höhepunkt der Mafia-Prozesse wurde das am 27. März 1993 eröffnete Verfahren gegen den siebenmaligen Ministerpräsidenten der Democrazia Cristiana (DC) Giulio Andreotti, der in Palermo der Komplizenschaft mit der Mafia angeklagt wurde. Die Anklage, deren Verlesung 33 Stunden dauerte, stützt sich auf die Aussagen zahlreicher geständiger Mafiosi, die rund 650.000 Aktenseiten umfassten. Während des Verfahrens wurden über 200 Zeugen verhört. Ans Licht kam, dass die Mafia der DC auf Sizilien Wählerstimmen sicherte, wofür angeklagten Mafiosi Straffreiheit garantiert wurde. Beschuldigt wurde der von Andreotti in dieses Amt gehievte Richter des Kassationsgerichts Corrado Carnevale, der in Hunderten Verfahren angeklagte Mafia-Mitglieder und auch mit ihnen liierte Faschisten freisprach oder ihre Urteile annullierte, was ihm den Beinamen "Urteilskiller" einbrachte. Bekannt wurde die Rolle Andreottis, den die Zeitschrift "Europeo" schon am 15. Oktober 1983 als den eigentlichen Chef der faschistischen Putschloge P2 entlarvt hatte. In einem zweiten Prozess wurde er dazu der Anstiftung zum Mord an dem Journalisten Mino Pecorelli angeklagt. Dieser hatte in seinem Magazin "Osservatore Politico" Andreottis Rolle bei der Ermordung des DC-Führers Aldo Moro, der ein Regierungsbündnis mit den Kommunisten (PCI) geschlossen hatte, angekündigt und war deshalb im März 1979 von Mafia-Killern erschossen worden. Der Mafia-Boss Tommaso Buscetta und weitere Mafiosi sagten aus, dass Andreotti zu dem Mord angestiftet habe.

Die Verfahren gegen Andreotti gingen 1999 mit der Verkündung der Urteile zu Ende. In Perugia wurde er freigesprochen. In Palermo, wo die Staatsanwaltschaft 15 Jahre beantragt hatte, gelang ein Freispruch nur "wegen Mangels an Beweisen". Die Urteile wurden unter einer üblen Hetzkampagne des faschistoiden Premiers und Chefs der Forza Italia (FI) Berlusconi gegen die Staatsanwaltschaft in Revisionsverfahren bestätigt.


Mit der Ermordung vieler Richter wollte die Mafia die Prozesse stoppen

Den Boden für diese Prozesse hatten zahlreiche mutige Richter und Ermittler bereitet, von denen viele dafür von der Mafia umgebracht wurden: Im Juli 1979 der stellvertretende Polizeichef von Palermo Boris Giuliano, im April 1982 der PCI-Parlamentarier und Mitglied der Anti-Mafia-Kommission Pio La Torre, der im Parlament das nach ihm benannte "Legge la Torre" durchgesetzt hatte, nach dem erstmals die Mitgliedschaft in der Mafia als Strafbestand definiert wurde, im September 1982 der Anti-Mafia-Präfekt von Palermo, General Alberto Dalla Chiesa. Sie alle waren der Rolle Andreottis auf der Spur, darunter auch der Untersuchungsrichter Giovanni Falcone, der im Mai 1992 mit seiner Frau und drei Leibwächtern ermordet wurde. Ihm war es besonders gut gelungen, das Geflecht von Mafia und DC, Politik und Geheimdiensten mit der Nato-Truppe Gladio und den Faschisten aufzudecken. Falcone hatte auch die 8.607 Seiten umfassende Anklageschrift zur Eröffnung der Maxi-Prozesse erarbeitet und verlesen.


26 Jahre Haft für Ex-Premier und Sozialistenchef Craxi

Einen nochmaligen Aufschwung erhielt das Vorgehen gegen die Verflechtung der DC und des von ihr beherrschten Staatsapparates mit dem der Mafia, der Putschloge P2 bis hin zum Vatikan durch die 1992 einsetzenden Ermittlungen der Mani pulite (saubere Hände) genannten Mailänder Staatsanwaltschaft unter Leitung der Untersuchungsrichter Antonio Di Pietro und Saverie Borrelli. Die Ermittlungen erfassten etwa 6.000 Politiker, darunter ein Drittel der 945 Senatoren und Abgeordneten, ehemalige und im Amt befindliche Minister, unzählige Bürgermeister, Stadt- und Provinzräte. Anfang 1993 saßen 1.356 Staats- und Parteifunktionäre sowie Wirtschaftsmanager in Haft. Das Turiner Einaudi-Institut errechnete die Summe von jährlich zehn Milliarden Dollar an sie gezahlter Schmiergelder. Bettino Craxi, Ex-Premier und Chef der Sozialistischen Partei (PSI), wurde zu insgesamt 26 Jahre Haft verurteilt. Er konnte nach Tunesien fliehen, wo er im Januar 2000 verstarb.

Einer der führenden Köpfe in diesem Korruptionssumpf war der zum Dreierdirektorium der P2 gehörende Chef der faschistoiden Forzapartei (FI) Silvio Berlusconi, der im April 1994 im Bündnis mit den MSI-Faschisten und den Rassisten der Lega Nord die Parlamentswahlen gewann und Ministerpräsident wurde. Eine entscheidende Basis seines Wahlsieges war sein Medienimperium mit Fernsehmonopol, das die P2 finanziert hatte. Obwohl er zu dieser Zeit als "Saubermann" demagogisch gegen die Bestechungspraxis auftrat, wurde er später in insgesamt 13 Verfahren der gleichen Praktiken wie der Geldwäsche, des illegalen Waffenhandels, der Führung von Tarnfirmen, des illegalen Kapitaltransfers angeklagt und zu über zehn Jahren Freiheitsstrafe und zehn Millionen DM Geldstrafe verurteilt, deren Aufhebung seine Anwälte bereits vor seiner Berufung ins Amt teilweise durchgesetzt hatten.


Berlusconi würgte 5.000 Verfahren ab

Bereits nach seinem ersten Amtsantritt 1994 würgte Berlusconi, um sich selbst aus der Schusslinie zu bringen, Ermittlungen und laufende Verfahren generell ab. Nach seinem zweiten Amtsantritt im Juni 2001 erließ er Regierungsdekrete, mit denen fünf gegen ihn noch laufende Strafverfahren bzw. Urteile der ersten Instanz eingestellt oder kassiert wurden. Rund 5.000 eingestellte Verfahren betrafen Hunderte Mafiaverbrechen wie illegalen Waffenhandel, Drogengeschäfte und Bandenkriminalität. Der Medientycoon hebelte "demokratische und rechtsstaatliche Normen aus", weil es "seinen privaten Interessen dienlich ist", hielt die "Neue Zürcher Zeitung" am 15. Januar 2011 fest. Minister Berlusconis verkündeten, man müsse eben auch "mit der Mafia zusammenarbeiten". Berlusconi wurde beschuldigt, die Komplizenschaft mit der Mafia fortzusetzen. In seiner Villa Arcore in Mailand wurde ein Verbindungsmann der Mafia als Stallknecht getarnt ausgemacht. Ein "Lex Berlusconi" genanntes Gesetz untersagte den Justizbehörden, gegen ihn Ermittlungen zu führen. An Prozessen gegen ihn beteiligte Juristen, das waren 789, attackierte Berlusconi als "rote Richter", die ihn stürzen wollten, und verunglimpfte sie als "Taliban", "Schwerverbrecher" und "Eiterbeulen der Gesellschaft".


Mafia ohne Schutzpatron

Nach seinem Fall im November 2011 wurde Berlusconi letztendlich 2014 wegen Steuerbetrugs in Millionenhöhe, Unterhalt von Scheinfirmen im Ausland und Anwaltsbestechung zu vier Jahren Haft verurteilt, die er reduziert in einem einjährigen Sozialdienst antrat.

Dass es seit dem Amtsantritt der sozialdemokratischen Regierung (Partito Democratico PD) 2014 unter Matteo Renzi einige Fortschritte im Kampf gegen die Mafia gibt, lässt Experten vermuten, dass die Verbrecherorganisation mit dem Fall Berlusconis ihren Schutzpatron verloren hat.

*

Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang