Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → POLITIK


ITALIEN/166: Tod einer Tagelöhnerin im Süden des Landes bringt betrügerisches Ausbeutungssystem ans Licht (Gerhard Feldbauer)


Tod einer Tagelöhnerin in Süditalien bringt betrügerisches Ausbeutungssystem ans Licht

Afrikaner schuften 14 Stunden für 10 Euro

von Gerhard Feldbauer, 2. März 2017


Es ging auf Mittag zu an diesem 13. Juli 2015. Die Sonne brannte glühend heiß auf die Weinberge am Rande von Andria im süditalienischen Apulien, als die 49jährige Paola Clemente bei der Weinlese einen Herzinfarkt erlitt, an dem sie verstarb. Statt einen Arzt zu rufen oder sie ins Krankenhaus zu bringen, legte man sie unter einen Baum. Um 2.30 Uhr nachts hatte der Arbeitstag der Tagelöhnerin mit drei Kindern und einem arbeitslosen Ehemann in der 15.000 Einwohner zählenden Gemeinde San Giorgio Ionico, Provinz Taranto, mit einer Fahrt im voll gepferchten Kleinbus begonnen. Nach 13 Stunden, oft auch länger, kehrte sie nach Hause zurück.

Bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, die nach Anzeigen des Ehemannes und der Gewerkschaft CGIL eingeleitet werden mussten, geht es nicht nur darum, ob der Tod durch die unmenschlichen Arbeitsbedingungen - es herrschte eine Hitze von 40 Grad im Schatten - und unterlassene Hilfeleistung verursacht wurde, sondern auch um die betrügerischen Machenschaften, mit denen die Angeklagten sich schamlos bereicherten. Sechs Personen, darunter der Inhaber eines Transportunternehmens, Ciro Grassi, der die Arbeiterinnen zu den Weinbergen brachte, und der Direktor der Arbeitsvermittlungsagentur, Pietro Bello, gleichzeitig der Arbeitgeber, und zwei Buchhalter sitzen in Untersuchungshaft.

Ans Licht kommt ein betrügerisches Ausbeutungssystem, das die Notlage der Frauen, deren Männer arbeitslos sind, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder vor dem Hungertod bewahren sollen, schamlos ausnutzt. Medienberichte, so die römische La Repubblica oder Südtirol News schrieben von "sklavenähnlichen Verhältnissen". Paola Clemente gehörte zu 600 Frauen, die, die Bus-Fahrt inbegriffen, für 30 Euro zwölf bis 13 Stunden mallochen mussten. Ohne Sozialabgaben, ohne Krankenversicherung erhielten sie in faktischer Schwarzarbeit einen Stundenlohn von weniger als drei Euro, etwa die Hälfte des tariflich festgelegten. Die Betrüger rechneten auf den Gehaltsstreifen bis zu 30 Prozent höhere Löhne und nicht gezahlte Sozialleistungen ab. Aus Angst, die einzige Arbeit zu verlieren, schwiegen die Frauen und nahmen den Betrug hin.

Es ist ein "Caporalato" genanntes mafioses System der Schwarzarbeit, das nach einem Bericht der CGIL von Apulien allein in der Landwirtschaft dieser Region etwa 40.000 Arbeiter, meist Frauen ausbeutet. In Campanien und Sizilien wird die Zahl der bei der Trauben-, Oliven- und Orangenernte, auf Tomaten-, Zwiebel- und Erdbeerfeldern, in Pfirsich- und Aprikosenplantagen illegal beschäftigten Saisonarbeiter auf wenigstens eine halbe Million beziffert. In einem Bericht der Caritas Italiana vom Oktober vergangenen Jahres hieß es, dass von den 4,6 Millionen der Ärmsten die meisten in Süditalien leben und es Familien mit drei und mehr Kindern sind. Viele sind Arbeitslose, die im Mezzogiorno, wie der Süden in der Landessprache heißt, eine Quote bis zu 50 Prozent erreichen.

Der CGIL-Rapport nennt das Zentrum der "Tomatenindustrie Europas" in der Provinz Foggia in Apulien, wo jährlich rund 20.000 Menschen, meist Migranten, bei der Ernte für die Hälfte des Mindestlohnes schuften und in Baracken ohne fließendes Wasser und jegliche sanitäre Einrichtungen dahin vegetieren. Sie erhalten keine Sozialversicherungen, keine gesundheitliche Betreuung, die Arbeitszeit beträgt 12 und mehr Stunden und es gibt keinen Anspruch auf Urlaub. Wer sich beklagt, werde bedroht und körperlich misshandelt. Die katholische Ordensschwester Paola Palmieri, die sich in Foggia um Betroffene kümmert, berichtete von jungen Afrikanern, die von fünf Uhr morgens bis sieben Uhr abends Zwiebeln ernten und dann jeweils zehn Euro in die Hand gedrückt bekommen. In Salento starb dort im Juli 2016 ein 47jähriger Sudanese bei der Tomatenernte, nachdem er nach einem Kreislaufzusammenbruch keine medizinische Hilfe erhielt.

*

Quelle:
© 2017 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang