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ITALIEN/146: Renzi will nun doch Wahlgesetz Italicum ändern (Gerhard Feldbauer)


Renzi will nun doch Wahlgesetz Italicum ändern

Ein geschickter Schachzug gegen M5S

von Gerhard Feldbauer, 5. Oktober 2016


Um einer drohenden Niederlage beim Referendum über die Reform des Senats am 4. Dezember vorzubeugen, hat Premier Renzi eine Kehrtwende in der Debatte über das Wahlgesetz Italicum vollzogen und sich zu Abänderungen noch vor der Abstimmung bereit erklärt. Die regierungsnahe La Repubblica zitierte ihn am Sonntag, "das Referendum sei wichtiger, also werde man Italicum opfern". Damit werde der Polemik über das Wahlgesetz der Boden entzogen, was der Kampagne für ein "Si" (Ja) im Referendum diene. Am 10. Oktober werde die Leitung der Partito Democratico (PD) beraten und dazu Vorschläge unterbreiten, die einen "Bruch mit der Linken" vermeiden. Der PD- und Regierungschef rief alle politischen Kräfte auf, sich an der Diskussion zu beteiligen. Am Montag korrigierte er gegenüber Radio Popolare, die PD werde keine Vorschläge unterbreiten, die Entscheidung liege beim Parlament. Zum 4. Oktober ist außerdem eine Entscheidung des Obersten Verfassungsgerichts angesagt.

An dem bereits vor zwei Jahren von der Abgeordnetenkammer und dem Senat verabschiedeten Wahlgesetz ist vor allem die Prozedur für die Mehrheitsprämie, auch Siegerbonus genannt, umstritten. Sie gewährt der Partei, die wenigstens 40 Prozent der Stimmen erreicht, 340 der insgesamt 630 Sitze (54 Prozent) im Parlament. Wird diese Quote im ersten Wahlgang nicht erreicht, findet ein Ballottaggio (zweiter Urnengang) statt, zu dem sich die beiden bestplatzierten Kandidaten stellen. Kritikpunkt ist weiter, dass Koalitionen nicht mehr zugelassen sind und die Parteien einzeln antreten müssen. Dafür wurde die Sperrklausel von vier auf drei Prozent gesenkt, die jedoch auch für allein antretende kleinere Parteien kaum zu überwinden ist, weshalb die Kritik dagegen hier vor allem von der Partei Linke für Umwelt und Freiheit (SEL), den beiden kommunistischen Parteien (Rifondazione Comunista - PRC - und Kommunisten Italiens - PCdI), aber auch von der Linken in Renzis PD kam. Während Renzi am Siegerbonus festhalten will, ist er nun dafür, im Ballottaggio Koalitionen der Parteien zuzulassen. Damit will er die Einheit seiner PD herstellen und auf dieser Basis ein Bündnis mit der SEL anstreben, das ihm einen Vorteil gegenüber der extremen Rechten (Forza Italia, Lega Nord und den faschistischen Fratelli Italiens) verschafft. Diese ist für ein "No" im Referendum, hätte aber dann schlechte Karten, wenn sie auf vorgezogenen Wahlen besteht. Denn ihre Koalition liegt laut Umfragen derzeit unter 20 Prozent.

Die Absichten des Premiers zielen bereits auf Wahlen, entweder vorgezogene 2017 nach einer Niederlage im Referendum oder bei einem Sieg auch reguläre 2018. Um Renzi eine Niederlage zu bereiten, hat die extreme Rechte bei den Bürgermeisterwahlen im Juni in Rom, wie die Wahlergebnisse zeigten, ihre 20 Prozent im ersten Votum beim Ballottaggio der Kandidatin von M5S gegeben und ihr zum Sieg verholfen. Für künftige Parlamentswahlen hatte Lega-Chef Salvini der Protestpartei bereits offen ein Wahlbündnis angeboten. In Koalitionen ist das nicht mehr möglich, denn M5S würde das kaum wagen. Außerdem braucht die extreme Rechte ihre Stimmen selbst. "Der Angriff richtet sich also gegen M5S", schreibt das linke Fatto Quodidiano.

Unabhängig von der Debatte über eine Änderung des Italicum betreibe Renzi "die totale Mobilisierung für das Referendum", schreibt La Repubblica. Er hat am Wochenende mit Auftritten in seiner Heimatstadt Florenz, wo er vor seiner Berufung zum Premier Bürgermeister war, und in Perugia, der Regionalhauptstadt von Umbrien, wo seine PD an der Spitze einer Mitte Links-Koalition regiert, begonnen. Alle Minister seiner Regierung sollen sich aktiv in die Kampagne für ein "Si" (Ja) einbringen, darunter auch sein Innenminister Angelino Alfano, Chef der aus der Forza Italia (FI) Berlusconis hervorgegangenen Neuen Rechtspartei NCD. Eine wichtige Unterstützung für Renzi erwartet das Blatt auch von dem früheren Staatspräsidenten Giorgio Napolitano, dessen Wortmeldung erwartet wird.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2016

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