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WIRTSCHAFT/025: Konzernklagerechte reloaded (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2017

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Konzernklagerechte reloaded
Die EU plant einen internationalen Gerichtshof für Konzerne

von Alessa Hartmann


Derzeit läuft die Konsultation der EU-Kommission (Europäische Union) für einen Multilateralen Investitionsgerichtshof (MIC). Dort sollen Konzerne Staaten verklagen können, wenn sie ihre Profite durch Gesetze zum Schutz der Umwelt oder der VerbraucherInnen gefährdet sehen. Wenn es nach dem Willen der EU geht, soll dieser Mechanismus in Zukunft die "alten" Investor-Staat-Schiedsgerichte ablösen. Dieser Artikel zeigt, warum diese Idee brandgefährlich ist und die Macht der Konzerne weiter ausweitet.


Konzernklagerechte (Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit - ISDS) gibt es schon lange in Handels- und Investitionsschutzabkommen. Doch waren es Mitte der 1990er Jahre etwa ein Dutzend Klagen, ist die Zahl mittlerweile explodiert. 2016 gab es 767 bekannte Fälle. Investoren klagten gegen Frackingmoratorien, Regulierungen im Bergbau, Anti-Raucher-Gesetze, den deutschen Atomausstieg, die Liste ist lang.

So blieb es nicht aus, dass im Zuge von CETA (Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada) und TTIP (Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft EU-USA) auch die Konzernklagerechte und ihre Auswirkungen immer bekannter wurden. Die aktive Zivilgesellschaft, aber auch beispielsweise die Europäische Richtervereinigung, lehnen Konzernklagerechte rundweg ab. Gründe sind u. a. die mangelnde Transparenz und die fehlende Berufungsmöglichkeit. Aber problematisch ist ebenfalls die Einseitigkeit des Systems: Nur ausländische, nicht aber inländische InvestorInnen oder andere gesellschaftlichen Gruppen haben die Möglichkeit, eine Klage einzureichen. Dies führt u. a. zu einem Interessenkonflikt der "Richter". Zudem werden öffentliche Haushalte, die für die Schadenersatzzahlungen in Milliardenhöhe aufkommen müssen, stark belastet und die (Androhung von) Klagen führen zu einem sogenannten "Regulatory Chill", das heißt Regierungen ziehen Gesetze aus Angst vor Klagen zurück.

Gabriels Vorschlag und Hintergrund

Der große öffentliche Druck um Konzernklagerechte in CETA und TTIP zwang die EU-Kommission, aber auch den damaligen deutschen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, zu einer Beruhigungspille zu greifen: Im November 2015 schlugen sie die Einrichtung eines permanenten internationalen Investitionsgerichtshofes vor. Leider verbirgt sich hinter dem Diskussionspapier, mit dem die Kommission derzeit potentielle Beitrittsländer und Stakeholder konsultiert, nichts anderes als alter Wein in neuen Schläuchen.

Denn der Vorstoß der EU-Kommission wird an den substantiellen Rechten für InvestorInnen, wie sie in bereits bestehenden oder derzeit verhandelten Bilateralen Investitionsabkommen (BITs) und anderen internationalen Investitionsschutzabkommen enthalten sind, nichts ändern. Der EU-Vorschlag sieht vielmehr vor, eine Konvention zu verabschieden, der Länder einzeln beitreten können. Ein Streitfall würde dann verhandelt werden, wenn beide Länder dem Mechanismus beigetreten sind.

Der Vorschlag umfasst sowohl eine erste Instanz, wie auch einen Berufungsmechanismus. Die Mitglieder des Streitbeilegungsmechanismus sollen ständige, von den Ländern ernannte Mitglieder sein. Außerdem müssen sie "im eigenen Land richterliche Tätigkeiten ausüben oder als JuristInnen anerkannt werden" und einen Ethikcodex befolgen, wobei die Kommission die Details dazu offenlässt. Sie sollen durch die Länder bezahlt werden, die der Konvention zur Einrichtung des Mechanismus beigetreten sind. Dennoch lässt der Vorschlag die Möglichkeit offen, dass "die Mitgliedsbeiträge durch zusätzliche Entgelte aufgestockt werden. Investoren, die gegen ein Land klagen, müssten so zumindest für einen Teil der durch den Streitfall anfallenden Kosten aufkommen".(1)

Noch ist unklar, ob mit dem geplanten Streitbeilegungsmechanismus eine neue eigenständige Institution geschaffen wird oder diese einer bereits bestehenden internationalen Organisation wie der Welthandelsorganisation beigeordnet würde.

Wo lauern die Gefahren?

Genau wie das bestehende ISDS-System steht der geplante multilaterale ISDS-Mechanismus ausschließlich ausländischen InvestorInnen zur Verfügung. BürgerInnen, betroffene Gemeinden, Gewerkschaften oder Staaten selbst können nicht klagen, wenn ein Unternehmen Umwelt-, Arbeitsschutz- oder andere Gesetze missachtet. Diese inhärente Einseitigkeit schafft einen strukturellen Vorteil für die InvestorInnen - weil nur Investorklagen und die Personen, die davon finanziell profitieren, das System vorantreiben können. Auch im Bereich der materiellen Investorenrechte sieht der Vorschlag keine Reformen vor: Weder bei den hochproblematischen Rechten in bestehenden und zukünftigen Handels- und Investitionsabkommen, noch bei der Einführung von Pflichten für InvestorInnen. Rechtsinstrumente zur Einrichtung solcher Investorenpflichten bleiben gänzlich unerwähnt. Das bedeutet, dass im Rahmen der geplanten institutionellen Struktur InvestorInnen nicht zur Rechenschaft gezogen werden können - genau wie im bisher bestehenden ISDS-Systems.

Auch können nach wie vor die nationalen und europäischen Gerichte umgangen werden, selbst wenn diese in der Lage und verfügbar wären, den Konflikt zu lösen. Der Kommissionsvorschlag enthält keinen Hinweis darauf, dass InvestorInnen zunächst den nationalen Rechtsweg gehen müssen, bevor sie den Streitfall im Rahmen der multilateralen Ebene lösen dürfen.

Bei den prozeduralen Auswahlverfahren der SchiedsrichterInnen will der Kommissionsvorschlag Veränderungen. Diese werden aber nicht verhindern, dass im Rahmen des geplanten multilateralen Mechanismus genau diejenigen SchiedsrichterInnen arbeiten werden, die bereits jetzt die Schiedsindustrie dominieren. Ganz im Gegenteil: Die Kommission betrachtet es als "wünschenswert", dass die künftigen Mitglieder des geplanten Streitbeilegungsmechanismus "bereits über Erfahrungen in internationalem Investitionsrecht" verfügen und schafft damit für den kleinen Klub aus privaten ISDS-SchiedsrichterInnen einen klaren Vorteil.

Beruhigungspille für die KritikerInnen?

Durch den Vorschlag der Kommission würde eine Art Spezialgericht für Konzerne geschaffen, das Regierungen weiter in einen Rechtsrahmen einschließt und in dem private Profite über öffentlichem Interesse und der Demokratie stehen. Einmal eingerichtet kann es Jahrzehnte dauern, einen solchen Mechanismus wieder abzuschaffen; ISDS würde permanent festgeschrieben.

Am beunruhigendsten ist wohl, dass der Kommissionsvorschlag bereits jetzt dazu missbraucht wird, von einer massiven Ausweitung der Investorenprivilegien abzulenken. So wird im Fall der Handelsabkommen CETA und TTIP beispielsweise die Aussicht auf einen multilateralen Streitschlichtungsmechanismus als zentrales Argument dafür genutzt, Regierungen, Abgeordnete und die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass Investorenrechte unbedingt Teil solcher Abkommen sein müssen. Dabei erhalten doch auch schon durch CETA rund 81 Prozent der in der EU ansässigen US-InvestorInnen Zugang zu ISDS, wenn sie ihre Investition entsprechend aufstellen. In den meisten Teilen Europas haben diese Unternehmen heute noch keinen Zugang zu Schiedsgerichten.

Wie geht es jetzt weiter?

Noch bis Juli 2017 laufen die Beratungen der EU-Kommissionen mit interessierten Staaten und Stakeholdern. Außerdem hat die Kommission eine öffentliche Konsultation initiiert, an der bis Mitte März teilgenommen werden kann. Die Fragestellungen der Konsultation sind aber sehr technisch und es werden keine grundlegenden Fragen gestellt, zum Beispiel, ob ein solcher Gerichtshof überhaupt sinnvoll ist.

Die EU-Kommission möchte den Mitgliedsstaaten im Rat schon Ende 2017 ein Mandat für die Verhandlungen um eine Konvention für einen MIC vorlegen. Würde dieses Mandat angenommen, dann könnten die Verhandlungen bereits Anfang 2018 beginnen.

Was brauchen wir stattdessen?

Statt einer Multilateralisierung von ISDS - und nichts anderes bedeutet der Vorschlag der EU-Kommission - muss die Macht der Konzerne begrenzt werden. Wir brauchen endlich durchsetzbare Regeln zur Stärkung von Menschenrechten, Umwelt- und Klimaschutz und Sanktionen für Unternehmen, die diese verletzen. Deshalb sollten wir als Zivilgesellschaft dafür kämpfen, dass unsere Regierungen Prozesse wie das "Binding Treaty" (bindender Vertrag) auf UN-Ebene unterstützen. Dieses hat das Ziel, Unternehmen haftbar zu machen, wenn sie menschenrechtliche Sorgfaltspflichten verletzen. Die Verhandlungen um das Binding Treaty werden nicht zuletzt von der EU und Deutschland blockiert. Die Verhandlungen um einen Gerichtshof, der Konzernen noch mehr Rechte bringt, als sie sowieso schon haben, ist der völlig falsche Weg. Wir brauchen jetzt mehr denn je demokratischen Handlungsspielraum für notwendige Regulierungen, um uns den Herausforderungen unserer Zeit, wie dem Klimawandel und sozialer Ungleichheit zu stellen.


Autorin Alessa Hartmann ist Referentin für internationale Handelspolitik bei PowerShift e.V.


Mehr Informationen unter:

Diese Datenbank der UNCTAD listet alle bekannten ISDS-Fälle auf:
http://investmentpolicyhub.unctad.org/isds

Eine ausführliche Analyse und Position findet sich in dem S2B-Positionspapier zum MIC: Auf Messers Schneide: Gefährliche Weichenstellung für ISDS (Februar 2017).
https://power-shift.de/auf-messers-schneide-gefaehrliche-weichenstellung-fuer-isds

Mehr zum Binding Treaty: Jens Martens und Karolin Seitz (2016): Auf dem Weg zu globalen Unternehmensregeln.
https://www.globalpolicy.org/images/pdfs/Globale_Unternehmensregeln_online.pdf

Anmerkung
(1) Diskussionspapier der EU-Kommission (2016): Discussion paper: Establishment of a multilateral investment dispute settlement system. http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2017/january/tradoc_155267.12.12%20With%20date_%20Discussion%20paper_Establishment%20of%20a%20multilateral%20investment%20Geneva.pdf

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Quelle:
Rundbrief 1/2017, Seite 25 - 26
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2017

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