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ITALIEN/380: Zehntausende protestieren gegen Schülertod "in der Welt der Arbeit und des Profits" (Gerhard Feldbauer)


In über 40 Städten

Zehntausende protestierten gegen Schülertod "in der Welt der Arbeit und des Profits"

von Gerhard Feldbauer, 21. Februar 2022


Zum vierten Mal seit November vergangenen Jahres sind am 18. Februar in über 40 Städten - von Turin und Mailand, über Rom bis Bari und Palermo - Zehntausende Schüler der Gymnasien auf die Straße gegangen, um gegen die Misere an den Schulen zu protestieren, die Abschaffung der "Pathways for Transversal Skills and Orientation" (des "Wechsels von der Schule zum Beruf") und die Sicherheit des Lebens zu fordern. Letzter Anlass war, dass die Gymnasiasten Lorenzo Parelli (18 Jahre) und Giuseppe Lenoci (16) in den vergangenen drei Wochen während eines Betriebspraktikums ums Leben kamen. Im Fall Parelli, der von einer 150 Kilogramm schweren Metallstange, die von einem 15 Meter hohen Gerüst fiel, auf den Kopf getroffen wurde, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts fahrlässiger Tötung. Die Proteste wurden von den drei großen Gewerkschaften GIL, CISL und UIL und der Basis-Gewerkschaft USB unterstützt, Kommunisten, Linke wie die Partei Potere al Popolo (Die Macht dem Volke) solidarisierten sich mit den Schülern.

Lorenzo Giusstolisi vom USB-Vorstand nannte den Tod der beiden Gymnasiasten eine Folge ihrer "Einbeziehung in die Welt der Arbeit und des Profits". In dieser Welt starben vom Januar bis Oktober 2021 mehr als 1000 Menschen am Arbeitsplatz, durchschnittlich drei pro Tag. So viele waren es, wie das linke "Manifesto" berichtete, wieder auch am Vortag des Schülerstreiks: ein Fischer, ein Arbeiter und ein Lastwagenfahrer. Das kommunistische Online-Portal "Contropiano" hob hervor, dass Demonstranten vielerorts den Sozialdemokratischen Partito Democratico, der mit Faschisten in der Draghi-Regierung sitzt, für die Misere an den Schulen mit verantwortlich machten. In Neapel beschmierten sie sich vor der PD-Zentrale mit "rotem Blut", um die Verantwortung der Sozialdemokraten für den Tod von Lorenzo und Giuseppe anzuzeigen.

In Turin, wo es in den zurückliegenden zwei Wochen mehr als vierzig Besetzungen an den Schulen gab, zogen 4000 Menschen zur Zentrale des Industriellenverbandes Confindustria. Auf Plakaten hieß es "Unser Leben ist nichts wert, nur dein Profit" oder "Im schlimmsten Fall stirbt man in diesem System der Ausbeutung, im besten Fall ist man lebenslang unsicher". Die staatliche Nachrichtenagentur "ANSA" berichtete, dass Militante des Askatasuna-Sozialzentrums Farbbeutel warfen und Einlass forderten, der ihnen von einem Trupp Carabinieri verwehrt wurde. Bei den Zusammenstößen wurden sieben Polizisten verletzt. Ein Vertreter des Turiner AStA distanzierte sich von dem Vorgehen und Innenministerin Luciana Lamorgese sprach den Polizisten "Solidarität und Dankbarkeit" aus. "Contropiano" vermerkte, dass die Demonstration in Turin als Reaktion auf die "Repression" der Polizei zu sehen ist, die am 28. Januar in Turin auf der Piazza Vincenzo Arbarello im Zentrum mit Schlagstöcken gegen Schüler vorging und 40 verletzte.

In Mailand versammelten sich die Gymnasiasten auf der Piazza Cairoli und forderten die Abschaffung des Wechsels zwischen Schule und Arbeit, "der nur ein Wechsel zur Ausbeutung" sei. "Wir wollen ein anderes Schulmodell, mit Sicherheit am Arbeitsplatz." In Rom, wo in den vergangenen Wochen ebenfalls 50 Schulen besetzt wurden, forderten Vertreter der Schülervereinigung Lupa die sofortige Rücknahme der schriftlichen Abitur-Prüfungen, weil diese "die tiefe psychologische und pädagogische Krise, die wir erleben, nicht berücksichtigt". In Rom wurde, wie auf anderen Kundgebungen auch, der Rücktritt von Bildungsministerin Patrizia Bianchi als Verantwortliche für die chaotischen Zustände gefordert.

Das Schülerkollektiv des Liceo Artistico Ss. Apostoli von Neapel verwies auf den Lehrermangel (das Fehlen von 120.000 Lehrern), demzufolge es an ihrer Schule kein Lehrpersonal gibt, das den Unterricht gewährleistet, der Stundenplan nicht das Privatleben der Schüler und ihre psychische Gesundheit berücksichtigt. "Wir dürfen keine Pause machen, um zu essen, wir werden von den Entscheidungsprozessen ausgeschlossen, erhalten auf unsere Vorschläge keine Antwort", lauten die Vorwürfe.

Am Gymnasium Boggio Lera in Catania erklärten die Schüler angesichts der Untätigkeit der Direktion, die Leitung in "Selbstverwaltung" zu übernehmen. An der Schule ist vor drei Monaten das Dach eingestürzt, bisher wurde es nicht repariert, das Gebäude ist der Witterung ausgesetzt.

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 12. März 2022

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