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PARTEIEN/209: Paisley scheut sich vor Koalition mit Sinn Féin (SB)


Paisley scheut sich vor Koalition mit Sinn Féin

Ulsters "Doctor No" zum Erfolg verdammt?


Mehr als 24 Stunden nach Schließung der Wahllokale in Nordirland läuft die Zählung immer noch, was mit dem komplizierten Proporzwahlrecht zusammenhängt, demzufolge nach der Auszählung der Erststimmen in jedem Wahlkreis die Zweitstimmen der an den unteren Plätzen liegenden Kandidaten nach und nach auf die höhergelegenen verteilt werden. Dadurch wird die Ermittlung der erfolgreichen Kandidaten langwieriger, doch die anschließende Sitzverteilung korrespondiert weitaus besser mit den Präferenzen der Wähler als beim Mehrheitswahlrecht in Großbritannien. Dies zeigt die Erfahrung aus der Republik Irland, wo das wohl nicht unkomplizierte System mit Namen Proportional Representation dennoch seit Jahrzehnten erfolgreich angewendet wird.

Bei der Wahl zum Regionalparlament am 7. März gaben rund 690.000 Menschen ihre Stimme ab. Um die die 108 Sitze - in jedem der 18 Wahlkreise 6 - bewarben sich fast 250 Kandidaten aus insgesamt 18 politischen Gruppierungen plus Parteiunabhängige. 2002 hatte sich die im Zuge des Karfreitagsabkommens von 1998 zustande gekommene erste interkonfessionelle Regierung aufgrund eines Spionageskandals und Dauerstreitigkeiten um die Entwaffnung der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) aufgelöst, woraufhin Großbritannien erneut die Direktherrschaft aus London eingeführt hatte. Ende 2003 gab es Provinzwahlen, bei denen erstmals auf protestantisch-probritischer beziehungsweise katholisch-nationalistischer Seite statt der Ulster Unionist Party (UUP) von David Trimble und der Social Democratic Labour Party (SDLP) von John Hume die Democratic Unionist Party (DUP) des Reverend Ian Paisley und Sinn Féin, der politische Arm der IRA, die meisten Stimmen gewannen.

Seitdem haben sich DUP und Sinn Féin, deren Positionen weitaus ferner voneinander liegen als UUP und SDLP, nicht auf die Bedingungen für eine neue interkonfessionelle Regierung verständigen können. Gleichzeitig kann eine solche Administration nach den De-Hondt- Prinzipien des Karfreitagsabkommens nicht ohne die Unterstützung der Abgeordneten der jeweils größten protestantischen und katholischen Fraktion im Parlament Stormont gebildet werden. So gesehen kommen DUP und Sinn Féin seit mehr drei Jahren praktisch nicht mehr aneinander vorbei.

Nachdem im Sommer 2005 die IRA ihre Waffen außer Dienst stellte und das Ende ihres bewaffneten Kampfes gegen die britischen Staatsorgane offiziell verkündete, wurde im letzten Herbst im schottischen St. Andrews unter Vermittlung des britischen Premierministers Tony Blair und seines irischen Amtskollegen Bertie Ahern eine neue Vereinbarung getroffen. Sinn Féin müsse sich nur noch bereit erklären, mit der zumindest namentlich von Royal Ulster Constabulary (RUC) zum Police Service of Northern Ireland (PSNI) reformierten, nordirischen Polizei zusammenarbeiten, wozu im Gegenzug die DUP die irischen Republikaner als Juniorpartner in einer neuen Provinzregierung akzeptieren müßte. Die wichtigste Bedingung hierfür wurde erfüllt, als die Delegierten Sinn Féins auf einem Sonderparteitag Ende Januar in Dublin mit überwältigender Mehrheit für die Zusammenarbeit mit dem PSNI votierten.

Als daraufhin die Regierung Blairs die neuen Provinzwahlen ausschrieb, verband sie diesen Schritt auch mit der Drohung, daß Belfaster Regionalparlament und die anderen nach dem Karfreitagsabkommen geschaffenen Institutionen einzumotten und künftig zusammen mit der Republik Irland die Unruheprovinz gemeinsam zu verwalten, sollten sich die zerstrittenen nordirischen Parteien nicht endlich verständigen. Folglich stehen DUP und Sinn Féin unter enormem Druck, eine Einigung zu finden. Würde das Regionalparlament aufgelöst werden, stünden die meisten Abgeordneten auf der Straße und müßten auf ihre üppigen Diäten verzichten.

Auch wenn noch nicht die komplette Sitzverteilung feststeht, so kann man einige Schlüsse aus dem Ergebnis der Erststimmenabgabe ziehen. Mit 30,1 Prozent hat Paisleys DUP ihre Position als stärkste protestantische, probritische Kraft gegenüber der traditionell dominierenden UUP, die es lediglich auf 15 Prozent brachte, verteidigt. Damit steht der DUP das Recht zu, die Position des Ersten Ministers in der neuzubildenden Regierung zu besetzen. Im Vergleich zur Wahl zum britischen Unterhaus im Mai 2005 hat die Paisley-Partei jedoch 4 Prozent Stimmenanteil verloren. Möglicherweise sind ihr damit Wähler unter den protestantischen Hardlinern verlorengegangen, die sich mit der Vorstellung einer Koalition mit den einstigen "Terroristen" von Sinn-Féin/IRA nicht abfinden können. Dafür ist die DUP inzwischen die Vertreterin des unionistischen Mainstreams geworden, was wiederum heißt, sie muß sich als kompromißfähig erweisen und kann sich die frühere Dauerposition des Neinsagers nicht mehr leisten. Was die Frage eines Kompromisses betrifft, so sind seit dem 7. März auf protestantischer Seite die Bedingungen günstiger. Robert McCartneys United Kingdom Unionist Party (UKUP), die wie einst Paisley jede Zusammenarbeit mit Sinn Féin prinzipiell ablehnt, ist auf breiter Front gescheitert.

Auf nationalistischer Seite hat Sinn Féin ihr bestes Ergebnis bei einer Wahl zum Provinzparlament erzielt und ist von 24 auf 26 Prozent gestiegen. Damit hat sie die SDLP, die von 17 auf 15 Prozent weiter zurückgefallen ist, längst abgehängt. Gleichzeitig ist es keinem einzigen Dissidenten von Republican Sinn Féin oder der Irish Republican Socialist Party (IRSP) gelungen, einen Sitz zu erobern, was wiederum zeigt, daß nicht nur die Mehrheit der Katholiken, sondern auch der Sympathisanten der IRA Sinn Féins Marsch durch die - vorerst britischen - Institutionen in Nordirland auf dem Weg zu einem politisch wiedervereinigten Irland unterstützt.

Doch bevor es hierzu kommen kann, muß "Doctor No" Paisley seinen Gang nach Canossa antreten und Verhandlungen mit der Sinn Féin über die Bildung der neuen Regierung aufnehmen. Während sich Paisley im wochenlangen Wahlkampf, besonders in der DUP-Fersehwerbung, gemäßigt und gesprächsbereit zeigte, ließ er bei einer Pressekonferenz nach seiner Ernennung zum Sieger im Wahlkreis North Antrim wieder dem fundamentalistischen Prediger freien Lauf und erklärte das bisherige Bekenntnis Sinn Féins zum PSNI für unzureichend und das Ultimatum Londons für einen Bluff. "Ich werde eine Regierung nicht mit einer Partei eingehen, solange nicht deren grundlegender Glaube und deren grundlegende Praxis die Demokratie ist. Die Menschen in Nordirland werden sich von Herrn Blair nicht hinters Licht führen lassen", donnerte Paisley in der ihm eigenen, allseits bekannten Manier.

Die DUP bauscht derzeit eine vereinzelte Äußerungen von Michelle Gildernew, die mit Erfolg für Sinn Féin im Bezirk Fermanagh South- Tyrone kandidiert hatte, zum vermeintlichen Beweis auf, die Partei von Gerry Adams und Martin McGuinness meine es nicht ernst mit der anvisierten Zusammenarbeit mit dem PSNI, auf. Auf die Frage eines Journalisten, ob sie bewaffnete Republikaner bei der Polizei anzeigen würde, hatte Gildernew mit nein geantwortet. Daß das Mißtrauen unter Nordirlands Katholiken im allgemeinen und IRA-Anhängern im besonderen nach wie vor begründet ist, zeigen einige Vorfälle im Gildernews eigenem Wahlbezirk. Ausgerechnet am Tag nach der Wahl nahm der PSNI sowohl den früheren IRA-Waffenschmuggler Gerry McGeogh, der als Unabhängiger für das Parlament kandidiert hatte und der der Auszählung in der Stadt Omagh beiwohnte, als auch ein Mitglied Sinn Féins in Aughnacloy wegen des Verdachts der Verwicklung in die versuchte Erschießung eines Reservesoldaten der britischen Armee im Jahre 1981 fest. Hinter der publizitätsträchtigen Maßnahme meinten nicht wenige Beobachter auf nationalistischer Seite den plumpen Versuch unverbesserlicher Elemente des PSNI zu erkennen, eine Verständigung zwischen DUP und Sinn Féin doch noch zu torpedieren. Um so mehr Grund für Adams und Co., die Sinn Féin zustehenden Plätze bei den Polizeiaufsichtsgremien zu besetzen und die lange versprochene "Reform" der einstigen RUC endlich voranzutreiben.

9. März 2007