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PARTEIEN/319: Hardline-Unionisten in Nordirland in der Defensive (SB)


Hardline-Unionisten in Nordirland in der Defensive

Korruptions- und Intoleranzvorwürfe belasten die DUP


Nur zehn Monate nach den letzten Wahlen zum Regionalparlament in Nordirland hat am 16. Januar der zuständige britische Minister James Brokenshire das vorzeitige Ende der laufenden Legislaturperiode zum 26. Januar und Neuwahlen für den 2. März angekündigt. Zu diesem Schritt sah sich Brokenshire gezwungen, nachdem am 9. Januar der Stellvertretende Erste Minister Nordirlands Martin McGuinness seinen Rücktritt erklärt und sich seine Partei, die irisch-katholische Sinn Féin, geweigert hatte, einen Nachfolger zu benennen. Vor allem für Sinn Féins Koalitionspartner, die probritisch-protestantische Democratic Unionist Party, stehen die bevorstehenden Wahlen unter keinem guten Stern. Die DUP im allgemeinen, der Führungszirkel um Parteichefin und Erste Ministerin Arlene Foster im besonderen, sieht sich mit massiven Vorwürfen der Korruption und der Engstirnigkeit gegenüber der nationalistischen Bevölkerungsminderheit und deren Vertretern von Sinn Féin konfrontiert.

Auf einer Pressekonferenz am 19. Januar hat der 66jährige, schwer erkrankte McGuinness seinen Abschied von der aktiven Politik bekanntgegeben. Er werde in seiner Heimatstadt Derry nicht mehr kandidieren, erklärte er. Bei dieser Gelegenheit erneuerte der langjährige Kommandeur der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) seine Kritik an der DUP, die wichtigsten Vertreter der größten unionistischen Partei verschlössen sich einer Versöhnung zwischen Katholiken und Protestanten. Nach dem Tod von DUP-Gründer Ian Paisley 2014 gebe es niemanden in der DUP mehr, der die ausgestreckte Hand des Friedens ergreife, so McGuinness. Der scheidende Sinn-Féin-Vizevorsitzende berichtete von seiner "besonderen Enttäuschung", als Foster und ihre Kollegen seinen Vorschlag ausschlugen, gemeinsam mit ihm jeweils ein Spiel der irischen und der nordirischen Fußballmannschaft bei der Europameisterschaft im vergangenen Sommer in Frankreich zu besuchen. "Sie haben sich geweigert. Es war nicht so, als hätte ich sie zur Teilnahme an einer Gedenkfeier zum [Osteraufstand] 1916 eingeladen. Es war einfach ein Fußballspiel und eine Gelegenheit, auf die andere Seite zuzugehen. Doch Arlene wohnte nur dem Spiel Nordirlands bei, während ich zu beiden ging."

Beiderseits der Irischen See haben Politik und Medien stark auf McGuinness' Abschied von der politischen Bühne reagiert, der das Ende einer Ära markiert. Während die meisten Kommentatoren und Berufspolitiker wie die britische Premierministerin Theresa May die bemerkenswerte Entwicklung des früheren Untergrundkämpfers zum Architekten des Friedensprozesses würdigten, wollten viele DUP-Politiker vor allem an die Anschläge der IRA während der Troubles erinnern, um Sinn Féin wieder in die terroristische Ecke zu schieben. Auch die Stellungnahme Fosters ließ menschliche Wärme ihrem Ex-Kabinettskollegen gegenüber vermissen. Dafür hat Ian Paisley jun. am 19. Januar in einem BBC-Fernsehinterview wahre Größe gezeigt und dafür viel Lob geerntet. Paisley, der bis 2010 DUP-Abgeordneter für den Bezirk North Antrim war und dem Ambitionen auf die Parteiführung nachgesagt werden, hat sich bei McGuinness für seine Bemühungen um Frieden zwischen Katholiken und Protestanten ausdrücklich bedankt. Herrschte noch der freundschaftliche Umgang zwischen DUP und Sinn Féin wie zu der Zeit, als Paisley sen. und McGuinness die Regierungskoalition gemeinsam anführten, befände sich Nordirland nicht in der jetzigen politischen Krise, so Paisley jun.. Es sei endlich an der Zeit, daß die Politiker Nordirlands den konfessionellen Graben zuschütteten, statt ihn immer wieder aufzureißen, sagte er.

Die Deutlichkeit, mit der sich der Sohn des DUP-Gründers von der Position Fosters distanzierte, hat auf dem vielgelesenen Blog Slugger O'Toole einen Kommentator zu der Formulierung veranlaßt, mit dem BBC-Interview habe der derzeit mandatslose Paisley seiner Parteichefin das Messer nicht in den Rücken, sondern in die Brust gerammt. Foster steht ohnehin wegen des Skandals um die Renewable Heat Initiative (RHI) unter schwerem Beschuß. Die DUP wird sich mit negativen Meldungen zu diesem Thema bis zur Wahl Anfang März herumschlagen müssen.

Bei der RHI geht es um ein Programm zur Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien, das Foster als nordirische Wirtschaftsministerin 2012 eingeführt hat. Betriebe konnten mit großzügigen Subventionen rechnen, stellten sie die Heizung von Öl oder Gas auf Holzpellets um. Zum Problem für die RHI wurde der Preisverfall im Energiesektor. Als der Preis für Öl und Gas und in der Folge auch für die Holzpellets abstürzte und deshalb immer mehr Unternehmen die neuen Öfen einbauen ließen, drohten die Kosten für den Staat außer Kontrolle zu geraten. Jonathan Bell, Fosters Nachfolger als Wirtschaftsminister, behauptet, er habe Ende 2015 auf Anraten seiner Beamten das Programm kappen wollen, sei jedoch von Foster und deren Special Advisers (Spads) Timothy Johnson und John Robinson daran gehindert worden. Es besteht der Verdacht, daß viele Leute mit Verbindungen zur aktuellen DUP-Spitze von den Subventionen profitierten. In der nordirischen Presse kursieren Berichte von Geflügelbetrieben, deren Inhaber zusätzliche Öfen einbauen und diese sogar im Sommer laufen ließen, um Subventionsgelder im großen Umfang einzustreichen. Inzwischen ermittelt der Police Service of Northern Ireland (PSNI), während der mögliche Schaden für den Steuerzahler auf rund eine halbe Milliarde Pfund geschätzt wird. Der nordirische Finanzminister Mairtin O'Muilleoir von Sinn Féin hat eine Untersuchungskommission mit einer Klärung der Vorgänge beauftragt.

Wenngleich Sinn Féin erstmals seit Jahren ohne Martin McGuinness in den Wahlkampf zieht und die Nachfolge regeln muß, sieht ihre Ausgangsposition doch besser als die der DUP aus. Die laufenden Enthüllungen in Zusammenhang mit der RHI lassen eine Selbstbedienungsmentalität des Führungszirkels um Foster und seiner politischen Freunde erkennen, welche die meisten Bürger, DUP-Wähler eingeschlossen, empört. Der Korruptionsskandal und der Eindruck, durch Engstirnigkeit die Errungenschaften des Friedensprozesses zu verspielen, haben die protestantischen Hardliner bei der DUP diskreditiert. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob die gemäßigten Kräfte im protestantischen Lager Nordirlands - sei es bei der Aufstellung der Kandidaten für das von 108 auf 90 Sitze verkleinerte Regionalparlament in Belfast oder der Official Unionist Party (UUP) bei der Wahl im März von der momentanen Schwäche der "No-Surrender"-Fraktion profitieren können.

21. Januar 2017


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