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PARTEIEN/303: Parlamentswahl in Irland - Linke auf dem Vormarsch (SB)


Parlamentswahl in Irland - Linke auf dem Vormarsch

Sinn Féin im Aufwind, während der Labour Party der Untergang droht


In Irland läuft der Wahlkampf auf Hochtouren, seit am 3. Februar Präsident Michael D. Higgins auf Bitten des Premierministers Enda Kenny das Parlament aufgelöst hat. Am 26. Februar findet der Urnengang statt. Für den 10. März ist die erste Sitzung der 32. Legislaturperiode des irischen Unterhauses (Dáil) angesetzt, bei der die 158 Abgeordneten einen neuen Premierminister (Taoiseach) wählen sollen. Demoskopen sagen jetzt schon eine schwierige Regierungsbildung wegen der Zersplitterung der Parteienlandschaft und der zu erwartenden Pattsituation voraus. Fest steht, daß die irische Linke - Sinn Féin (SF), die Socialist Party (SP), die People Before Profits Alliance (PBP), die Anti-Austerity Alliance (AAA) und die vielen unabhängigen, progressiven Abgeordneten - im Dáil stärker vertreten sein wird als jemals zuvor.

Der Zusammenbruch des bisherigen Parteienkartells aus der nationalistisch-konservativen Fianna Fáil, vergleichbar mit der bayerischen CSU, der konservativ-neoliberalen Fine Gael, vergleichbar der CDU mit leichtem FDP-Einschlag, und der konservativ-ausgerichteten sozialdemokratischen Labour Party, der sich bei der letzten Wahl 2011 manifestierte, wird sich diesmal fortsetzen. Damals wurde die Regierungskoalition aus Fianna Fáil und den Grünen wegen ihrer Verantwortung für das Platzen der Immobilienblase samt Bankencrash 2008 und die Flucht Irlands aus Gründen der staatlichen Insolvenz zwei Jahre später unter den Rettungsschirm der "Troika" aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) von den Wählern schwer bestraft. Die Grünen verloren alle sechs Sitze. Fianna Fáil kam ihre Position als stärkste Fraktion erstmals seit 1932 abhanden; die Zahl ihrer Abgeordneten fiel um mehr als Zwei Drittel von 71 auf 20.

Seitdem hat sich Fianna Fáil, lange Zeit die bestimmende Kraft in der irischen Politik, nicht mehr erholt. Man erwartet, daß sie diesmal Sitze dazu gewinnen wird - aber unwesentlich. Als größte Verliererin der Wahl sehen die Demoskopen die Labour-Partei, die vor fünf Jahren die Zahl ihrer Sitze von 20 auf 37 erhöhen konnte und daraufhin eine Koalition mit Fine Gael - 76 Sitze - bildete. Am 26. Februar droht Irlands Sozialdemokraten ein katastrophales Ergebnis. Nur einer Handvoll von ihnen wird der Sprung ins Parlament gelingen. Jüngsten Umfragen zufolge wird die Parteichefin Joan Burton ihr Mandat im Wahlbezirk Dublin West vermutlich verlieren und ihre politische Karriere beenden müssen. Die Wähler der Unter- und Mittelschicht laufen Labour wegen deren Rolle bei der Durchsetzung drastischer Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen davon.

Man geht davon aus, das Fine Gael einige Sitze verlieren wird und an ihr Ergebnis von vor fünf Jahren nicht wird herankommen können. Folglich wird es keine Neuauflage der jetzigen Regierung geben. Auch wenn, wie erwartet, Fine Gael dennoch als stärkste Fraktion in das Parlament einzieht, wird es vermutlich wegen starker Sitzverluste ihres bisherigen Juniorpartners für eine Neuauflage der Koalition mit Labour nicht reichen. Woher Enda Kenny eine Mehrheit für sich als Premierminister und eine von Fine Gael angeführte Administration bekommen kann, weiß derzeit niemand.

Zwei Szenarien beherrschen derzeit die politischen Spekulationen in Irland: erstens eine Koalition aus Fine Gael, Labour, den neuen Social Democrats (SD), die derzeit aus drei Abgeordneten - Stephen Donnelly, Catherine Murphy und Róisín Shortall - bestehen, die vermutlich aber ihre parlamentarische Vertretung leicht ausbauen werden, und Renua, der Minipartei um die neoliberale Fine-Gael-Dissidentin Lucinda Creighton. Eine solche Administration, ob als Minderheitsregierung oder Koalition mit äußerst knapper Mehrheit, wird auf die Unterstützung einiger unabhängiger Abgeordneter wie Shane Ross, die sich in der Mitte des Parteienspektrums sehen, angewiesen sein. Eine Konstellation, die aller Voraussicht nach über eine komfortable Mehrheit verfügte, wäre eine Koalition aus Fine Gael und Fianna Fáil. Doch beide Gruppierungen definieren sich durch die gegenseitige Abgrenzung und die unterschiedlichen Positionen ihrer jeweiligen Gründer im irischen Bürgerkrieg 1922-1923. Fianna Fáil drohte als Juniorpartner der Verlust der Existenzberechtigung und ein Versinken in Bedeutungslosigkeit, weswegen der Parteichef Mícheál Martin eine Regierungsbildung an der Seite von Fine Gael kategorisch ausgeschlossen hat. Doch da Martin selbst die Wiederwahl im Bezirk Cork South-Central nicht sicher ist, könnte es zu einer Revidierung dieser Position nach der Wahl bei den zu erwartenden Hinterzimmerverhandlungen kommen.

Als größte Siegerin dürfte die linksnationalistische Sinn Féin aus der Wahl hervorgehen. 2011 hat der politische Arm der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), der lange Zeit hauptsächlich in Nordirland tätig war, die Anzahl seiner Abgeordneten von 5 auf 14 erhöht. Prognosen zufolge werden diesmal mehr als 20 Sinn-Féin-Kandidaten auf Kosten der Konkurrenz aus Fianna Fáil und Labour Party den Sprung ins Parlament schaffen. Die Partei um Gerry Adams und Mary Lou McDonald wird vermutlich nach Fine Gael, aber vor Fianna Fáil die zweitstärkste Fraktion bilden. Für letztere wäre das eine lebensgefährliche Situation. Schließlich droht den politischen Erben des Staatsgründers, Premierministers und Präsidenten Eamon de Valera, ihre Stellung als diejenige Partei im Dubliner Parlament, die am stärksten für die Wiedervereinigung Irlands eintritt, an Sinn Féin zu verlieren, die bereits in Belfast in der nordirischen Allparteienregierung mit den Unionisten sitzt.

Rein rechnerisch wäre auch eine Koalition aus Fine Gael und Sinn Féin denkbar, nur liegen diese programmatisch zu weit auseinander. Während Fine Gael ihre asoziale Austeritätspolitik fortzusetzen gedenkt, drängt Sinn Féin auf die Aufnahme eines keynesiansichen Konjunkturprogramms, um den Menschen niedrigen Einkommens zu helfen, die Binnenkonjunktur zu beleben, die Wohnungsnot zu bekämpfen und den desaströsen Zustand des Gesundheitssystems zu beheben. Wegen der Ähnlichkeiten ihrer Programme haben im letzten Herbst Sinn Féin und die anderen kleinen linken Parteien vereinbart, sich bei der Wahl gegenseitig zu unterstützen und ihre jeweiligen Anhänger dazu aufzurufen, ihre Zweit- und Drittstimmen den verbündeten Gruppierungen zu geben. Gelingt diese Zusammenarbeit, dürften die Transfer-Stimmen für die Entsendung so vieler linker Abgeordneter wie niemals zuvor ins irische Parlament sorgen. Dort wartet auf sie vermutlich erst einmal die Opposition.

13. Februar 2016


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