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ITALIEN/362: Mitte-Links-Parteien denken über Verbleib in Draghi-Regierung nach (Gerhard Feldbauer)


Nachdenken über Verbleib in Draghi-Regierung

Für Lega-Chef Salvini steht Leaderschaft der faschistischen Allianz auf dem Spiel

von Gerhard Feldbauer, 8. September 2021


Im Frühjahr 2022 steht die Wahl eines neuen Staatspräsidenten an, bei der die der sogenannten Mitte-Links-Regierung Mario Draghis angehörenden Parteien - der sozialdemokratische Partito Demokratico (PD), die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) als auch die Faschisten der Forza Italia (FI) Berlusconis und der Lega Salvinis - ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Auf beiden Seiten setzen Überlegungen ein, ob man dazu in der Regierung des EX-EZB-Chefs Draghi gut plaziert ist oder sie besser verlassen sollte. In den vergangenen Tagen hat sich dazu aus der PD-Leitung der EU-Parlamentarier Goffredo Bettini zu Wort gemeldet und erklärt, die Draghi-Regierung "ist nicht unsere Regierung". Man solle sie besser verlassen, enttäuschten Linken "ein neues politisches Angebot" vorlegen, in dem "wir ihnen klar sagen, wohin wir wollen". Dazu wollte Bettini auch noch den Ex-Kommunisten, Mitbegründer und früheren Parteichef des PD, Luigi Bersani, der die Partei wegen ihres Rechtskurses verließ, gewinnen.

Da schrillen bei Lega-Führer Matteo Salvini wohl die Alarmglocken. Wie die staatliche Nachrichtenagentur ANSA am Dienstag berichtete, will er Draghi im Parlament eine Abstimmungsniederlage bereiten, was eine Regierungskrise auslösen könnte. Es geht um den umstrittenen "Grünen Pass", was aber, wie das linke Manifesto am Mittwoch bemerkte, nur ein Vorwand ist. Die Pirouetten Salvinis bedeuten in Wirklichkeit, dass er "die Machtverhältnisse" in der faschistischen Koalition überprüfen will. Das betrifft die Chefin der Brüder Italiens (FdI), Giorgia Meloni, die ihm vor kurzem die Leaderschaft in der Koalition mit der Ankündigung streitig machte, nach den nächsten Wahlen (sie stehen planmäßig im Frühjahr 2023 an, könnten aber auch vorgezogen werden) werde sie "die Führung der Nation" übernehmen. Das schließt logischerweise ein, dass sie als Kandidatin der Allianz antreten will.

Ihre Position in der Allianz hat sie vor allem dadurch gefestigt, dass sie der Draghi-Regierung nicht beitrat. In Wählerumfragen ist sie danach auf über 18 Prozent angestiegen und hat damit ihren Anteil fast verdoppelt, während Salvinis Lega von 32 Prozent bei dem Märzwahlen 2018 auf 21 Prozent abgesunken ist. Laut Manifesto laviert Salvini. Er werde sich "den Brüdern Italiens anschließen, um das grüne Zertifikat zu begraben". Ob er Draghi danach aufgibt, hänge davon ab, ob er als Führer der Allianz bestätigt wird. Dann werde er "sich auf den Sieg der Rechten konzentrieren".

Vorerst hat Salvini aber andere Sorgen. In Palermo wird im September gegen ihn ein Prozess eröffnet. Es geht um den Fall des spanischen Rettungsschiffes "Open Arms" der gleichnamigen Nichtregierungsorganisation, dem Salvini im August 2019 als Vizepremier und Innenminister der Regierung Giuseppe Conte mit etwa hundert Migranten an Bord die Einfahrt in den Hafen von Lampedusa auf Sizilien verweigerte. In dem Verfahren wird er wegen Entführung und Machtmissbrauchs angeklagt. Im Fall einer Verurteilung drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft.

Der Rassistenchef hofft allerdings, Kapital für sich herauszuschlagen. Bei der vorangegangenen Anhörung in Palermo zeigte er sich, wie ANSA berichtete, "überhaupt nicht" beeindruckt von dem Antrag der Staatsanwaltschaft. "Ich bin stolz darauf, für den Schutz meines Landes gearbeitet zu haben", verbreitete er danach auf Twitter. Er habe sich "an das Gesetz gehalten und Europa aufgeweckt". Das Gesetz ist zwar modifiziert worden und wird nicht mehr angewendet, ist aber auch unter der Draghi-Regierung noch nicht aufgehoben worden, obwohl die Nichtregierungsorganisation "Open Arms" nach der Anhörung bekräftigte, dass der frühere Innenminister "die Rechte schutzloser Menschen verletzte, was ein Verbrechen in jedem demokratischen Land, das die Verfassung und internationale Konventionen respektiert, ist".

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Quelle:
© 2021 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 14. September 2021

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