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INTERVIEW/019: "Aggressiver Euro-Imperialismus" - Lucas Zeise zur Krise der EU (SB)


Interview mit Lucas Zeise am 10. März 2012 in Berlin-Mitte



Der Volkswirtschaftler Lucas Zeise arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren als Finanzjournalist und ist Vorsitzender der Marx-Engels-Stiftung. Zum Abschluß der Konferenz "Aggressiver Euro-Imperialismus" beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.

Im Interview - Foto: © 2012 by Schattenblick

Lucas Zeise
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Herr Zeise, wie würden Sie, einmal ganz technisch gefragt, heutzutage deutsches Kapital definieren, wenn häufig auch von transnationalem Kapital die Rede ist?

Lucas Zeise: Das ist eine interessante Frage. Als die Banken 2008 mit 400 Milliarden Euro unterstützt wurden, tauchte auch die Frage auf: Wer ist eigentlich eine deutsche Bank? Denn die Bayerische Hypo- und Vereinsbank war von der Unicredit übernommen worden, und die Sal. Oppenheim, die traditionsreiche Bank aus Köln, die früher mit Adenauer eng gekungelt hat, war gerade nach Luxemburg umgezogen. Also hieß es: Sal. Oppenheim ja, Hypo- und Vereinsbank nein. Das war natürlich eine politische Entscheidung. Man kann deutsches Kapital werden und auch wieder nicht werden. Es gibt Transnationale, aber das wird an einer Kombination von Faktoren festgemacht, zum Beispiel wo der Standort ist, wo am meisten Steuern gezahlt werden und wer natürlich die Hauptaktionäre sind, aber es ist nie ganz eindeutig.

SB: Die Deutsche Bank soll einen Großteil ihres Umsatzes in der Investmentabteilung in der Londoner City machen.

LZ: Es ist kein Kriterium, wo Banken ihren Umsatz machen. Fast alle mittelständischen Konzerne machen den größten Teil ihres Umsatzes mittlerweile außerhalb Deutschlands.

SB: Aber die Frage, wo Steuern gezahlt werden, wäre schon sehr relevant, denn es geht ja auch um die Refinanzierung des Staates. Müßte das nicht ein Hauptkriterium sein?

LZ: Ich glaube schon, daß das ein wichtiges Kriterium ist, aber nicht ausschließlich. Sal. Oppenheim ist ein typischer Fall. Die sind extra nach Luxemburg gezogen, um Steuern zu vermeiden. Luxemburg beherbergt viele Banken, aber sie wurden bei den deutschen Kapitalisten natürlich als deutsches Kapital angesehen. Nicht nur der Staat entscheidet das, sondern sie entscheiden selber, ob sie das sind oder nicht.

SB: Meinen Sie damit große Kapitaleigner, die über Vermögen im ganz konkreten Sinne verfügen?

LZ: Beziehungsweise ihre Stellvertreter, die in ihrem Namen agieren, also die Vorstandsvorsitzenden.

SB: Inzwischen fordert selbst die Bundesregierung, daß die anderen Volkswirtschaften im Sinne deutscher Lohnstückkosten und Kostensenkung dem deutschen Modell nacheifern. Es erscheint doch paradox, wenn die deutsche Exportwirtschaft gleichzeitig darauf baut, solche Länder niederzukonkurrieren. Wie kann man das eigene Modell zum Vorbild zu erklären, was dann logischerweise bedeuten würde, daß die anderen, wenn sie dieses Modell wirklich gut kopieren, den deutschen Interessen, die sich darin manifestieren, schaden?

LZ: Ja, das kommt mir auch absurd vor, aber wenn man es sich genauer anschaut, handelt es sich um eine Strategie zum Überleben der Eurozone Da muß man irgendwelche Vorschläge machen. Ich glaube tatsächlich, daß sich einige Politiker wirklich einbilden, sie könnten die Eurozone zu einem größeren Deutschland mit ähnlichen strukturellen Bedingungen machen, ideal für Exporteure von Waren in alle Welt mit großem Handelsbilanzüberschuß. Das ist natürlich völlig ausgeschlossen, das kann nicht sein, und logisch ist es, glaube ich, auch nicht.

SB: Aber es scheint doch so zu sein, daß die Bundesregierung mit der Durchsetzung der Fiskalunion nach ihren weitreichenden Maßgaben und anderen restriktiven Bedingungen wie dem Euro-Plus-Pakt und verschiedenen Formen der Kontrolle der Staatshaushalte ihr Modell der Schuldenbremse und Disziplinierung europaweit auf die anderen Staaten überträgt?

LZ: Ja, das sieht so aus. Andererseits hat sich die deutsche Regierung auch schon damals beim Maastricht-Vertrag und beim Stabilitäts- und Wachstumspakt durchgesetzt. Es ist aber nicht jedesmal das erreicht worden, was damit erreicht werden sollte. Und ich hoffe sehr, daß es auch in diesem Falle so sein wird. Ich bin sogar ziemlich zuversichtlich, daß es nicht klappen kann. Klar, sie setzen sich durch, aber man kann mit juristischen Maßnahmen nicht gegen ökonomische Fakten anstinken. Das geht nicht.

SB: Wie beurteilen Sie die Entwicklung einer letztlich doch starken Staatlichkeit auf EU-Ebene, die auch vom Kapital gewünscht ist?

LZ: Ich bin nicht ganz sicher, ob ich mit der Fragestellung einverstanden bin und das nicht lieber anders formulieren würde. Ich sehe keine riesengroße Staatlichkeit in der EU, vielmehr glaube ich, daß eine wirkliche Staatsmacht in der EU nicht zu finden ist. Natürlich wird zum Beispiel eine Bankenaufsicht als Koordinierungsgremium eingerichtet, die rechtlich so konstruiert ist, daß sie die Banken eigentlich bloß koordinieren soll. Aber in Wirklichkeit ist es so, daß die Bankenlobby selber direkten Zugriff auf dieses europäische Gremium hat und so ohne Rechtsanspruch gewisse Regeln durchsetzt. Wer sich nicht daran hält, hat schlechtere Bedingungen am Kapitalmarkt. Im Grunde ist es eine merkwürdige Mischung aus Marktmechanismen, ohne daß es zu einer wirklichen staatlichen Aufsicht kommt. Es findet da eine sonderbare Halbstaatlichkeit statt.

SB: Angeblich besteht ein wesentliches Ziel der EU-Politik darin, gesellschaftliche Kohäsion herzustellen und die soziale Unzufriedenheit in Grenzen zu halten. Wie kann das unter ökonomisch repressiven Bedingungen wie etwa der Schuldenbremse und der Entkopplung von Inflation und Arbeitslohn gelingen?

LZ: Ich glaube nicht, daß das gelingt. Der EU sind manche Sachen ganz gut gelungen. Der Boom in Spanien hat tatsächlich stattgefunden, und das hat zu einer sehr großen Beliebtheit der EU, auch als Vorbild für andere Länder in Europa, geführt. In Portugal, Italien und Griechenland galt die EU als fortschrittlich. Der Reichtum ist vorhanden, man kann dort auch arbeiten, aber diese Restriktionsmaßnahmen werden am Schluß eines der Elemente sein, weshalb die EU nicht besteht.

SB: Davon gehen Sie aus?

LZ: Ja, ich habe in meinen Ausführungen erst einmal über die Währungsunion gesprochen. Die EU selber wird natürlich kaum überleben können, wenn die Währungsunion tatsächlich platzt. Das ist die nächste Folge.

SB: Die griechische KKE hat auf die Androhung, Griechenland aus der Eurozone zu werfen, ihrerseits offensiv die Forderung aufgestellt, die EU zu verlassen. Halten Sie das für eine praktikable Kampfposition für eine Bevölkerung in einer solchen Krisensituation?

LZ: Realistisch gesehen bleibt Ihnen nichts anderes übrig. Wenn ich mich aus diesem Zwangsapparat der Währungsunion lösen will, muß ich das komplett machen und kann mich nicht auf das Gesetz des freien Kapitalverkehrs, das in der EU gilt, einlassen. Wenn ich Maßnahmen gegen Kapitalflucht oder sonstige Zwangsmaßahmen gegen das Kapital einführen will, kann ich mich nicht nach EU-Regeln richten. Das geht dann nicht mehr, und so bin ich gezwungen, die EU zu verlassen.

SB: Können Sie sich vorstellen, daß es jenseits der Position Kanzlerin Merkels, die den Euro mit der EU gleichsetzt, innerhalb der deutschen Politik oder der staatstragenden Eliten noch andere handlungsleitende Perspektiven gibt, in denen die Idee einer Wertegemeinschaft, die völlig vergessen scheint, noch eine gewisse Aussicht auf Verwirklichung hat?

LZ: Eine Wertegemeinschaft kenne ich nicht. Ich weiß gar nicht, was damit gemeint ist, und halte es, ehrlich gesagt, für ein Gerücht. Aber ich glaube sehr wohl, daß eine Gruppe deutscher Kapitalisten, die an gewissen Errungenschaften in der EU wie einen relativ freien Markt, die Vereinheitlichung der DIN-A-4-Seiten oder gemeinsame Einrichtungen festhalten wollen, sich sehr wohl überlegt, welche Strategie man unter diesen Umständen fahren soll. Aber das kann man auch ohne Währungsunion. Es gibt durchaus eine Strategie innerhalb der EU ohne Währungsunion, aber ob das die richtige ist und sich durchsetzt, weiß ich nicht.

SB: Letztes Jahr haben amerikanische Politiker bis hin zu Präsident Obama als auch der Finanzmagnat Soros die Bundesregierung aufgefordert, den deutschen Leistungsbilanzüberschuß zurückzufahren und bestimmte Reformen im ökonomischen Bereich anzuerkennen. Wie beurteilen Sie diese Einflußnahme? Steckt da eine bestimmte strategische Idee hinter?

LZ: Erst einmal bin ich der Meinung, daß sie in gewissem Sinne objektiv recht haben. Es wird den Ländern mit riesengroßen Überschüssen nichts anderes übrig bleiben, als diese langsam zu reduzieren, damit die anderen auch exportieren können. Die Interessenlage der Defizit-Länder ist ganz eindeutig, und sonderbarerweise ist das sogar in unserem Interesse. Natürlich wollen wir auch, daß sich der Binnenmarkt in Deutschland stärker entwickelt. Und wie macht man das am besten - indem man Löhne erhöht und dafür sorgt, daß die Leute mehr kaufen können. Zufällig trifft sich das in diesem Fall mit den Interessen der amerikanischen Kapitalisten.

SB: Meinen Sie nicht, daß es da geostrategische Überschneidungen gibt im Sinne von Hegemonialkämpfen, bei denen man sich auch wirtschaftspolitischer Mittel bedient?

LZ: Selbstverständlich, aber das ist auch umgekehrt der Fall. Schließlich werden die Amerikaner auch dafür gegeißelt, daß sie so fürchterlich auf Pump leben.

SB: Das ist auch das Ziel des Lissabon-Prozesses 2010 gewesen, konkurrenzfähig zu den USA zu werden.

LZ: Ja, und zu Japan natürlich auch.

SB: Sie sind Vorsitzender der Marx-Engels-Stiftung, arbeiten aber auch als Kolumnist für die Financial Times Deutschland.

LZ: Nicht mehr, mir wurde der Liefervertrag zum Januar gekündigt. Leider schreibe ich die Kolumme nicht mehr. Jetzt schreibe ich für die junge Welt.

SB: Wie sind Sie als Kommunist zur Financial Times Deutschland gekommen?

LZ: Die Financial Times Deutschland wurde 1999 von der Financial Times aus London gegründet. Sie wollten hier eine Konkurrenz zum Handelsblatt aufbauen. Das ist ihnen auch gelungen. Um das machen zu können, haben sie Journalisten eingekauft, die weniger dröge, lahm und dämlich als das Handelsblatt schreiben. Deswegen hat man auch ein paar Exoten miteingekauft, unter anderem war ich dabei. Nicht, daß sie gewußt hätten, daß ich Kommunist bin, das habe ich denen beim Einstellungsgespräch natürlich nicht gesagt, aber sie haben mich machen lassen, jedenfalls eine Weile lang.

SB: Herr Zeise, vielen Dank für das Gespräch.

9.‍ ‍Mai 2012