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ITALIEN/143: Renzi nach Erdbeben im Aufwind (Gerhard Feldbauer)


Renzi nach Erdbeben im Aufwind

Zustimmung zum Referendum über Abschaffung des Senats wächst

von Gerhard Feldbauer, 13. September 2016


Das umsichtige Reagieren Premier Renzis nach dem schweren Erdbeben am 14. August hat ihm Auftrieb in der Auseinandersetzung über das Referendum zur Abschaffung des Senats als zweiter Parlamentskammer verschafft. In einer von La Repubblica veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts "Demos" wird seine Partito Democratico (PD) mit 32 Prozent im ersten Urnengang bei Parlamentswahlen wieder an erster Stelle gesehen, während die Protestbewegung Fünf Sterne (M5S) auf 29 Punkte absinkt. Im Juli war es noch umgekehrt gewesen. Darauf hat zweifelsohne auch eingewirkt, dass die Protestpartei, die seit Juni Rom regiert, ein Desaster erleidet: Nicht nur dass die M5S-Chefin auf dem Campidoglio, Virginia Raggi (die Strahlende), das Chaos bei Verkehr und Müllabfuhr nicht in den Griff bekommt, obendrein wird sie beschuldigt, die Verwicklung ihrer Assessorin für Umweltschutz, Paola Muraro, in Mafia-Affären vertuscht zu haben. Das wecke, so La Repubblica, "Zweifel an der Regierungsfähigkeit der Bewegung".

Das Referendum stand, wie La Repubblica ausführlich berichtete, im Mittelpunkt der Debatten des von der linken Unita veranstalteten Pressefests der PD. Sie verdeutlichte, dass der Senat ein Relikt der 1946 im Ergebnis der Resistenza gestürzten Monarchie ist. Nun setzt der zum rechten Sozialdemokraten mutierte frühere Christdemokrat Renzi mit der Beseitigung des Senats als faktisches "Oberhaus" einen im Grunde genommenen progressiven Schritt im bürgerlich-parlamentarischen System in Gang. Die neue Verfassung werde "der Realität entsprechen", betonte Renzi, der scharf den früheren Ministerpräsidenten von Mitte Links-Regierungen und Mitbegründer der PD, Massimo D'Alema, der die Front des "No" (Nein) anführt, attackierte. Der stelle sich "an die Seite von Berlusconi und Salvini" führte Renzi aus, der in der Vergangenheit allerdings bei fehlenden Mehrheiten im Senat selbst mehrfach mit dem faschistoiden Berlusconi Absprachen traf. Er verwies auf Entwicklungen wie "der AfD in Deutschland, von Le Pen in Frankreich und Farage in England und des Qualunquismo in Italien (Jedermann-Bewegung der Mussolini-Faschisten nach 1945) und der Demagogie der Grünhemden (Paramilitärischen Formationen der rassistischen Lega Nord)" und warnte, ihnen Auftrieb zu verschaffen. Mit ihrem "No" beim Referendum hatte sich die PD-Minderheit in eine widersprüchliche und kontraproduktive Situation manövriert. Da Renzi bei einem Scheitern seinen Rücktritt angekündigt hatte, wollte vor allem die PD-Linke ihm für seine rechts ausgerichtete und arbeiterfeindliche Politik eine Niederlage bereiten, um seinen Rücktritt als PD- und Regierungschef durchzusetzen. Das hat Renzi mit seinem Widerruf des Rücktritts durchkreuzt.

Nun hat in der PD-Minderheit ein Umdenkungsprozess weg vom "No", den vor allem die Linke in Gang setzte, begonnen. Nachdem Renzi das Referendum für Ende November/Anfang Dezember festgelegt hatte, wurde ein für den 5. September angesetzter Kongress des "No" auf Mitte Oktober mit einer nicht festgeschriebenen Tagesordnung verschoben. Gleichzeitig hat sich der zur Minderheit zählende frühere PD-Sekretär Luigi Bersani gegen ein "No" ausgesprochen.

Eine Wende scheint sich auch bei der Forderung nach Änderung des Wahlgesetzes Italicum abzuzeichnen. Es spricht der Partei, die 40 Prozent Stimmen erreicht, einen Siegerbonus von 340 der etwa 630 Sitze im Abgeordnetenhaus zu. Da Koalitionen ausgeschlossen sind, haben kleinere Parteien, wenn sie unter die drei Prozent Sperrklausel fallen, keine Chancen. Nach Staatspräsident Sergio Mattarella hat sich der im Januar 2015 zurückgetretene Giorgio Napolitano, der als Ziehvater Renzis gilt, ebenfalls für die Verfassungsreform ausgesprochen und geraten, sich gleichzeitig einer Änderung des Italicum zuzuwenden. Der Premier hat laut ANSA seine Bereitschaft zu Änderungen erklärt. Es wird angenommen, dass er der am 4. Oktober durch das Oberste Verfassungsgericht anstehenden Überprüfung zuvorkommen will.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. September 2016

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