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BERICHT/010: Links der Linken - Internationalismus und Antikapitalismus vs. EU und Euro (SB)


"Europa - eine Debatte über die linke Antwort auf ein gescheitertes Projekt"

Tagung "Brauchen wir eine Alternative zu Euro und EU?" am 30. November 2013 im Kulturzentrum ZAKK in Düsseldorf


Transparent 'Brauchen wir eine Alternative zu Euro und EU?' - Foto: © 2013 by Schattenblick

Foto: © 2013 by Schattenblick

Die Frage des Verhältnisses linker Bewegungen zur EU zu beantworten, sollte in Anbetracht jüngster Entwicklungen nicht schwer, sondern immer leichter fallen. Die Parteinahme aller EU-Institutionen auf der Seite der ukrainischen Regierungsgegner und die von führenden EU-Funktionären propagierte Verklärung ihres Aufstands als eines Kampfes um Freiheit und Demokratie haben die massive Einflußnahme der EU auf die Politik des Landes auf eine Weise ideologisiert, die an die Vorbereitung des Überfalls der NATO auf Jugoslawien und die damit einhergehende Remilitarisierung der deutschen Außenpolitik erinnert. In der Auseinandersetzung mit Rußland um die regionale Vormachtstellung schrecken die Agenturen der EU-europäischen Expansion nicht einmal davor zurück, die militanten Dienste neofaschistischer und antisemitischer Gruppierungen in Anspruch zu nehmen [1].

Auch die Entsendung eines Militärkontingents der EU in die Zentralafrikanische Republik, die fortgesetzte Aushungerung der Menschen in Griechenland, Spanien, Portugal und anderen EU-Peripheriestaaten im Rahmen des Krisenmanagements zur Sicherung des Geldwerts, dessen Grundlegung in einem Währungsregime, das weniger produktive Länder den Interessen der stärksten Wirtschaftsakteure auf Gedeih und Verderb ausliefert, der Ausbau insbesondere gegen Linke gerichteter Instrumente der Kriminalisierung sozialen Protests [2] wie die mörderische Flüchtlingsabwehr im Mittelmeer bestätigen den imperialistischen Charakter EU-europäischer Politik. Daß der Kurs, die Stabilität des Euro in Konkurrenz zum Dollar als internationale Reservewährung unter allen sozialfeindlichen Umständen durchzusetzen, wesentlich vom größten Mitgliedstaat der EU betrieben wird [3], wäre für Linke in diesem Land ein Grund mehr, die Projektion deutscher Interessen über die supranationale Ebene in die anderen Mitgliedstaaten der EU wie darüber hinaus als einen Akt antidemokratischer Ermächtigung zurückzuweisen.

Eine Woche vor dem Europaparteitag der Partei Die Linke hat deren Bundesvorstand die Streichung einer Passage aus der Präambel des Programmentwurfes beschlossen, die über die Grenzen der Partei hinaus als europafeindlich oder gar nationalistisch skandalisiert worden war. Der EU anzulasten, sie sei "zu einer neoliberalen, militaristischen und weithin undemokratischen Macht" geworden, könnte Die Linke immun gegen die Angebote der SPD machen, spätestens 2017 mit einer angeblich linken Mehrheit die Regierung zu bilden. Da jeder weiß, daß Parteiprogramme das eine und Realpolitik das andere sind, hätte es der Debatte um diese Sentenz nicht bedurft, um dennoch den Weg für die heißersehnte Regierungsbeteiligung freizumachen. Daß sie dennoch aus den eigenen Reihen heraus angezettelt wurde, ist als Versuch der dem Parteitag vorauseilenden Klärung der Fronten kaum mißzuverstehen.

Wenn also eine linke Positionierung zur EU in der parlamentarischen Linken schon an einer der Sachlage allemal angemessenen Bewertung der EU scheitert, was bedeutet dies dann für außerparlamentarische Bewegungen, die etwa im Rahmen des Blockupy-Bündnisses gegen eben diese Kriterien EU-europäischer Politik kämpfen? Wie sollten sie sich positionieren auf dem von Verdächtigungen rechtspopulistischer Demagogie und verkürzter Kapitalismuskritik verminten Gelände einer Ideologiekritik, die bis in die Reihen der SPD hinein längst als gegen ihre Urheber gewendete Waffe im politischen Kampf entdeckt wurde und angewendet wird?

Moderator des Workshops zur AfD - Foto: © 2013 by Schattenblick

Thomas Wagner
Foto: © 2013 by Schattenblick

Rechtspopulistische Herausforderung verlangt nach klarer Positionierung

Eine "Debatte über die linke Antwort auf ein gescheitertes Projekt" unter der Frage "Brauchen wir eine Alternative zu Euro und EU?" zu führen wurde am 30. November 2013 im Düsseldorfer Zentrum zakk versucht. Daß diese Gelegenheit in Anbetracht der Leerstelle einer wirksamen linken Kritik am Projekt der EU in der Bundesrepublik von nur einigen Dutzend Aktivistinnen und Aktivisten wahrgenommen wurde, obwohl eine ganze Reihe linker Initiativen, Parteiorganisationen und Strömungen [3] dazu aufgerufen hatte, läßt auf Berührungsängste mit diesem Thema schließen. Worin diese liegen könnten, ist angesichts der Kontaminierung jeglicher EU-Kritik, die sich nicht auf tagespolitische Entwicklungen beschränkt, sondern dieses Projekt der europäischen Einigung im Grundsatz in Frage stellt, mit völkischem Gesinnungsverdacht unschwer zu erraten.

Von daher bot der Workshop, in dem Thomas Wagner die Alternative für Deutschland (AfD) untersuchte, Gelegenheit, die angebliche, von den bürgerlichen Parteien im bewährten Rückgriff auf die antikommunistische Totalitarismustheorie rundheraus attestierte Identität rechter und linker EU-Kritik in Frage zu stellen. Bekanntermaßen hat Die Linke das Thema im Bundestagswahlkampf weitgehend umschifft und der AfD damit viel Raum gelassen, die Unzufriedenheit vieler Menschen mit der EU für sich zu nutzen. Mit 340.000 Stimmen zog die zweitgrößte Gruppe der Wahlabwanderer nach den ehemaligen FDP-Wählern von der PDL zur AfD, was dieser erstmals antretenden Partei fast den Einzug in den Bundestag bescherte. Der Referent führte dies nicht nur auf das Versagen der Linkspartei zurück, sondern auch auf die Professionalität, mit der die AfD ihren Wahlkampf führte.

Thomas Wagner, Autor und Redakteur bei der jungen Welt, ging es in seinem Vortrag darum, den demokratischen Anspruch der AfD vor dem Hintergrund seiner Kritik an einer plebiszitären Demokratie zu untersuchen, die er zuletzt in seinem Buch "Die Mitmachfalle. Bürgerbeteiligung als Herrschaftsinstrument" ausgeführt hat. Seiner Ansicht nach versuchen die AfD-Ideologen, mit Hilfe der direkten Demokratie die Klassenverhältnisse zu ungunsten der abhängig Beschäftigen und sozial Benachteiligten zu verschieben. Wagner versteht die Art und Weise, mit der die AfD dieses plebiszitäre Konzept propagiert, als strategischen Angriff auf Parteien, die noch soziale Interessen vertreten.

Die AfD steht für marktradikale Positionen, die sich nicht von der neoliberalen Doktrin anderer Parteien unterscheiden. Weniger Abgaben für die Sozialsysteme und eine höhere Leistungsbereitschaft der Lohnabhängigen sollen die Bedingungen der Kapitalverwertung verbessern. Schon von der gesellschaftlichen Stellung führender Funktionäre her tritt die Partei als Verteidigerin von Besitzstandsinteressen auf, die denjenigen, die nichts als ihre Arbeitskraft zu verkaufen haben, fern liegen.

Mit der Forderung nach einer nationalstaatlichen Reorganisation des Neoliberalismus und der Vertiefung der Klassengegensätze geht die AfD mit anderen rechtspopulistischen Parteien der EU konform. Gleichzeitig versucht sie zwecks Erschließung eines breiten Wählerklientels, sich von der NPD abzugrenzen, was ihr nicht leicht fällt, da einzelne Parteimitglieder wiederholt durch eine dementsprechende Vorgeschichte auffielen. Wie tief sie in der Ideologie autoritärer Staatlichkeit verankert ist, belegt Wagner anhand des Eintretens führender Mitglieder für eine Veränderung des Wahlrechts, das sogenannten Leistungsträgern mehr Wahlstimmen zugestehen soll, um "die Leistungseliten vor der Tyrannei der Mehrheit" zu schützen. So ist in ihren Reihen die demokratiepolitische Forderung einer sozial bestimmten Wahlrechtsbeschränkung ebenso vorhanden wie die Einführung eines Zwei-Kammern-Systems, in dem die viel Einkommensteuer zahlenden Leistungsträger die eine Kammer besetzen, während die andere für den ärmeren Rest der Bevölkerung vorbehalten bliebe.

Der scheinbare Widerspruch derartiger Konzeptionen zu der offiziellen Forderung nach mehr direkter Demokratie löst sich für den Referenten in der Absicht auf, die Klassenmachtverhältnisse mit Hilfe eines größeren Einflusses der Unternehmer auf die Politik zu deren Gunsten zu verschieben. Als Beispiel dafür führt Wagner Volksabstimmungen in den USA und der Schweiz an, die die Begrenzung von Steuern und Staatsausgaben zum Ziel haben, was eine sozialistische Demokratie noch unerreichbarer macht. Das erfolgreiche strategische Kalkül, nationalistische Ressentiments oder Besitzstandsinteressen der Bürgergesellschaft durch Plebiszite fruchtbar zu machen, belegt, daß die direkte Demokratie durchaus als strategischer Hebel zum Systemumbau nutzbar gemacht werden kann. Die Behauptung, die parlamentarische Demokratie sei den Anforderungen einer modernen kapitalistischen Wirtschaft nicht gewachsen, wird nicht umsonst in marktliberalen Think Tanks oder rechten Blättern wie der Jungen Freiheit kolportiert.

Allerdings wäre gegen eine Verabsolutierung der direkten Demokratie als Instrument rechtskonservativer Kreise einzuwenden, daß diese sich auf eine massenmediale und institutionelle Hegemonie stützen müssen, der gegenüber basisdemokratische Interessen sozialer Art keine auf breiter gesellschaftlicher Basis vernehmbare Stimme haben. Verfügte die Linke über eine solche Deutungsmacht, dann wäre auch der entgegengesetzte Fall, die Durchsetzung emanzipatorischer Forderungen auf plebiszitärem Wege, denkbar.

In der Europa-Frage geht Wagner von zwei Strömungen in der politischen Rechten aus. Während die proeuropäische Fraktion den Weg in eine autoritäre zentralistische Ordnung beschreitet und dies auf die bekannte Weise ideologisch verklärt, wendet sich die in der AfD propagierte nationalliberale Argumentation gegen die europäische Einigung in der bestehenden Form. Einig ist man sich in der sozialchauvinistischen Grundierung beider Konzepte, geht es doch den vorgeblichen Proeuropäern der etablierten Parteien um die Interessen der marktbeherrschenden Großkonzerne und des mit ihnen verbundenen Finanzkapitals, während die AfD ihren Rückhalt eher in dem mittelständischen, von Eignerfamilien geführten Teil der Privatwirtschaft hat.

In der anschließenden Diskussion ging es noch einmal um den Mangel an einer dezidierten europapolitischen Positionierung der Linken vor der Bundestagswahl. Daß eine linke Partei, die, wie die Ambitionen in Richtung SPD belegen, ihren Frieden mit dem Kapitalismus gemacht hat, wahlstrategische Probleme damit hat, der EU die Vertiefung des Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit anzulasten, ist nicht zuletzt dem privilegierten Status der deutschen Arbeiterschaft geschuldet. So ist der These eines Teilnehmers, laut der insbesondere die gutverdienenden, gewerkschaftlich organisierten Kernbelegschaften wohl mehrheitlich für den Euro wären, hinsichtlich der führenden Rolle der Bundesrepublik in der EU nichts hinzuzufügen. Die Einbindung der Lohnabhängigenklasse inklusive der Empfänger von Sozialtransfers in die Logik des kleineren Übels funktioniert angesichts des sozialen Elends, dem andere Bevölkerungen der EU ausgesetzt sind, bestens. Perfiderweise praktizieren die unter SPD-Kuratel stehenden Massengewerkschaften in vielen Fällen eine standortbezogene Klassenspaltung, die ihnen durchaus den Vorwurf einer nationalistischen Politik einbringen könnte, der durch die Affirmation der EU und des Euro nur scheinbar gegenstandslos ist.

Wenn Die Linke, wie Wagner ausführt, keine demokratiepolitischen Forderungen erhebt, die über entsprechende Diskussionen im bürgerlichen Lager hinausgingen, dann sei es auf die Dauer wenig erfolgversprechend, der AfD anzulasten, die von ihr erhobene Forderung nach direkter Demokratie sei gar nicht so gemeint. Dem Versuch, sich von einer rechtspopulistischen EU-Kritik abzugrenzen, kann nicht viel Erfolg beschieden sein, wenn er sich auf den gegen die AfD erhobenen Gesinnungsverdacht reduziert. Tatsächlich fänden sich in linken Diskussionsrunden die gleichen Experten, die aus dem bürgerlichen Wissenschaftsbetrieb kommen und erklären, wie repräsentative Demokratie funktioniert. Hingegen finde kaum eine Diskussion darüber statt, daß ein großer Teil der Gesellschaft im Bereich der Produktion vom Demokratieprinzip ferngehalten wird.

Hausfront mit Tür, Fenster und Leuchtreklame - Foto: © 2013 by Schattenblick

Eingang zum Düsseldorfer Kulturzentrum zakk
Foto: © 2013 by Schattenblick

Die Reaktion überwinden, die Zukunft wagen

Während alle Flügel der Linkspartei Kritik am sozialfeindlichen Charakter der EU bekräftigen, scheinen sie doch Angst vor der eigenen Courage zu haben. Dabei besteht die von ihren Gegnern für selbstverständlich erachtete Gefahr eines Rückfalls in nationalchauvinistische Politik nur dort, wo diese tatsächlich praktiziert wird. Sich zum Zwecke einer besseren Durchsetzbarkeit demokratischer Forderungen auf den Nationalstaat als Ausgangspunkt seiner Aufhebung wie auf das mißachtete Subsistenzprinzip zu besinnen, kann zumindest nicht verwerflicher sein, als eine EU zu propagieren, in der die Kräfte der Nationalstaaten gebündelt werden, um als globaler Akteur im innerimperialistischen Wettstreit um die besten Verwertungsbedingungen zu obsiegen.

Wie unreflektiert die Behauptung vom postnationalen Charakter der EU ist, belegt schon die Dominanz deutscher Interessen. So werden mit Hilfe des Euro und der Wirtschafts- und Währungsunion ganze Bevölkerungen gegeneinander ausgespielt, was in Ermangelung einer Sozialunion nach wie vor auf nationalstaatlicher Ebene erfolgt. Der sich durch ganz Europa ziehende Klassengegensatz wird mit Hilfe der Denunzierung angeblich fauler Südländer oder einer räuberischen Einwanderung in die Sozialsysteme dementiert, um die Formierung eines grenzüberschreitenden sozialen Widerstands als Äquivalent zur Hegemonie der Kapitalinteressen von unten wirksam zu verhindern. Während auf der Kommandohöhe des Europäischen Rats nationale Interessen verhandelt werden, werden die Bevölkerungen in den Griff nach Hartz-IV modellierter Workfare-Regimes genommen, dem Effizienzprimat der durch Flexibilisierung, Mobilität und Selbstoptimierung produktiver gemachten Ware Arbeitskraft unterworfen und nach deren Verbrauch Systemen der Sozialfürsorge überantwortet, die, wenn sie überhaupt noch existieren, durch national ausgerichtete Spardiktate ausgehöhlt wurden. Die Überlebenskonkurrenz wird systematisch in kleinste soziale Verhältnisse getrieben, um dem sozial atomisierten, an seiner Produktivität bemessenen und in seiner individuellen Lebensführung auf den Erhalt seiner Arbeitskraft zugerichteten Menschen jeden Gedanken an eine Subjektivität auszutreiben, die die unterstellte Notwendigkeit, sich nach der Decke des Mangels zu strecken, noch bestreiten könnte.

Was genau, so wäre zu fragen, folgt denn auf den angeblich durch die EU überwundenen Nationalstaat? Wieso sollte die historische Entwicklung der EU aus der antikommunistischen Frontstellung Westeuropas im Kalten Krieg und den monopolistischen Interessen transnationaler Kapitale etwas anderes hervorbringen als den unhintergehbaren Imperativ, sich für das staatliche Gemeinwesen zu bewähren oder seiner an ihn geknüpften Privilegien verlustig zu gehen? Warum sollte ein EU-europäischer Imperialismus weniger gefährlich sein als nationales Hegemonialstreben?

Das Ziel der Lissabon-Strategie 2000, "der wettbewerbsfähigste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt" zu werden, belegt die Transformation nationaler Durchsetzungskraft auf die nächsthöhere Ebene, nicht jedoch die Abkehr von einer zwischen Staatssubjekten entfachten Konkurrenz, die stets die Gefahr ihrer letztinstanzlichen Einlösung durch kriegerische Gewaltanwendung in sich birgt. Nicht die Abschaffung des Staates als Mittel herrschaftlicher Verfügungsgewalt ist das Ziel der angeblich postnationalen Agenda der EU, sondern seine Hypertrophierung in einer Bündelung bürokratischer Apparate und technokratischer Intelligenz, auf die die davon Betroffenen weniger Einfluß denn je haben. Mit dem Argument gleicher marktwirtschaftlicher Ausgangsbedingungen werden nationale Sozial-, Arbeits- und Umweltstandards auf dem größten gemeinsamen Nenner niedrigster Schutzgarantien nivelliert. Das gleiche kann für das Gebiet bürgerrechtlicher Garantien gelten, wie etwa der Europäische Haftbefehl, der den Schutz vor staatlicher Verfolgung drastisch gesenkt hat, die auch zivilen Protest und Arbeitskämpfe bedrohende Terrorismusdefinition der EU und die völlig intransparente Erstellung sogenannter Terrorlisten auf europäischer Ebene belegen.

Wenn transnationaler Kapitalmacht wie beim anstehenden Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) neue Investitionsmöglichkeiten eröffnet werden sollen, dann wird mit Hilfe einer höchst undemokratischen Willensbildung die Privatisierung öffentlicher Leistungen, der Schutz des eingesetzten Kapitals und die Beseitigung sogenannter nichttarifärer Handelshemmnise gegen das Interesse der Menschen am Erhalt ihrer Lebensqualität und kulturellen Eigenständigkeit vorangetrieben. Die dabei angeblich entstehenden Arbeitsplätze unterliegen der allgemeinen Entwertung der Arbeitskraft, ohne die sich die finanzkapitalistische Geldschöpfung noch weniger rechnete, als sie es ohnehin nicht tut. Im Ergebnis haben alle weniger, und dies nicht aufgrund bloßer Gier derjenigen, die mehr haben, wie die Unterstellung einer alle sozialen Widersprüche beseitigenden "Umfairteilung" suggeriert. Den Notstand, daß der Mehrwert aus unbezahlter Arbeit längst nicht mehr in der Lage ist, den Geldwert der schuldengetriebenen Kapitalakkumulation zu garantieren, an eine moralische Letztbegründung zu adressieren, erklärt nichts, sondern verschleiert seine antagonistische Logik. Indem die Deckung der Defizitkreisläufe, die die EU-Mitglieder in Geber- und Nehmerstaaten geteilt hat, durch eine politisch bestimmte Kreditierung vollzogen wird, werden keine neuen Werte geschaffen, sondern längst erfolgte Verluste davor geschützt, als solche manifest zu werden. Im Ergebnis wird die Bedürftigkeit der Menschen als Zwang manifest, sich jeder Zumutung zu unterwerfen, mit der die Insassen des jeweiligen Staatswesens für die Forderungen der Gläubiger haftbar gemacht werden.

Die von der Linken nicht gestellte Eigentumsfrage ist zentral für dieses Gewaltverhältnis, zumal es nicht nur durch das Privateigentum an Produktionsmitteln bestimmt ist. In Anbetracht des Verfalls der materiellen Güterproduktion, die an der durch die massenhafte Arbeitslosigkeit ermöglichten Lohnsenkung scheitert, flüchtet das Kapital in Immobilien, Rohstoffe, Sachwerte und Rechtstitel. Diese erbringen zwar keinen Mehrwert, erweitern aber die Handlungsfähigkeit mangelgetriebener Verfügungsgewalt. Je billiger der Verbrauch menschlicher Lebenszeit und -kraft wird, je rarer natürliche Ressourcen als kostenlose Quellen des Reichtums werden, desto höher wird der Preis der Herrschaft über das Aufbegehren der in Armut getriebenen Menschen. Er beziffert sich in dem Aufwand, mit dem politische Legitimation, kulturindustrielle Animation, soziale Kontrolle, polizeiliche Repression und biologische Reproduktion gesichert werden. Ohne diese Produktivität ließe sich das Leben nicht widerstandslos einem Wert unterwerfen, der sich jeder Bindung an die Lebenswirklichkeit der Menschen enthoben hat, indem er sie unterschiedslos zu allem anderen der Verwertung brachliegenden Kapitals überantwortet.

Daß reaktionäre Lösungen, die nicht die Ursachen des Notstands hinterfragen, sondern seine sozialdarwinistische Verwaltung propagieren, sich eines immer größeren Zuspruchs erfreuen, belegt die wachsende Zustimmung zu rechtspopulistischen Demagogen. Demgegenüber die linke Position der Aufhebung dieser Not in menschlicher Subjektivität und Solidarität stark zu machen bedeutete, sich nicht auf ideologische Gemeinsamkeiten mit der Rechten wie die Glorifizierung der Arbeit als universale Lösung aller gesellschaftlichen Probleme zu beschränken. Den Tauschwertcharakter der Arbeit grundsätzlich in Frage zu stellen, wirkt demgegenüber wenig attraktiv, doch wird damit die Axt an die Wurzel eines Widerspruchs gelegt, der durch alle gesellschaftlichen Entwürfe der Moderne prozessiert wurde.

Wo die Rechte den kapitalistischen Staat als Sachwalter der nationalen Schicksalsgemeinschaft hofiert und ihm zugesteht, das Volk als durch ehrliche Arbeit in seiner Gemeinschaft frei werdendes oder außerhalb ihrer untergehendes Subjekt zu bewirtschaften, da hat die Linke allen Grund, die neoliberale Arbeitsgesellschaft als Vorstufe faschistischer Zwangsverwaltung zu kritisieren. Sich dem Lohnverhältnis zu beugen und mit "guter Arbeit" den Betriebsfrieden zu sichern, ohne die zerstörerischen Folgen der Vernutzung des Lebens durch die kapitalistische Produktivkraftentwicklung und die Vergesellschaftung des Menschen als bloße Funktion ihm fremder Interessen zu kritisieren, reicht nicht aus, sich des Verdachts, im Kern der Rechten verwandte Interessen zu vertreten, zu entziehen.

Nicht umsonst ist die Klientel der Linken für rassistische Ausgrenzungspropaganda vom Schlage eines Sarrazin empfänglich und wandert im Zweifelsfall zu rechtspopulistischen Parteien ab, wo sie den Schutz ihrer Interessen besser aufgehoben wähnt. Die antikommunistische Stoßrichtung der reformierten Linken richtet sich nicht nur gegen die gescheiterten Versuche, dem privatwirtschaftlich organisierten Kapitalismus mit einem realsozialistischen Staatskapitalismus den Rang abzulaufen. Nicht anders als das arrivierte Bürgertum fürchtet sie den revolutionären Impetus der Befreiung von einer Not, die in der Warenform der Arbeit, in der Aneignung ihrer materiellen Voraussetzungen wie der Verfügungsgewalt des Staates über die Menschen als Produzenten seiner Herrschaft ihre Grundlage hat.

Insofern sind Euro und EU kein Ausbund des Bösen, als das sie von einer Rechten erachtet werden, die in der Verabsolutierung der Volksgemeinschaft zur Identität der Nation das Heil sucht, dessen sie im unbegriffenen, weil personifizierten Gewaltverhältnis kapitalistischer Vergesellschaftung verlustig gegangen ist. Sie markieren eine Epoche im Werden des Menschen, der sich seiner Geschichte und der daraus hervortretenden Aufgaben entledigen zu können meint, indem der die Ratio des Homo oeconomicus absolut setzt und zum monolithischen Prinzip seiner gesellschaftlichen Existenz erhebt. Das Aufgehen in der bloßen Funktion tauschwertgenerierter Produktivität und ihre gesamtgesellschaftliche Organisation auf dem Tableau allgegenwärtiger Bemeß- und Vergleichbarkeit tritt an die Stelle einer Vielfalt menschlicher Subjektivität, die desto mehr Angst macht, als die materiellen Bedingungen ihres Erhalts in Frage gestellt sind.

Vor dem Mythos eines höheren Sinns, der den Sieg der Starken über die Schwachen zum qua Herkunft und Geburt erteilten Auftrag und Rechtsanspruch erhebt, sind auch die Verfechter der sogenannten europäischen Integration nicht gefeit. Sie suchen nicht anders als ihre rechten Kritiker Zuflucht zur Irrationalität einer in ihrem Fall übernationalen Identität, die nicht ohne die Ausgrenzung und Bekämpfung anderer auskommt, die die Gültigkeit ihres universalen Wertekodex vermeintlich in Frage stellen. Insofern hat es eine linke Bewegung, die sich durch die aggressive Bezichtigung angeblicher Rückständigkeit nicht irritieren lassen will, nicht mit einer von allen möglichen Seiten in Beschlag genommenen Wahrheit zu tun, wenn sie eine eigene Position zur EU beziehen will. Es handelt sich einmal mehr um einen mit harten Bandagen ausgefochtenen Sozialkampf, bei dem nichts geringeres als die Frage zur Disposition steht, wer zu Lasten wessen überlebt.


Fußnoten:

[1] EU-imperialistische Weichenstellung in der Ukraine
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/hege1769.html

[2] Supranationales Gewaltmonopol - EU-Sicherheitsforschung
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0170.html

[3] "EU: Enteignung und Demokratieabbau unter deutscher Vorherrschaft"
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0168.html

[4] http://europa.blogsport.de/ueber-uns/

Häuserfassade mit einer Vielzahl von gezeichneten Insekten - Foto: © 2013 by Schattenblick.  .  Häuserfassade mit einer Vielzahl von gezeichneten Insekten - Foto: © 2013 by Schattenblick

Unbändige Vielfalt des Lebens - Impressionen vom alternativen Wohnprojekt Kiefernstrasse unweit des zakk
Foto: © 2013 by Schattenblick

11. Februar 2014