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ITALIEN/141: Nach den Erdbeben - Renzi liegt Dreistufenplan für Wiederaufbau vor (Gerhard Feldbauer)


Nach Erdbeben in Italien:
Premier Renzi verkündet jährlich drei Milliarden Euro für Wiederaufbau

Obdachlose nicht länger als einen Monat in Zelten

Von Gerhard Feldbauer, 30. August 2016


Vier Tage nach dem verheerenden Erdbeben am 24. August hat Premier Matteo Renzi zur Hilfe für die Tausenden von Obdachlosen und den Wiederaufbau der drei völlig zerstörten Berggemeinden des Apennin in der Rom benachbarten Region Latium und in den Marken einen Dreistufenplan vorgelegt. Er sieht, wie die regierungsnahe La Repubblica am Montag berichtet, nach sofortigen ersten zwei Tranchen von 700 Millionen Euro jährlich zwei bis drei Milliarden Euro vor. Experten bezweifeln, ob diese Summen ausreichen werden, da allein die Erdbebensicherung von Wohngebäuden bis zu 36 Milliarden Euro kosten könnte.

Die in Zelten untergebrachten Obdachlosen sollen nach einem Monat in stabilen Holzbungalows wohnen. In sechs bis acht Monaten soll nach den modernsten antiseismischen Standards der Wideraufbau beginnen. Die Projektierung übernimmt der international bekannte Architekt Renzo Piano, mit dem der Premier am Sonntag vier Stunden die Planungen beraten habe. Der Senator auf Lebenszeit, letztes Projekt 2012 der Londoner The Shard, mit 310 Metern der höchste Wolkenkratzer Europas, gilt als ein "Meister der Bautechnik". Erstmals in der Erdbebengeschichte sollen die neuen Gebäude neben den zerstörten oder auch auf deren Fundamenten errichtet werden. "Wir wollen, dass unsere Gemeinde nicht ihre Identität verliert", erklärte der Bürgermeister von Amatrice, Sergio Pirozzi.

Zur Leitung des Wiederaufbaus werde der frühere Präsident der Region Emilia Romagna, Vasco Errani, als Sonderkommissar ernannt. Da Errani bisher zur Opposition in der Partito Democratico (PD) Renzis gerechnet wurde, werten Beobachter das als Beweis, dass es dem Premier mit seinem Krisenmanagement gelinge, seine angeschlagene Position zu festigen. Die Stimmen, ihm durch ein "Nein" beim Referendum über die Abschaffung des Senats als zweiter Parlamentskammer eine Niederlage zu bereiten, sind fast verstummt. Renzi verwies auf das Scheitern des damaligen Premiers Berlusconi nach dem Erdbeben 2009 in der Abruzzenstadt Aquila, wo Mafiosi, als deren Komplize der Ex-Premier beschuldigt wurde, Hilfsgelder kassierten. Seine Regierung werde anders verfahren als in Aquila, wo "Jahre verloren" wurden.

Die Zahl der Toten ist auf 290 angewachsen. 231 entfallen auf Amatrice, das Epizentrum des Bebens. 388 Verletzte werden in Krankenhäusern behandelt. Die Nachbeben stiegen auf über 2000 an, was die Rettungsarbeiten erschwerte. Obwohl noch immer nach Überlebenden gesucht wird, besteht nur noch wenig Hoffnung. Renzi, der mit Staatspräsident Sergio Mattarella am Sonnabend an der Beisetzung von Opfern der Stadt Ascoli Piceni teilnahm, wird am Dienstag an einem weiteren Trauerakt für die Opfer der am stärksten betroffenen Gemeinde von Amatrice präsent sein. Auch Papst Franziskus will alle Ortschaften des Erdbebens besuchen. Als Zeichen der Staatstrauer sind die Fahnen an öffentlichen Gebäuden auf halbmast gesetzt. Die staatliche Rundfunk- und Fernsehanstalt RAI stellte auf allen Kanälen ihre Werbesendungen ein.

Wie die Nachrichtenagentur ANSA berichtete, ermitteln die Staatsanwaltschaften von Rieti (Abruzzen) und die von Ascoli Piceno (Marken) inzwischen wegen Pfusch beim Bau, Nichteinhaltung von Bauvorschriften und Anti-seismischen Vorschriften, die zum Einsturz von Gebäuden führten, die als Erdbebensicher ausgegeben wurden und den Tod zahlreicher Menschen verursachten. Unter Einbeziehung der Anti-Mafia-Kommission der Regierung werde die Vergabe von Aufträgen und die Kontrolle der Aufsichtsbehörden überprüft. "Was da passiert ist, kann nicht nur als Unglück gesehen werden", zitierte La Repubblica den Staatsanwalt Giuseppe Saieva. Bei einigen der zerstörten Häuser sei "mehr mit Sand als mit Zement" gebaut worden. Eine 2012 in Amatrice erbaute Schule wurde als Erdbebensicher eingestuft.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2016

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