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PARTEIEN/299: Alte IRA-Garde schadet Sinn Féins Ansehen enorm (SB)


Alte IRA-Garde schadet Sinn Féins Ansehen enorm

Parteichef Gerry Adams steht dem Aufstieg Sinn Féins im Weg


In der Republik Irland hat inoffiziell der Wahlkampf begonnen. Demnächst dürfte Premierminister Enda Kenny den von ihm favorisierten Termin - entweder im Herbst oder im kommenden Frühjahr - bekanntgeben. Man geht davon aus, daß die derzeitige Regierungskoalition aus Kennys nationalkonservativer Fine Gael und der sozialdemokratischen Labour Party keine erneute Mehrheit der Sitze erringen wird, sondern daß sie vom Wähler für ihre asoziale Kürzungspolitik der letzten mehr als vier Jahre hart bestraft wird. Fianna Fáil, die mit den Grünen zusammen Irland 2010 in den Konkurs geritten hat und deshalb die Troika zu Hilfe holen mußte, wird nur wenig von der zu erwartenden Wahlschlappe von Fine Gael und Labour profitieren. Als große Sieger werden die linksnationalistische Sinn Féin sowie die vielen linken Splitterparteien und unabhängigen Abgeordneten gehandelt. Sinn Féin hätte sogar die historische Gelegenheit, stärkste Fraktion im Dubliner Unterhaus Dáil zu werden, würde die alte IRA-Garde in Nordirland nicht mit unschönen Geschichten alle an die schlimmsten Tagen der "Troubles" erinnern und der rechten Boulevardpresse reichlich Angriffsfläche bieten.

In einer Lageanalyse am 15. August in der Irish Times hat deren konservativer Kommentator Stephen Collins anhand der jüngsten Umfragen folgende Zusammensetzung des Dáil in der nächsten Legislaturperiode prognostiziert: Fine Gael 44 Sitze, Labour 11, Fianna Fáil 32, Sinn Féin 33, Unabhängige/Andere 38. Jene mögliche Sitzaufteilung hat bei Fianna Fáil eine interne Debatte darüber ausgelöst, ob und mit wem man eine Regierungskoalition bilden soll und mit welcher Aussage man in den Wahlkampf ziehen will. Gegen eine Koalition mit Fine Gael spricht einiges - nicht zuletzt die Erbfeindschaft aus der Zeit des Irischen Bürgerkrieges 1922-23. Darüber hinaus war Fianna Fáil noch niemals als Junior-, sondern immer als Seniorpartner an einer Regierungskoalition beteiligt. Hinzu kommt, daß die Juniorpartner bei der darauffolgenden Wahl traditionell fast oder komplett untergehen - siehe die Progressive Democrats und die Grünen, die sich aufgelöst haben respektive derzeit keine Mandate haben.

Es gibt bei Fianna Fáil deshalb Stimmen, die sagen, die Partei sollte weiterhin in der Opposition bleiben und darauf hinarbeiten, als stärkste Fraktion aus der übernächsten Wahl hervorzugehen. Wiederum wird Fianna Fáil von Arbeitgeberseite massiv bedrängt, mit Fine Gael doch noch eine konservative große Koalition zu bilden, um dem Einfluß einer erstarkten Linken im Parlament Einhalt zu gebieten. Schließlich gibt es eine noch linke, arbeitnehmerfreundliche Strömung innerhalb von Fianna Fáil, die lautstark über eine Zusammenarbeit mit Sinn Féin nachdenkt. Mit der Unterstützung der vielen unabhängigen linken Abgeordneten könnten Fianna Fáil und Sinn Féin, die beide die Wiedervereinigung Irlands propagieren, ohne weiteres eine Minderheitsregierung bilden. Die Grundbedingung für ein solches Bündnis haben die Fianna-Fáil-Vordenker bereits genannt: Gerry Adams muß als Sinn-Féin-Vorsitzender weg.

Adams leitet seit 1983 den einstigen "politischen Arm der Irisch-Republikanischen Armee". Als Sinn-Féin-Vorsitzender und mutmaßlicher Chef des IRA-Oberkommandos hat er 1998 das Karfreitagsabkommen ausgehandelt und den sogenannten nordirischen Friedensprozeß auch gegen Widerstand in den IRA-Reihen zum Erfolg geführt. Dennoch bestreitet er öffentlich, jemals Mitglied der IRA gewesen zu sein - was ihn niemand in Irland oder Großbritannien abkauft. Dennoch halten alle Sinn-Féin-Politiker an dieser Legende fest und untergraben damit die eigene Glaubwürdigkeit. Vizeparteichefin Mary Lou McDonald aus Dublin zum Beispiel hat sich in den letzten Jahren im irischen Parlament als effektivste Kritikerin der neoliberalen Austeritätspolitik von Fine Gael und Labour erwiesen. Als die nordirische Polizei letztes Jahr Adams wegen des Verdachts vorübergehend festnahm, 1972 als IRA-Oberbefehlshaber in Belfast die Hinrichtung der alleinerziehenden Mutter Jean McConville wegen der mutmaßlichen Spionage für die britische Armee angeordnet zu haben, hat sich McDonald hinter ihn gestellt und dadurch in den Augen vieler Wähler an Ansehen verloren.

Ein kapitales PR-technisches Eigentor schoß Adams' Belfaster Klüngel, als der ehemalige IRA-Geheimdienstchef Bobby Storey damals auf einer Solidaritätsverantstaltung für den festgesetzten Sinn-Féin-Vorsitzenden im katholischen Westen der nordirischen Hauptstadt an die Adresse Londons und Dublins vollmündig erklärte: "They haven't gone away". Mit dieser Entgleisung hat Storey eine Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes der IRA für den Fall der Fälle in Aussicht gestellt und gleichzeitig die Vorurteile derjenigen, die an Sinn Féins Bekenntnis zum Rechtsstaat und zur Demokratie Zweifel hegen, bestätigt. Gemeint ist nicht nur das rechte Zeitungskommentariat in der Republik Irland, sondern auch die protestantischen Unionisten, die nur mit Bauchschmerzen in einer interkonfessionellen Allparteienkoalition mit Sinn Féin Nordirland regieren.

Aktuell trägt eine blutige Fehde in irischen Republikanerkreisen in Belfast zur weiteren Demontage der Wählbarkeit Sinn Féins bei. Am 6. Mai wurde in Belfaster Markets-Viertel Gerard "Jock" Davison, ein einst ranghoher IRA-Kommandeur, auf offener Straße von einem unbekannten Täter erschossen. Davison galt als Rädelsführer einer Gruppe IRA-Männer, die 2005 nach einem Streit in der Kneipe Magenniss' im Zentrum von Belfast den Taxifahrer Robert McCartney in eine Gasse schleppten und dort erstachen. Die brutale Tat, die damals die Öffentlichkeit auf beiden Seiten des Atlantiks schockierte, gilt bis heute als unaufgeklärt. Der Verdacht, daß die Ermordung Davisons mit dem Mord an McCartney zusammenhängen könnte, schien sich zu bestätigen, als am 12. August Kevin McGuigan, auch ein ehemaliges IRA-Mitglied, ebenfalls von einem unbekannten Täter erschossen wurde. Wie McCartney lebte McGuigan im Short Strand, jener katholischen Enklave im protestantisch-loyalistischen East Belfast.

Die höchst professionell durchgeführte Liquidierung von McGuigan hat in Nordirland eine politische Krise ausgelöst. Innerhalb der eigenen Democratic Unionist Party (DUP) gerät Nordirlands Erster Minister Peter Robinson unter enormen Druck, die Koalition mit Sinn Féin wegen der IRA-Umtriebe aufzukündigen und London um die Wiedereinführung der direkten Verwaltung zu bitten. Die jüngste Stellungnahme von George Hamilton, dem Chef des Police Service of Northern Ireland (PSNI), daß die IRA zwar weiterhin existiere, jedoch weder den Mord McGuigans angeordnet habe noch "kriegsfähig" sei, hat keine Ruhe in die Angelegenheit gebracht. Die Beteuerung von Adams, die IRA habe mit dem McGuigan-Mord "nichts zu tun gehabt", dürfte bei den meisten Menschen lediglich Achselzucken auslösen. Sie könnte aber auch die berechtigte Frage aufkommen lassen, woher Adams dies so genau wissen will, wo er doch nach eigenen Angaben noch nie Mitglied der Untergrundarmee war.

So oder so läßt die IRA-Mordfehde in Belfast die Notwendigkeit einer Erneuerung an der Parteispitze bei Sinn Féin dringlicher denn je erscheinen. Solange sich die irischen Linksnationalisten nicht von jenen IRA-Altlasten, die sich im kriminellen Milieu mit Zigarrettenschmuggel, Schutzgelderpressung, dem lukrativen Geschäft mit gepanschtem Diesel u. v. m. beiderseits der inneririschen Grenze gemütlich eingerichtet haben, trennen, können sie kaum erwarten, daß eine Mehrheit der Wähler in der Republik sie mit der Regierungsbildung beauftragen wird. Sinn-Féin-Vertreter können sich bei Facebook und Twitter über die überzogene Hetzkampagne, welche das konservative Massenblatt Irish Independent derzeit gegen sie führt, beschweren, soviel wie sie wollen, die Munition dazu haben ihr eigener Chef und seine Belfaster Gang geliefert.

24. August 2015


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