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AGRAR/1429: EU-Agrarpolitik muss Zukunftsfragen im Kern beantworten (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 336 - September 2010
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

EU-Agrarpolitik muss Zukunftsfragen im Kern beantworten
Wider die unwirksame und unheilvolle Ausgleichslogik


Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union steht vor der nächsten Reform. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) ruft dazu auf, dabei die Weichen so zu stellen, dass die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen von der Agrarpolitik selbst beantwortet werden. Bislang versucht die Europäische Union, die Schäden, die ihre bisherige Agrarpolitik durch die umfangreiche Förderung der Rationalisierung und Industrialisierung der Landwirtschaft verursacht, an anderen Stellen durch Kompensationsmaßnahmen auszugleichen. Das kann nicht klappen, und es funktioniert auch nicht. Die Konsequenz daraus muss sein, die Agrarpolitik in ihrem Kern so auszurichten, dass sie die Schäden erst gar nicht hervorruft.

Die grundsätzliche Frage lautet, auf welche Art und Weise wir Lebensmittel, Futtermittel und auch Energie in der Landwirtschaft erzeugen.

Für die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft ist die Erzeugung von Lebensmitteln dauerhaft untrennbar mit dem Anspruch verbunden, soziale Chancengerechtigkeit innerhalb der Landwirtschaft, Klimaschutz, Erhalt der Biologischen Vielfalt, Schutz der Umwelt und internationale Entwicklungsverträglichkeit zu gewährleisten. Soweit all das mit Landwirtschaft zu tun hat, können und wollen wir das nicht Anderen aufbürden. Das ist unsere Verantwortung, der wir uns als Bäuerinnen und Bauern selbstbewusst stellen und auf die wir auch die Agrarpolitik verpflichten. Letztlich geht es bei all dem um unsere Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen.

Dieser Anspruch ist in der Europäischen Union weitgehend unbestritten, doch wollen viele die Konsequenzen daraus in eine ferne Zukunft verschieben, wenn überhaupt. Oder sie versuchen, die Herausforderungen so groß zu zeichnen, dass sie nicht mehr von der Agrarpolitik lösbar, sondern nunmehr Aufgabe der ganzen Gesellschaft seien: Die ureigene Verantwortlichkeit der Agrarpolitik soll auf andere Politikbereiche verlagert werden: auf die Umweltpolitik, Entwicklungspolitik oder Sozialpolitik. Auch regional wird versucht, Problem und Lösung zu entkoppeln. Zum Beispiel wird versucht, den Schutz der Biologischen Vielfalt aus den Bördelandschaften und Veredlungsregionen auszulagern und den wirtschaftlich ohnehin schon benachteiligten Gebieten aufzutragen.

Das Ziel bei all dem ist klar: Die Profiteure der bisherigen Agrar-Entwicklung sollen geschützt werden. Das stellt die Verantwortung bewusst auf den Kopf. Es ist Ausdruck einer Ausgleichslogik, die Schäden nicht vermeidet, sondern an anderer Stelle auszugleichen versucht. Doch diese Versuche des Ausgleichs können nur scheitern:

- Ökologische Risiken, die z.B. durch eine weitere regionale und betriebliche Konzentration der Tierhaltung eingegangen werden, können nicht durch eine flächengebundene Tierhaltung in anderen Regionen ausgeglichen werden.

- Der Verlust der biologischen Vielfalt in der Magdeburger Börde kann nicht durch Naturschutz im Schwarzwald kompensiert werden.

- Auch der Tierschutz ist unteilbar. Von dem Beispiel der Weidehaltung auf den Almen haben die Milchkühe in 1.000-Kuh-Anlagen mit ganzjähriger Stallhaltung erst etwas, wenn sie selbst auch auf die Weide kommen.

- Eine Region, die wirtschaftliche Wertschöpfung durch das Aufgeben von Betrieben in Landwirtschaft und Ernährungshandwerk verliert, hat nichts davon, wenn an einem anderen Standort die Ernährungsindustrie Kapazitäten zusammenführt und dort mit einem örtlichen Zuwachs an Arbeitsplätzen wirbt.

- Die steigende Abhängigkeit vom Mineralöl als Folge einer weiteren Industrialisierung in der Landwirtschaft lässt sich nicht durch nachwachsende Rohstoffe mindern, weil die wirksame Bekämpfung des Hungers von mittlerweile einer Milliarde Menschen absolute Priorität haben muss: "Volle Teller und volle Tanks für alle", das ist eine Illusion.

Die fatale Ausgleichslogik ist für die EU-Agrarpolitik zu einem konstituierenden Element geworden. Sie suggeriert seit Jahrzehnten keine sind und die nur das Scheinlösungen, die eben Ziel haben, die Industrialisierung und Ölabhängigkeit der europäischen Land- und Ernährungswirtschaft möglichst ungehindert voranzutreiben.

Es kommt darauf an, die aktuellen Weichenstellungen der, Gemeinsamen Agrarpolitik der EU so zu setzen, dass die Ausgleichslogik überwunden wird. Die Agrarpolitik muss ihre Verantwortung in ihrem Kern selbst aktiv wahrnehmen. Dieser Richtungswechsel muss klar erkennbar werden: hin zu einer integrierten Agrarpolitik.

An diesem Maßstab, Schäden erst gar nicht entstehen zu lassen, sind alle Maßnahmen der Agrarpolitik auszurichten, auch die Zahlungen. Weder können die finanziellen Mittel eine faire und zukunftsfähige Ausgestaltung der Marktregeln ersetzen, noch ist die 2. Säule (Ländliche Entwicklung) der GAP in der Lage, die Schäden auszubessern, die durch eine fehlende Qualifizierung der 1. Säule wissentlich hervorgerufen werden. Eine von Einigen propagierte Kürzung bzw. Streichung der 1. Säule entbindet nicht von der Notwendigkeit der Qualifizierung bzw. Staffelung der verbleibenden Zahlungen. Und eine starke Umverteilung (Modulation) in die 2. Säule entbindet nicht von der Notwendigkeit, insbesondere die dort angelagerte einzelbetriebliche Förderung konsequent zu qualifizieren.


Aus dem Rückblick lernen

Das zu Beginn der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft aufgebaute System der Intervention mit politisch festgesetzten Aufkaufpreisen für bestimmte Produkte schien alle Bauern gleich zu behandeln. Tatsächlich aber bevorzugte schon dieses System die rationalisierten, größeren Einheiten, denn die Preise wurden jeweils auf einem Niveau festgelegt, mit dem nur diese Betriebe noch gerade zurechtkamen, das aber eine bäuerliche Erzeugungsweise eben nicht abgesichert hat. Es profitierten somit jene Betriebe von dem Interventions-System, deren Wachstumsschritte auch bei der einzelbetrieblichen Investitionsförderung des Staates gezielt gefördert wurden.

Bäuerliche Betriebe wurden durch das System nicht gesichert, sondern aus der Erzeugung gedrängt. Die Produktionskapazitäten verlagerten und konzentrierten sich, so dass schließlich nur 20 Prozent der Betriebe zusammen 80 Prozent der Produktion übernahmen. Das bedeutete, dass auch die europäischen Gelder für das Interventionssystem umgerechnet zu 80 Prozent an nur 20 Prozent der Betriebe gingen. Mit der Zerstörung Hunderttausender Betriebe und Millionen von Arbeitsplätzen in der europäischen Landwirtschaft drohten auch ganze Regionen, vor allem die als ökologisch besonders wertvoll beschriebenen, aber landwirtschaftlich schwierigen Gebiete, aus der Erzeugung auszusteigen und brachzufallen. Das Programm der EU zur Stützung benachteiligter Regionen war die Kompensationsantwort auf diesen Zerstörungsprozess, um ein Mindestmaß an ökologischer Stabilität zu erreichen. Die EU-Kommission formulierte, dass mit dem finanziellen Ausgleich eine substanzielle Zahl von Landwirten zur Offenhaltung dieser Gebiete bereitgestellt werden sollte.

Bei den weiter sinkenden Preisen für ihre Erzeugnisse mussten die Bauern hier aber faktisch irgendwann Eintritt zahlen, wenn sie in den Kuhstall gingen, weil der Milchpreis ihre Kosten nicht mehr deckte. Wenn aber die Kosten einer Erzeugung von den Preisen nicht gedeckt werden, wird die Erzeugung früher oder später ganz eingestellt. Der Versuch der ökologischen Stabilisierung läuft ins Leere - in diesen Gebieten selbst, und überregional ist es ohnehin absurd, die Verarmung der Kulturlandschaft im Pariser Becken durch Maßnahmen etwa in den Ardennen oder den Pyrenäen aufwiegen zu wollen.

Ebenso wenig konnten die Ausgleichszulagen für benachteiligte Gebiete die wachsende Überproduktion bei wichtigen Erzeugnissen in den ökonomischen "Gunstlagen" bremsen. Die Anreize aus der Kombination von einzelbetrieblicher Investitionsförderung und staatlichen Aufkaufprogrammen zielten zu sehr auf eine Ausdehnung bestimmter Produktionen.

Bei der Milch wurde 1984 die Milchquote eingeführt. Das setzte zwar die Gesamtproduktion unter einen Deckel, aber die Umsetzung mit einer Härtefallregelung, bei der diejenigen zusätzliche Quote bekamen, die besonders stark ins Mengen-Wachstum gegangen waren oder es zumindest angemeldet hatten, führte abermals zu einer Umverteilung und Konzentration der Produktionskapazitäten. Zudem wurde die Milchquote insgesamt jeweils so weit oberhalb des Bedarfs des Marktes angesetzt, dass die Preise sich auf einem für bäuerliche Betriebe zu niedrigen Niveau einpendelten. Man hätte die Quote zum Schutz der bäuerlichen, auf Grünland basierten Milchviehhaltung ausgestalten können. Tatsächlich aber hat die Form der Quotenregelung dazu beigetragen, dass seit 1984 drei Viertel aller Milchviehbetriebe ausgestiegen sind. Diese Politik des Strukturwandels wird mit der aktuellen Milchpolitik und nun mit dem geplanten Quoten-Ausstieg brutal fortgesetzt.


Von Intervention zu Ausgleichs-Zahlungen

Beim Getreide ging die EU-Agrarpolitik 1992 mit der sogenannten MacSherry-Reform den Weg schlagartiger, radikaler Preissenkungen und verband das mit der Einführung direkter Ausgleichszahlungen. Diese Zahlungen wurden pro Hektar Getreidefläche gewährt, ohne jede betriebliche Obergrenze. Ihre Höhe pro Hektar richtete sich nach historischen regionalen Durchschnittserträgen. Silomais-Flächen wurden mit in die Zahlungen einbezogen, aber Grünland blieb vollkommen außen vor. All diese Vorgaben führten dazu, dass die Verteilung der Mittel, die vorher in die Getreide-Intervention gingen und dort schon zu 80 Prozent nur 20 Prozent der Betriebe erreichten, nun bei den Ausgleichszahlungen festgeschrieben wurde. Die Zahlungen waren an den nachgewiesenen Anbau bestimmter Früchte gebunden, was zur Flächenausdehnung der begünstigten Früchte führte - vor allem zum Umbruch von Grünlandflächen für den Anbau von Silomais. Die einseitige Förderung des Silomais und das Außenvorlassen des Grünlands bedeutete bei der Milch eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten des Grünlands von bis zu 5 Cent je Liter Milch über ein Jahrzehnt lang.

Im Rindfleischbereich erfolgten nach ähnlichem Muster ebenfalls Preissenkungen mit der Einführung direkter Ausgleichszahlungen je Tier. Immerhin wurde hier bei der Bullenprämie eine Obergrenze von maximal 90 prämienberechtigten Bullen je Betrieb und Jahr eingezogen (die Deutschland in Ostdeutschland außer Kraft setzte). Um die Grünlandnutzung in benachteiligten Gebieten der EU aufrechtzuerhalten, gab es für Mutterkühe eine gesonderte Prämie.

Diese kleine Übersicht belegt schon jetzt die ausgeprägte Kreativität bei der Schaffung von Ausgleichsmaßnahmen. Die betroffenen Betriebe haben die Zahlungen natürlich mitgenommen, aber der Mehrzahl wurde damit nicht auf Dauer geholfen.

Die Entkopplung der Zahlungen von der Produktion Die Fokussierung auf und Bindung der Zahlungen an bestimmte Produkte rief starke Kritik hervor, zum einen bei denjenigen, vor allem den Grünlandbauern, die in diesem System klar benachteiligt waren. Aber auch international - besonders in der Welthandelsorganisation (WTO) - wuchs die Kritik an ungestaffelten produktionsgebundenen Zahlungen, weil sie eine indirekte Form der Exportsubventionierung darstellten. Es wurde der Abbau dieser Zahlungen gefordert.

Das war in der EU-Agrarpolitik ein wesentlicher Motor für die Entkopplung der Ausgleichszahlungen von der Produktion, die mit den Reformbeschlüssen von 2003 (Mid-term Review) eingeleitete wurde. Die entkoppelten Zahlungen wurden nun gewährt unabhängig davon, welche Art der Erzeugung in den Betrieben stattfand, ja ob überhaupt noch Lebensmittel erzeugt wurden. Aber an der ungleichen Verteilung der Zahlungen auf die Betriebe und Regionen hat die Entkopplung zunächst nichts geändert.

Zur Umsetzung gab die EU den Mitgliedsstaaten zwei Wege vor: Entweder der einzelne Betrieb bekam die Summe an Zahlungen, die er im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2002 erhalten hatte. Das schrieb die alte Verteilung vollends fest. Oder die Mitglieds-Staaten konnten die Summe aller Zahlungsansprüche gleichmäßig auf alle prämienberechtigten Flächen verteilen und so zu (in Deutschland regional, d.h. in der Regel auf ein Bundesland bezogen) einheitlich hohen Zahlungen je Hektar landwirtschaftlicher Fläche kommen. In Deutschland gab es um den Weg große Diskussionen, weil die bisher größten Profiteure der Zahlungen um ihre Pfründe bangten. Ergebnis war dann eine Mischform aus zum Teil historisch abgeleiteten und zum Teil regional einheitlichen Zahlungsansprüchen, für Acker weit höher als für Grünland, und der Beschluss, diese Mischform in einer fast zehn Jahre dauernden Übergangsform bis zum Jahr 2013 vollständig in regional pro Hektar einheitlich hohe Zahlungsansprüche - dann für Acker- und Grünland gleich - münden zu lassen.

Im Jahr 2013 ist dann - in Deutschland die Ungleichbehandlung der unterschiedlichen Produkte bei der Zahlungshöhe (wie Grünland versus Silomais) aufgehoben, aber die unterschiedlichen Produktionskosten, die sich aus unterschiedlichen Rationalisierungsständen und -möglichkeiten ergeben, bleiben weiterhin unberücksichtigt. Die unterschiedliche Qualität in der Art und Weise der Erzeugung bleibt unberücksichtigt. Bäuerliche Produktionsweisen, die hohe Leistungen in den Bereichen Umweltschutz und Erhalt der Kulturlandschaft sowie im Tierschutz erbringen, bleiben weiterhin stark benachteiligt.

Am Beispiel aus der Praxis wird das besonders deutlich: Zwei gleich große Betriebe mit jeweils 2.000 Hektar erhalten bei rund 300 Euro je Hektar entkoppelter Direktzahlung beide 600.000 Euro im Jahr. Der eine Betrieb - ein rationalisierter Ackerbaubetrieb - wird von nur fünf Arbeitskräften bewirtschaftet, der andere Betrieb - mit vielfältigem Anbau, flächengebundener Tierhaltung und weiteren Wertschöpfungsbereichen - wirtschaftet mit 50 Arbeitskräften. Die Unterschiede in der Art des Wirtschaftens und dem Beitrag zur örtlichen Wertschöpfung haben auf die Höhe der Zahlungen keinen Einfluss, beide erhalten 600.000 Euro im Jahr, was aber im ersten Fall Direktzahlungen in Höhe von umgerechnet 120.000 Euro je Arbeitskraft und Jahr bedeutet und im zweiten Fall von 12.000 Euro je Arbeitskraft und Jahr: ein Zehntel davon.

Das Beispiel zeigt die Wettbewerbsverzerrung zu Lasten bäuerlich wirtschaftender Betriebe auf, die mit der Entkopplung nicht aufgehoben, sondern fortgeschrieben worden ist. Das geht nicht nur zu Lasten der bäuerlichen Betriebe hier, sondern wirkt auch im internationalen Handel im Falle der rationalisierten Betriebe als versteckte Exportsubventionen.

Die einzige Bindung der Zahlungen besteht heute darin, dass eine Reihe von gesetzlichen Standards eingehalten werden muss. Bei Gesetzesüberschreitungen werden auch Kürzungen bei den Prämien fällig. Diese Regelung wird häufig als eine wesentliche Rechtfertigung für die Zahlungen angeführt. Sie beinhaltet aber keinerlei qualitative Differenzierung der Zahlungen, im Gegenteil. Vielfältig wirtschaftende Betriebe, die mehrere Standards einhalten, erhalten nicht höhere Zahlungen als einseitig spezialisierte Betriebe, die nur von weniger gesetzlichen Bestimmungen betroffen sind. Die Erhaltung von Landschaftselementen z.B. bedeutet für diejenigen Aufwand und Kosten, die Hecken und Baumreihen in ihren Flächen haben, während die Vorschrift zum Erhalt den Betrieben in mittlerweile ausgeräumten Landschaften keinen Aufwand abverlangt.

Es kommt daher bei der anstehenden Reform darauf an, die Zahlungen nunmehr konsequent zu differenzieren (s.u.).


Die Zweite Säule der EU-Agrarpolitik

Neben den beschriebenen Maßnahmen der Ersten Säule der GAP hat die EU im Zuge der "Agenda 2000" (1999) eine Reihe von Ausgleichs-Maßnahmen zu einer Zweiten Säule zusammengefasst. Im Wesentlichen sind das zum einen Programme, die ökologische Schäden der rationalisierten und industrialisierten Wirtschaftsweisen ausgleichen sollen (Agrarumweltmaßnahmen), sowie die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete. Gleichzeitig wurde aber auch die Förderung der Rationalisierung der Produktion in die zweite Säule verlegt, die insbesondere über die einzelbetriebliche Investitionsförderung (Agrarinvestitionsförderung), die Flurbereinigung sowie die Strukturförderung im nachgelagerten Bereich (Erfassung, Be- und Verarbeitung) erfolgt. Nur ein kleiner Teil der Mittel ist für eine integrierte ländliche Entwicklung angesetzt.

Ursprünglich wurde die 2. Säule mit dem Anspruch entworfen, aus dem Ausgleichsgedanken heraus eine eigenständige und integrierte Entwicklung der ländlichen Regionen fördern und aufbauen zu können. Doch zeigt schon der Mix aus Rationalisierungs- und Ausgleichsmaßnahmen, dass es schwer war, diesen Anspruch mit Leben zu füllen. Mittelkürzungen ausschließlich in der zweiten Säule im Zeitraum 2007-2013 taten ihr Übriges; sie wurden in den Mitglieds-Staaten (und Bundesländern) vielfach bei den Agrarumweltmaßnahmen und Ausgleichszulagen weit stärker vollzogen als bei den Rationalisierungsmaßnahmen.

Die Einteilung der EU-Agrarpolitik in eine "schlechte" 1. und "gute" 2. Säule greift daher - zu kurz. Eine bloße Zusammenfassung der beiden Finanzlinien bringt ebenso wenig automatisch den notwendigen qualitativen Fortschritt wie die lineare Kürzung der Ersten Säule. In beiden Finanzlinien muss eine Qualifizierung erfolgen in dem Sinne, dass nicht die eine Maßnahme als Ausgleich einer anderen dienen soll, sondern Schäden hier wie da "systemimmanent" vermieden werden. Das bedeutet, dass die Erzeugung selbst so ausgerichtet werden muss, dass sie die notwendigen Anforderungen aus Klimaschutz, Umwelt- und Naturschutz, Tierschutz und ländlicher Wirtschaftsentwicklung aktiv aufgreift und integriert und nicht auf andere Gebiete, Sektoren oder Politikmaßnahmen abschiebt.

Es geht nicht zu viel Geld in die Landwirtschaft und die ländlichen Räume Europas, es geht weitgehend in die falschen Kanäle und wird dem Anspruch der Bevölkerung, die die Gelder bereitstellt, nicht gerecht. Eine Agrarpolitik, die mit öffentlichen Geldern die Schäden hervorruft, die sie mit weiteren finanziellen Maßnahmen auszugleichen versucht, geht auf Dauer auf Kosten aller: der Bauern, der Umwelt und der Steuerzahler. Sie bedient zwar kurzfristige Interessen Einiger, aber ist langfristig für die gesamte Gesellschaft untragbar und geht zu Lasten kommender Generationen.

Die Schlussfolgerung, die sich daraus zwingend ergibt, beschreibt auch der Weltagrarbericht: Eine Zukunft gibt es nur mit einer bäuerlich-ökologischen Landwirtschaft, denn nur so lässt sich eine Lebensmittelerzeugung erreichen, die auch in anderen Lebensbereichen soziale, ökologische und ökonomische Stabilität bringt.


Leitlinien für die anstehende Reform

1. Die Qualifizierung der staatlichen Agrargelder einleiten

Die EU-Kommission muss ihren Vorschlag zur Staffelung der Direktzahlungen von der letzten Reform wieder vorlegen: Beträge, die pro Betrieb und Jahr über 100.000 Euro lagen, sollten um 10 Prozent gekürzt werden, über 200.000 Euro um 25 Prozent und über 300.000 Euro um 45 Prozent. Das Geld sollte in den Mitgliedsstaaten verbleiben und für Maßnahmen der Zweiten Säule eingesetzt werden. Ergänzt werden muss diese Staffelung mit dem Vorschlag, den das Europäische Parlament übernommen hatte, nämlich den betroffenen Betrieben die Möglichkeit zu geben, auf Antrag ihre sozialversicherungspflichtigen Arbeitskosten zur Minderung der Abzüge in Ansatz zu bringen. Damit wird die Wettbewerbsverzerrung zu Lasten großer, aber arbeitsintensiv wirtschaftender Betriebe vermieden. Die AbL fordert nicht, dass der Staat die Lohnkosten der Betriebe übernimmt. Umso mehr gilt aber, dass kein Betrieb länger mehr Direktzahlungen bekommen soll, als seinen Arbeitskosten entspricht, während die bäuerlichen Betriebe nur einen Bruchteil davon erhalten.


2. Regionale Erzeugung und Vermarktung vor Weltmarkt-Orientierung

Europa ist schon jetzt Netto-Importgebiet für Nahrungs- und Futtermittel, gleichzeitig betreibt die EU mit direkten und indirekten Exportsubventionen Dumping auf Märkten auch in Entwicklungsländern. Es ist daher widersinnig, die europäische Landwirtschaft auf billige Weltmärkte auszurichten. Die lukrativsten Märkte liegen vor der Haustür. Die hohe Präferenz der europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher für gentechnikfreie Lebensmittel ist ein Beispiel dafür, dass mit einer Qualitätsstrategie die heimischen Märkte viel Potenzial bieten. Qualität definiert sich dabei nicht allein an dem Endprodukt, sondern insbesondere auch an der Art der Erzeugung, d.h. an der Prozessqualität.

Für viele Betriebe in der AbL ist die Ausrichtung auf höherpreisige, regionale Qualitätsmärkte gängige und erfolgreiche Praxis. Diese Marktstrategie hat weit mehr Betriebe in der Erzeugung gehalten als die Wachstumsstrategie. Bei der Gentechnik haben der klare Verbraucherwille zusammen mit der gentechnikfreien Praxis die Politik bislang zum Nachgeben gedrängt. Das ist Vorbild auch für andere Bereiche der Agrarpolitik. Das bedeutet, dass die Agrarmärkte Regeln benötigen, die sich an den qualitativen Anforderungen der Bevölkerung ausrichten müssen und die zweitens dafür Sorge tragen, dass für die verschiedenen Stufen von der Erzeugung (Bauern) über die Verarbeitung (Ernährungshandwerk und Industrie) bis zur Vermarktung (Handel) faire und ausgewogene Machtverhältnisse gelten. Die bisherige Position der Schwäche am Markt für die Bauern ist in eine gleichberechtigte Position der Stärke zu verwandeln. Dazu braucht es - neben aktiven Erzeugerzusammenschlüssen vor Ort - entsprechende Rahmenbedingungen.


3. Von der ölgesteuerten hin zur solargestützten Landwirtschaft

Die Landwirtschaft ist der Wirtschaftsbereich schlechthin, der Sonnenenergie nutzen und nutzbar machen kann. Tatsächlich aber ist die Landwirtschaft über Rationalisierung und Industrialisierung in eine erhebliche Ölabhängigkeit geraten, was eine Ursache ihrer heute negativen Klimabilanz ist. Es gilt daher, Wege aus dieser Abhängigkeit fossiler Energien zu entwickeln und zu gehen. Wir müssen weg von der ölgesteuerten und hin zu einer solargestützten Landwirtschaft.

Im Ackerbau bedeutet das, Leguminosen (Schmetterlingsblüher bzw. Eiweißpflanzen) in deutlichem Umfang in die Fruchtfolge zurückzuholen, um energieaufwändig hergestellte Mineraldünger zu ersetzen und den Humusgehalt und damit den Kohlenstoffspeicher des Bodens zu erhöhen. Das ist nicht zuletzt auch angezeigt, um den Flächenverbrauch der europäischen Landwirtschaft außerhalb Europas (insbesondere in Form der Soja-Futtermittel-Importe) zu verringern. Außerdem ist das Grünland, insbesondere das Weidegrünland, als maßgeblicher Humusspeicher zu erhalten, was nur über eine, wirtschaftliche Tierhaltung (v.a. Milch, Rindfleisch) möglich ist.


4. Artenvielfalt durch die Erzeugung erhalten

Die große Artenvielfalt der europäischen Kulturlandschaften - sowohl an wildlebenden Tier- und Pflanzenarten als auch an Nutztieren und Nutzpflanzen - hängt an der bäuerlichen landwirtschaftlichen Kultur. Deshalb kann sich der Schutz der biologischen Vielfalt nicht auf Naturschutzflächen beschränken, sondern muss - systemimmanent - auch durch eine entsprechende Wirtschaftsweise selbst erreicht werden. Das bedeutet für die Erzeugungsflächen vor allem, dass die Entwicklung hin zu Monokulturen umgekehrt und eine vielgliedrige Fruchtfolge erreicht werden muss. Der Erhalt des Grünlands ist ein weiterer notwendiger Schritt.


5. Artgerechte Tierhaltung als Schwerpunkt prozessorientierter Quatitätserzeugung

Es ist vor allem der hartnäckigen gesellschaftlichen Ablehnung der Käfighaltung von Hühnern zu verdanken, dass die Käfige heute auch wirtschaftlich ein Auslaufmodell sind. Notwendig dazu waren auch die Betriebe, die ihren Hennen Auslauf im Freien ließen und damit nicht nur für sich prozessorientierte Qualitätsmärkte erarbeitet haben, sondern die Käfighaltung fortwährend in Legitimationsnot brachten. Das von der AbL, dem Deutschen Tierschutzbund und dem BUND vor über zwanzig Jahren auf den Weg gebrachte Qualitäts-Fleischprogramm NEULAND für artgerechte Tierhaltung ist durch seine Prozessorientierung am Markt sehr erfolgreich und für die bäuerlichen Betriebe bis heute ein wichtiger Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilisierung. Tiergerechte Haltung in den einen Betrieben kann aber das Leid von Nutztieren in industriellen Massenanlagen nicht ausgleichen. Artgerechte Tierhaltung ist ein grundsätzlicher Anspruch.

Für die EU-Agrarpolitik ergibt sich daraus insbesondere, dass es für agrarindustrielle Massentierhaltungsanlagen keine öffentlichen Investitionshilfen mehr geben darf; Investitionshilfen sind auf bäuerliche, konsequent am Tierwohl ausgerichtete Betriebe zu beschränken. Ebenso sind die gesetzlichen Anforderungen an die Haltungsbedingungen der Nutztiere am Tierwohl auszurichten. Gentechnische Manipulationen und die Patentierung von Nutztieren und Zuchtverfahren sind zu verbieten.


Fazit

Die Vielzahl an Ausgleichsmaßnahmen, die die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union in den letzten 50 Jahren hervorgebracht hat, ist ein Beleg dafür, dass die Hauptausrichtung der Agrarpolitik Schäden hervorruft - sonst bräuchte es diese Ausgleichsversuche nicht. Doch die Ausgleichslogik ist gescheitert, das zeigten die immer wieder neuen Klimmzüge in Rechtfertigungspapieren und das zeigt sich vor allem in der landwirtschaftlichen und landschaftlichen Praxis selbst. Es kommt daher darauf an, die Ausgleichslogik zu überwinden und den notwendigen Richtungswechsel einzuleiten. Daran werden wir die Vorschläge der EU-Kommission für die anstehende Reform messen.


Zu beziehen ist das Positionspapier bei:

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E-mail: info@abl-ev.de


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 336 - September 2010, S. I-IV
(Sonderbeilage EU-Agrarreform)
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Februar 2011