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SOZIALES/140: Individuum und Wohlfahrtsstaat - Europäische Lebensgeschichten (idw)


Universität Mannheim - 08.12.2010

Individuum und Wohlfahrtsstaat: Europäische Lebensgeschichten

Neue SHARELIFE Daten erlauben nun, den Einfluss des Wohlfahrtsstaates auf das Leben Älterer in Europa besser zu verstehen


Gesundheit, Einkommen und soziale Beziehungen im höheren Alter sind das Ergebnis dessen, was sich im früheren Leben ereignet hat. Individuelle Entscheidungen und äußere Einflüsse wie beispielsweise wohlfahrtsstaatliche Rahmenbedingungen formten das heutige Leben der Europäer im Alter 50+. Gerade in Zeiten der Bevölkerungsalterung ist das Verständnis der Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und individuellen Alterungsprozessen besonders wichtig. SHARELIFE bringt die Forschung hierzu einen großen Schritt nach vorn: 28,000 individuelle Lebensgeschichten aus 13 europäischen Ländern bieten nun die einzigartige Möglichkeit, die wichtigen politischen Fragen der Gegenwart zu beantworten:

Wie beeinflusst der Wohlfahrtsstaat die Lebensumstände Älterer, deren Einkommen, Familie, Rente, Gesundheit und Wohlbefinden?

Die SHARELIFE Daten sind ab dem 24.11.2010 kostenfrei verfügbar und ermöglichen Forschern rund um den Globus, die komplexen Zusammenhänge zwischen Individuum und Staat zu untersuchen. Gemeinsam mit schon verfügbaren SHARE Daten über aktuelle Lebensumstände der Europäer wird die Veröffentlichung ihrer Lebensgeschichten die Forschung im Bereich Ökonomie, Altersforschung, Geschichte, Politikwissenschaft, Gesundheitswissenschaft und Soziologie weiter fördern. Erste Analysen zeigen, dass Lebensverläufe in Europa enorme Unterschiede aufweisen, die mit wohlfahrtsstaatlichen Rahmenbedingungen in Nord, Süd, Ost und West zusammenhängen:

Familie, Arbeit und Rente

In Zeiten steigender Lebenserwartung und knapper Rentenkassen ist die Nutzung produktiver Potentiale aller Erwerbsfähigen besonders wichtig. Aus diesem Grund wurden unzählige Maßnahmen ersonnen, um einerseits den Wiedereinstieg ins Erwerbsleben nach einer Unterbrechung und andererseits produktives Altern zu ermöglichen und zu fördern.

SHARELIFE zeigt:

• In Staaten mit höherem Mutterschaftsgeld nehmen Mütter seltener wieder eine Erwerbstätigkeit auf und erhalten in Folge auch geringere Renten.
• Ältere Personen, die von guten Arbeitsbedingungen profitierten, gehen auch seltener in Frührente. So wirken sich Weiterbildungsangebote für ältere Arbeitnehmer und Ausgaben für gesundheitliche Rehabilitation sowohl auf die wahrgenommene Arbeitsqualität als auch auf die Erwerbstätigkeit bis ins höhere Alter positiv aus.

Armut, Reichtum und Scheidung

Obwohl sich alle Wohlfahrtsstaaten die Bekämpfung der Armut zum Ziel setzen, bestehen noch immer enorme Unterschiede im Vermögen Älterer. SHARELIFE zeigt:

• Altersarmut geht einher mit schlechterer Gesundheit und weniger sozialen Kontakten - und hängt noch immer stark damit zusammen, aus welchem Hause eine Person stammt. Allerdings kann diese Spirale durchbrochen werden: Gezielte Sozialpolitik verringert den Einfluss von Armut in der Kindheit auf Armut im höheren Alter.
• Geschiedene Frauen sind in allen europäischen Ländern weniger vermögend als ihre verheirateten Geschlechtsgenossinnen. Trotz verschiedenster Bemühungen um eine stärkere Unabhängigkeit sind also vor allem ältere Frauen noch immer substanziell von ihren Ehemännern abhängig.

Gesundheit und Gesundheitsvorsorge

Ein längeres Leben bedeutet nicht automatisch auch bessere Gesundheit. SHARELIFE erlaubt einen Einblick in die Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Gesundheitsvorsorge und beleuchtet die ökonomischen Auswirkungen.

• Für Europa gilt: Je höher die Ärztedichte, desto eher nimmt der Einzelne Gesundheitsvorsorge in Anspruch. Zudem gehen höher Gebildete weiterhin eher vorsorglich zum Arzt. Es scheint also noch immer großer Verbesserungsbedarf im Gesundheitswesen zu bestehen, sowohl innerhalb der einzelnen europäischen Staaten als auch was die stark variierende Verbreitung von Ärzten in Europa angeht.
• Arbeitslosigkeit in Folge einer Firmenschließung hat verheerende Folgen für die Gesundheit - und dies ist bis zu vierzig Jahre im Nachhinein messbar. In Zeiten ökonomischer Krisen und hoher Arbeitslosigkeit ist es besonders wichtig, solche (Spät-)Folgen zu minimieren. Und das ist mit staatlicher Hilfe möglich: Großzügige Arbeitslosenunterstützung schwächt die negativen Gesundheitsfolgen der Arbeitslosigkeit vor allem bei Frauen deutlich ab.

Verfolgung

Die Generation 50+ durchlebte dramatische historische Ereignisse, unter ihnen der Zweite Weltkrieg und Aufstieg und Fall des Kommunismus. SHARELIFE dokumentiert erstmals die traumatischen Erlebnisse der Europäer, die die aufreibenden Ereignisse des 20. Jahrhunderts überlebt haben. ò Vor allem in Osteuropa haben viele Menschen Verfolgung und Unterdrückung erlebt - mit weit reichenden Folgen für ihr gesamtes Erwerbsleben, ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden im Alter. Die Eindämmung dieser Folgen der Geschichte sollte Anliegen eines jeden Wohlfahrtsstaates sein - und die Vermeidung weiterer Diskriminierung und Verfolgung ein wichtiges Ziel, nicht nur für die Zukunft Europas.

Weiterführende Ergebnisse und ausführliche Analysen werden 2011 im Buch "The Individual and the Welfare State: Life Histories in Europe" bei Springer veröffentlicht. Die zukünftige Forschung auf Basis der SHARELIFE Daten verspricht neue Grundlagen für evidenzbasierte Politik und maßgeschneiderte Reformen im alternden Europa.

SHARE wurde von der Generaldirektion Forschung der Europäischen Kommission im 5., 6. und 7. Forschungsrahmenprogramm sowie von nationalen Institutionen und vom U.S. National Institute on Aging gefördert.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter: http://idw-online.de/pages/de/institution61


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Mannheim, Achim Fischer, 08.12.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2010