Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → POLITIK


ITALIEN/186: Italiens unbewältigte schwarze Vergangenheit (Gerhard Feldbauer)


Italiens unbewältigte schwarze Vergangenheit

Mailänder Espresso warnt vor drohender faschistisch-rassistischer Regierung

von Gerhard Feldbauer, 11. August 2017


Der Mailänder Espresso warnt nach Meinungsumfragen vor einer bei den Parlamentswahlen im Februar 2018 drohenden Rückkehr einer faschistisch-rassistischen Allianz "unter dem Kommando Berlusconis" an die Regierung. In drei Beiträgen hat die renommierte Wochenschrift sich mit den Ursachen dieses Kapitels unbewältigter "schwarzer Vergangenheit" befasst und ist zu dem Schluss gekommen, dass sich die "Abrechnung mit dem Faschismus" auf die Hinrichtung Mussolinis und einer Anzahl führender Faschisten durch ein Partisanenkommando am 28. April 1945 beschränkt habe. Danach konnte die Mussolini-Partei trotz des in der Verfassung festgeschriebenen Verbots bereits im Dezember 1946 in Gestalt der Sozialbewegung (Movimento Sociale Italiano - MSI) wieder erstehen. Das gehöre "zu den ungelösten Problemen, die Italien heute belasten." Espresso verfolgt die Spuren der Terroranschläge "der schwarzen Extremisten", die ein faschistisches Regime wieder an die Macht putschen wollten. Viele von ihnen seien "niemals zur Verantwortung gezogen worden", weil "sie Komplizen und Protektionisten im Staatsapparat, den Geheimdiensten, der Polizei und der Justiz hatten".

Eingegangen wird auf zwei "der übelsten schwarzen Terroristen", Franco Freda und seinen Komplizen Giovanni Ventura, die im Dezember 1969 den Bombenanschlag auf die Mailänder Landwirtschaftsbank an der Piazza Fontana ausführten (17 Tote, 88 Verletzte). Erst 1972 wurden beide verhaftet. Freda der wegen 16 Attentaten 1978 nur 15 Jahre Gefängnis erhielt, kam bereits 1986 frei. Ungehindert konnte er eine "Fronte Nationale" bilden und einen ultrarechten Verlag gründen, über den er noch heute "übelsten Rassismus" verbreite. Ventura konnte nach Argentinien entkommen. Von den zahllosen Bombenlegern, die bis in die 1980er Jahre Dutzende Anschläge begingen, seien heute nur noch zwei im Gefängnis.

Die römische La Repubblica berichtete, wie in Predappio in der Emilia Romagna, wo Mussolini am 29. Juli 1883 geboren wurde, Neofaschisten und Rassisten tagelang mit Ehrenwachen in Schwarzhemden, unter Keltischen und Hakenkreuzen und dem römischen Gruß (dem italienischen "Führergruß") die Herrschaft des Diktators (1922-1945) feiern, seine Verbrechen verherrlichen und ihn als ein Vorbild für die Gegenwart rühmen konnten. Auch dieser Bericht verdeutlichte, wer diese unbewältigte schwarze Vergangenheit zu verantworten hat. Die Rechtskräfte in der führenden Regierungspartei Democrazia Cristiana (DC). Für die Unterstützung, mit denen die MSI ihren Regierungen eine fehlende Parlamentsmehrheit verschaffte, erlaubte Premier Adone Zoli 1957, den Leichnam Mussolinis nach Predappio zu überführen und dort in einem Ehrenhain beizusetzen. Die MSI erwies sich weiter dankbar. 1960 wurde Fernando Tambroni, ein früherer Hauptmann der Miliz Mussolinis, nunmehriger Premier der DC, mit den Stimmen seiner faschistischen Kumpane ins Amt gebracht. 1962 wurden Mario Segni und 1972 Giovanni Leone von der DC mit den MSI-Stimmen zu Staatspräsidenten gewählt. Dafür erhielt die Witwe des Diktators eine Rente bewilligt und das MSI-Blatt Sècolo d'Italia bekam offizielle Staatszuschüsse. Predappio wurde zum Wallfahrtsort, den jährlich weit über Hunderttausende besuchen. "Duce"-Feiern finden unbehelligt wenigstens dreimal im Jahr statt: zum Geburtstag, zum "Marsch auf Rom" von 1922 und zu seinem Todestag (der Hinrichtung am 28. April 1945), die als "Mord" diffamiert wird.

Das Paktieren mit Faschisten und Rassisten setzt der frühere Christdemokrat Matteo Renzi, der zum sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) wechselte und ihr Chef wurde, mit dem faschistoiden Ex-Premier und Chef der rechtsextremen Forza Italia (FI), Berlusconi fort. Das hat zur Spaltung der PD geführt, der über Einhunderttausend Mitglieder den Rücken kehrten. Die Weigerung Renzis, dem Bündnis mit Berlusconi eine klare Absage zu erteilen, verhindert, der extremen Rechten eine Mitte-Links-Koalition entgegenzustellen.

Die faschistisch-rassistischen Umtriebe wurden von einer breiten Öffentlichkeit scharf verurteilt. Der Präsident des Partisanenverbandes ANPI von Mailand, Roberto Cenati, nannte die umstürzlerischen, gegen die Verfassung verstoßenden Aktivitäten, die sich seit langem wiederholten, außerordentlich beunruhigend. Die Verherrlichung des Faschismus und Rassismus sei "ein Verbrechen gegen die Menschheit, die den Holocaust, Deportationen und Verfolgung jeglicher Opposition erlebt habe". Er forderte die Staatsanwaltschaft der Republik sowie alle zuständigen Behörden auf, die vorhandenen Gesetze strikt durchzusetzen und die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Der ANPI-Präsident ordnete diese faschistischen Aktivitäten in den gegenwärtigen internationalen Rahmen ein und verwies auf die internationale Vernetzung der beteiligten Organisationen.

*

Quelle:
© 2017 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang