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WIRTSCHAFT/068: Der Kölner Prozeß (spw)


spw - Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 7/2007 - Heft 159

Stichwort zur Wirtschaftspolitik:
Der Kölner Prozess

Von Arne Heise


Bis zur Revision des Maastrichter Vertrags auf dem Amsterdamer Gipfel im Jahr 1997 konnte dem europäischen Integrationsprozess vorgehalten werden, er stelle zu einseitig auf die Sicherung der Preisstabilität der neuen Währung in der Europäische Währungsunion (EWU) ab.


Auf verschiedenen Gipfeltreffen seit Amsterdam sind nun genauere Inhalte einer europäischen Beschäftigungspolitik herauskristallisiert worden. Auf dem Luxemburger Sondergipfel 1997 wurde eine Koordination der Arbeitsmarktpolitik ('Luxemburger Prozess') beschlossen, deren wesentlichen Inhalte (Förderung der Beschäftigungsfähigkeit, des Unternehmergeistes, der Anpassungsfähigkeit und der Chancengleichheit) die Allokationsfähigkeit des Arbeitsmarktes in den Vordergrund stellt. Der 1998 beschlossene 'Cardiff Prozess' umfasst die Reform der europäischen Güter- und Finanzmärkte und setzt im Wesentlichen auf eine verstärkte Privatisierung öffentlicher Güterbereitstellung (Post, Telekom, Energie, Wasserversorgung) und Liberalisierung einstmals geschützter Märkte.

Der 'Kölner Prozess' schließlich ist von anderem Charakter, da er makroökonomisch orientiert ist und nachfragetheoretisch argumentiert. Es geht um die Koordination der makroökonomischen Politikbereiche Geld-, Finanz- und Lohnpolitik zur Schaffung eines für Wachstum und Beschäftigung günstigen Policy mix. Insbesondere der zeitgeschichtliche Hintergrund lässt vermuten, weshalb der Kölner Prozess bereits als ,eurokeynesianische Strategie' bezeichnet wurde: (1) Mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt von 1997 wurde die finanzpolitischen Konvergenzkriterien des Maastrichter Vertrages insbesondere von der deutschen Bundesregierung unter Helmut Kohl in die EWU hinein verlängert und verschärft und eine angebotspolitische Orientierung festgeschrieben. (2) Mit dem Regierungswechsel in mehreren EU-Mitgliedsländer, insbesondere in Deutschland im Herbst 1998, stellte sich kurzzeitig ein Stimmungswechsel ein, der dem angebotspolitisch und mikroökonomisch ausgerichteten Kurs der europäischen Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik eine neue Orientierung geben wollte. Die deutsche Bundesregierung unter Finanzminister Oskar Lafontaine nutzte dieses 'window of opportunity', indem es Vorarbeiten der beschäftigungspolitisch besonders engagierten österreichischen Bundesregierung aufgriff und auf dem Kölner EU-Gipfel 1999 den makroökonomischen Dialog institutionalisierte und die drei Politikprozesse zu einem 'Beschäftigungspakt' vereinten.


1. Makro-Dialog als Form der kooperativen Wirtschaftspolitik

Bereits im Weißbuch 'Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung' von 1994 hatte die EU-Kommission herausgearbeitet, dass eine nachhaltige Verbesserung der Beschäftigungssituation in der EU nur durch eine Abstimmung der Geldpolitik, der Finanzpolitik und der Lohnpolitik zu erreichen ist. Aufgrund von Wirkungsinterdependenzen zwischen den Politikbereichen können die einzelnen Akteure - die Europäische Zentralbank (EZB), die europäischen Finanzminister (Ecofin-Rat) und die europäischen Tarifparteien - ihre Zielgrößen - Preisstabilität, hoher Beschäftigungsstand, hohe Einkommen - nicht unabhängig voneinander erreichen. Eine eindeutige Zielzuweisung und lineare Politikverfolgung ist deshalb nicht möglich, es müssten notwendigerweise Zielkonflikte entstehen. Eine Verhaltensabstimmung führt deshalb nicht nur zu einem gesamtwirtschaftlich überlegenen Ergebnis, sondern ermöglicht es auch den einzelnen Akteuren, ihre Ziele (und damit ihren Nutzen) besser zu verfolgen. Dennoch gelingt eine solche Kooperation nicht ohne institutionelle Ausgestaltung, denn ohne vertragliche Beziehungen - die im Falle des Makro-Dialogs allerdings unmöglich sind - befinden sich die Akteure in der sogenannten Kooperationsfalle: sie müssen befürchten, bei gutmütigem Verhalten (Kooperation) von den anderen Akteuren zu deren Vorteil ausgenutzt zu werden. Mit dem Kölner Prozess sind diese Zusammenhänge offiziell anerkannt und erstmals die unabhängige EZB in ein EU-weites Koordinierungsverfahren einbezogen worden.


2. Aussichten des Kölner Prozesses

Der Kölner Prozess teilt sich in eine 'politische' und eine 'technische' Ebene. Auf technischer Ebene tauschen sich Experten der beteiligten Akteure - also der EZB, des Wirtschafts und des Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsausschusses, der makroökonomischen Gruppe der EU-Sozialpartner unter Anleitung der EU-Kommission - halbjährlich über die konjunkturelle Entwicklung und die Wirkungsweise der Wirtschaftspolitik in der EURO-Zone aus. Auf der politischen Ebene treffen sich die politischen Vertreter der beteiligten Akteure ebenfalls zwei Mal pro Jahr in einem Forum, in dem Strategien verhaltensabstimmender und vertrauensbildender Maßnahmen besprochen werden können. Die bisherigen Erfahrungen zeigen,dass diese Zusammenkünfte über den Austausch weitgehend bekannter Informationen und Standpunkte bisher nicht hinausgegangen sind - ein wachstumsförderlicher Policy mix (das erklärte Ziel des Kölner Prozesses) hat sich zumindest bislang nicht eingestellt.

Dieses enttäuschende Ergebnis, dass mit der weitgehenden Ignoranz des Kölner Prozesses in der europäischen Öffentlichkeit in Einklang steht, hat mehrere Ursachen: (1) Nach dem Rücktritt des deutschen Finanzminister Oskar Lafontaine hat sich das 'window of opportunity' für eine makroökonomisch ausgerichtete Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik wieder geschlossen. (2) Die Rahmenbedingungen des EU Makrodialogs (Unantastbarkeit der Unabhängigkeit der Akteure, Dominanz der Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, Gültigkeit des Subsidiaritätsprinzips) konterkarieren die wirtschaftspolitische Ausrichtung des Makrodialogs und (3) die institutionelle Ausgestaltung ist nicht in der Lage, die 'Kooperationsfalle' zu überwinden, in der sich die Akteure befinden. Insbesondere fehlen einem effektiven EU-Makrodialog bislang die EU-weit handlungsfähigen Akteure (lediglich die Geldpolitik ist ja in der EWU europäisiert, nicht so aber die Finanz- oder Tarifpolitik) oder eine Unterfütterung des EU-Makrodialogs mit nationalen Makrodialogen auf der Ebene der jeweiligen Mitgliedsstaaten.

Bestenfalls verbleibt der Kölner Prozess damit eine leere Hülle ohne Inhalt, schlechtestenfalls könnte er als ein Verfahren missbraucht werden, um die Sozialpartner auf den Kurs einer 'moderaten Lohnpolitik' einzuschwören, wenn sich die EZB aufgrund ihrer Unabhängigkeit und der Ecofin-Rat aufgrund des Stabilitäts- und Wachstumspaktes für verhandlungsunfähig erklären.


Dr. Arne Heise ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg.


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Quelle:
spw - Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 7/07, Heft 159, 2007, Seite 42-43
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2007