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PARTEIEN/372: Brexit - hasch mich, ich bin der Frühling ... (SB)


Brexit - hasch mich, ich bin der Frühling ...


Die Annahme - zugegeben, auch des Schattenblicks -, die britische Premierministerin Theresa May hätte sich vor einer Woche eines Besseren besonnen und sich gegen einen ungeordneten Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union entschieden, um das Land vor katastrophalen wirtschaftlichen Schäden zu bewahren, hat sich als Trugschluß erwiesen. Das schriftliche Angebot des sozialdemokratischen Oppositionsführers Jeremy Corbyn, May eine überparteiliche Mehrheit im Unterhaus für ihr Ende letzten Jahres mit Brüssel ausgehandelten Brexit-Deal zu verschaffen, solange die Premierministerin in eine Zollunion mit der EU einwillige und die Einhaltung europäischer Standards in den Bereichen Arbeitnehmerrechte sowie Umweltschutz garantiere, hat Number 10 Downing Street ausgeschlagen - und damit weiteres Unverständnis in Brüssel und den restlichen europäischen Hauptstädten ausgelöst.

In einem erhellenden wie zugleich erschreckenden Artikel, der am 11. Februar bei der Onlinezeitung HuffingtonPost.com unter der Überschrift "Why A No-Deal Brexit Is Now Theresa May's Fallback Plan To Save Her Party - And Herself" erschienen ist, hat der politische Korrespondent Paul Waugh Denken und Handeln der britischen Premierministerin schlüssig analysiert. Demnach tanzt May - und mit ihr die konservative Partei - nach der Pfeife der rund 60 EU-feindlichen Fanatiker von der European Research Group (ERG) um Boris Johnson und Jacob Rees-Mogg im Unterhaus, weil sie lieber den No-Deal-Brexit als eine Spaltung der eigenen Fraktion riskieren will. Die ERG und die Abgeordneten der protestantischen Democratic Unionist Party (DUP) aus Nordirland, auf deren zehn Stimmen Mays Minderheitsregierung zum Überleben angewiesen ist, halten deshalb am No-Deal-Brexit fest, weil sie glauben, entweder die Drohung damit werde die EU am Ende doch noch zum Einlenken zwingen, oder, sollte Brüssels nicht klein beigeben, nach dem ungeordneten Austritt würde das United Kingdom, befreit von der Brüsseler Regelungswut, ein neoliberales Wirtschaftswunder erleben.

Wahrlich leiden die Brexiteers immer stärker am "magischen Denken" - in diesem Zusammenhang ein Euphemismus für Arroganz und Hybris. Einer Antwort auf die Frage, wie eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland im Falle eines endgültigen Austritts des Vereinigten Königreichs aus Zollunion und Binnenmarkt mit der EU vermieden und die Gefahr eines Wiederaufflammens der "Troubles" gebannt werden kann, sind sie bis heute schuldig geblieben, beharren jedoch auf die Beseitigung des von May Ende 2018 mit Brüssels ausgehandelten "Backstop", der jene Unwägbarkeiten vorerst beseitigen sollte. Am 11. Februar hat Mays junger und extrem ehrgeiziger Verteidigungsminister Gavin Williamson in einer denkwürdigen Rede die neue aggressive Militärdoktrin Großbritanniens der Post-Brexit-Ära skizziert und dabei indirekt China und Rußland den Krieg erklärt. Daraufhin hat Peking bevorstehende Handelsgespräche mit London aufgekündigt. Eine gewinnbringende Diplomatie sieht anders aus.

In einer Rede vor dem außenpolitischen Ausschuß des irischen Parlaments hat am 14. Februar Außenminister Simon Coveney sein tiefes Bedauern über den "unglaublichen" Stand der Brexit-Verhandlungen sowie seine Sorgen über die zunehmende Wahrscheinlichkeit eines ungeordneten Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU am 29. März zum Ausdruck gebracht. Das Problem liege in der Selbstüberschätzung der Tories, so Coveney. Ihm zufolge glaubten ERG und May-Regierung gemeinsam, die anderen 27 EU-Mitgliedsstaaten hätten ein No-Deal- Brexit mehr zu befürchten als Großbritannien. Dies sei ein absoluter Trugschluß, der in London zu einer falschen, wenig kompromißbereiten Herangehensweise geführt habe, sagte der Fine-Gael-Politiker.

Zum bisherigen Tiefpunkt in der Brexit-Krise kam es am Abend des 14. Februar, als sich das Unterhaus mehrheitlich weigerte, jenen Handlungsauftrag, den es May am 29. Januar erteilt hatte, zu erneuern. Für die hochpeinliche Regierungsniederlage waren die ERG-Rebellen in den Tory-Reihen verantwortlich. Sie hatten in der Zwischenzeit einen Zusatz zur damaligen Resolution gemerkt, die von der konservativen Parteikollegin Caroline Spelman eingebracht worden war und die im Falle einer Nicht-Einigung zwischen London und Brüssel bis zum 29. März die Möglichkeit eines No-Deals ausschloß (Demnach hätte entweder die Regierung oder das Parlament in London Brüssel um eine Verlängerung der Austrittsfrist zwecks Neuverhandlungen bitten müssen). Unmittelbar nach der gestrigen Niederlage im Unterhaus fragte der ehemalige Brexit-Minister David Davis seinen Nachfolger Stephen Barclay - May war der Auszählung im Unterhaus aus naheliegenden Gründen ferngeblieben -, ob die Regierung Ihrer Majestät weiterhin von einem ungeordneten Austritt ausgehe, sollten Brüssel in der Frage des Backstops für die innerirische Grenze nicht einknicken. Barclay antwortete mit Ja.

Nicht nur in Rest-Europa, sondern in weiten Teilen der britischen Gesellschaft herrscht blankes Entsetzen angesichts des selbstmörderischen Kurses der Tories und der DUP in der Brexit-Angelegenheit. Darum reist Labour-Chef Jeremy Corbyn in der kommenden Woche nach Brüssel, um mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Chefunterhändler Michel Barnier darüber zu beraten, wie man einen vernünftigen Ausweg aus der verfahrenen Situation in der verbleibenden Zeit bis Ende März noch hinbekommen kann. Bei der Eröffnung des fünften grenzübergreifenden All-Island Civic Dialogue on Brexit am 15. Februar in Dublin - die DUP war eingeladen, jedoch nicht erschienen - erklärte der irische Premierminister Leo Varadkar, die harten Brexiteers, die seit längerem prognostizierten, die EU würde am Ende die Republik Irland brexit-technisch in Stich lassen, um doch noch ein Handelsabkommen mit Großbritannien abzuschließen, würden "eine böse Überraschung erleben". Die nächsten Wochen werden zeigen, ob der Taoiseach mit seiner Vorhersage richtig liegt.

17. Februar 2019


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