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ITALIEN/240: Italienische Linke wollen auch "Aufstehen" - Umstrittenes Projekt einer neuen Volkslinken (Gerhard Feldbauer)


Italienische Linke wollen auch "Aufstehen"

Umstrittenes Projekt einer neuen "Sinistra Popolare" in Rom gestartet

von Gerhard Feldbauer, 11. September 2018


In Rom haben am Sonnabend Linke verschiedener Couleur beschlossen, unter dem Symbol "Patria e Costituzione" einen Verein zur Gründung einer "Sinistra di Popolo" (Volkslinke - SdP) einzuleiten. Zu der Versammlung im Protomoteca-Saal des Campidoglio (der Stadtverwaltung von Rom) für öffentliche Veranstaltungen fanden sich weit über 100 Vertreter vor allem des zu den Wahlen im März als Freie und Gleiche (LeU) angetretenen Bündnisses, anderer linker Gruppen und Kommunisten der Rifondazione Comunista (PRC) und der Jugendorganisation der PCI ein. Von der Demokratischen Partei (PD) war Lionello Cosentino, Sekretär der römischen Sektion, gekommen. Von der LeU selbst war der Vorsitzende, der frühere Senatspräsident Pietro Grasso, nicht erschienen.

Stefano Fassini, Abgeordneter der LeU, gilt als der Protagonist dieses neuen Anlaufs einer Sammlung der Linken. Er erinnerte in seiner Rede daran, dass vor 75 Jahren, am 8. September 1943, nach dem Sturz Mussolinis und dem Waffenstillstand mit den westlichen Alliierten Italien mit der faschistischen Achse brach. Einen Tag später bildeten Kommunisten und Sozialisten mit den antifaschistischen Oppositionsparteien (Christdemokraten, Liberalen und Republikanern) ein antifaschistisches Befreiungskomitee, das zum Befreiungskrieg gegen das Besatzungsregime der Hitlerwehrmacht aufrief und einen historischen Beitrag zum Sieg über den Faschismus im April 1945 leistete.

An diesen Traditionen, an den in der Verfassung der 1946 erkämpften Italienischen Republik bis heute verankerten antifaschistischen wie sozialen und demokratischen Grundsätzen will die neue Volkslinke anknüpfen und Themen wie Souveränität, Patriotismus und das Verhältnis der Nation gegenüber der EU - Felder, die bisher die Lega bestreitet - in den Mittelpunkt stellen. "Wir gehen von den Idealen des Vaterlandes im Sinne der Nation, von den Verurteilten und Toten der Resistanza, den Partisanen und unseren Vätern und Müttern aus", führte Fassina aus. Das linke Manifesto kritisierte das als eine Vereinfachung. Das bezieht sich darauf, dass damals Kommunisten und Sozialisten das Befreiungskomitee dominierten, während sie heute nahezu ohne Einfluß sind.

Fassina charakterisierte die derzeitige Regierung aus der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) als eine gefährliche rassistische, wobei die rechts ausgerichtete Rolle der M5S, die den Rassismus der Lega demagogisch kaschiert, verschwommen blieb. Ebenso fehlte eine klare Abgrenzung von dem in der PD unter Matteo Renzi betriebenen Pakt mit dem Unternehmerverband Confindustria, was zu einer völligen Entfremdung ihrer Arbeiterbasis führte und diese in die Hände der M5S trieb.

Breiten Raum nahm, auch in der Diskussion, die Haltung zur EU ein. Mit der neoliberalen Globalisierung abzurechnen, bedeute nicht, "die EU oder die Euro-Zone zu verlassen", hatte Fassina ausgeführt. Und das, obwohl die EU als von Deutschland kolonisiert gesehen wird. Vladimiro Giacché, Präsident des Centro Europa Ricerche (CER), der laut Manifesto den einzigen bemerkenswerten Beitrag hielt, erinnerte daran, dass die Verfassung "das Recht auf Arbeit" verkündet, das durchgesetzt werden müsse. Die Verfassung müsse auch Priorität gegenüber den EU-Verträgen haben. Eine kulturelle und politische Initiative müsse von der Welt der Arbeit und sozialer Gerechtigkeit ausgehen.

Das Projekt ist heftig umstritten. Nicht zuletzt, weil Stefano Fassina eine schillernde Wende-Karriere hinter sich hat. Der Wirtschaftswissenschaftler gehörte der alten PCI an, dann der 1991 aus ihr hervorgegangenen Linkspartei PDS/DS, danach der aus einer Fusion mit der katholischen Zentrumspartei Margherita hervorgegangenen PD. Unter der Mitte-Links-Regierung Romano Prodis, die vor dem Kapital kapitulierte, war er Minister, dann in der PD-geführten Regierung Vizeminister. 2015 verließ er die PD, gehörte zu den Gründern der Sinistra Italiana (SI), die in der LeU aufging, der als einziger linker Gruppierung im März 2018 mit 3,4 Prozent der Einzug ins Parlament gelang. Das Zentrum für eine Reform des Staates (CRS) fragte auf seiner Online-Plattform, "ob es tatsächlich notwendig" sei, eine neue Gründung einzuleiten.

Manifesto fragte nach den Perspektiven und Aussichten der neuen Bewegung. Das bezieht sich auf den linken Gegenpol zur LeU und damit der jetzigen SdP, die Gruppe "Die Macht dem Volke". Von der Mitgliedschaft her ähnlich wie LeU zusammengesetzt bezieht sie jedoch im Gegensatz zu dieser antikapitalistische Positionen. Sie plant, sich als Partei zu profilieren und dürfte damit weiter eine Konkurrenz zur neuen SdP sein. Bezeichnenderweise blieb sie der SdP-Gründung fern.

Mit großem Beifall wurde eine von Sarah Wagenknecht an "die italienischen Genossen" übermittelte, per Video eingeblendete Grußbotschaft der deutschen linken Bewegung "Aufstehen" begrüßt, in der ein im Wesen gleiche Ziele verfolgender Partner gesehen wird, wie Fassina in seinem Dank hervorhob.

Letzte Nachrichten vom Montag in dem sonst dünnen Echo kamen vom Kommunistischen Online-Portal Contropiano, das zur SdP-Gründung vermerkt, die Entwicklung bleibe abzuwarten. Eine Entscheidung, ob es gelinge, den Trend nach extrem rechts zu stoppen, wird bei den EU-Wahlen (Mai 2019) erwartet. Aus PCI-Kreisen verlautete, an die positiven Aspekten anzuknüpfen.

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. September 2018

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