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ARBEIT/128: 14 EU-Staaten erhöhen Mindestlöhne - Mindestlohnbericht der Hans-Böckler-Stiftung (idw)


Hans-Böckler-Stiftung - 03.03.2011

14 EU-Staaten erhöhen Mindestlöhne - doch oft nur geringer Zuwachs als Folge der Wirtschaftskrise

WSI Mindestlohnbericht in den WSI Mitteilungen


Von 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verfügen 20 über einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Zwölf davon haben die untere Lohngrenze zum Jahresbeginn 2011 angehoben, in zwei weiteren wurde der Mindestlohn im Herbst 2010 erhöht (siehe Infografik in Böckler Impuls 4/2011; Link unten). Gleichwohl stand die Mindestlohnentwicklung in vielen Ländern "nach wie vor unter dem Vorzeichen der Krise". Zu diesem Schluss kommt Dr. Thorsten Schulten, Tarifexperte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung. Die nominalen Erhöhungen fielen oft geringer aus als in den Vorjahren. Nach Abzug der Inflation waren die Zuwächse bestenfalls bescheiden, in einigen Ländern verloren die Mindestlöhne trotz Anhebung real an Wert. Das war beispielsweise in Frankreich, Belgien oder Großbritannien der Fall, wo die Mindestlöhne real um 0,1 bis 1,1 Prozent zurückgingen, zeigt Schulten im neuen WSI-Mindestlohnbericht, der in den WSI Mitteilungen erscheint. (*)

Einige Staaten, etwa Griechenland oder Tschechien, haben ihre Lohnminima eingefroren. Im schwer von der Krise betroffenen Irland wurde der Mindestlohn zum 1. Februar 2011 sogar gesenkt - ein Novum in der europäischen Mindestlohngeschichte. Es gab allerdings auch Ausnahmen vom Trend: Slowenien erhöhte seinen Mindestlohn um gut 25 Prozent, in Luxemburg, Polen, Ungarn, Lettland und Rumänien stiegen die Lohnminima um vier bis elf Prozent. Auch einige Länder außerhalb der EU hoben die Mindestlöhne spürbar an, etwa Australien, Kanada, Brasilien und die Türkei.

In den größeren westeuropäischen Euro-Ländern reicht die Spanne der untersten erlaubten Stundenlöhne nun von 7,65 Euro brutto in Irland (bis zum 31.1. 2011: 8,65 Euro) über 8,58 Euro in Belgien und 8,74 Euro in den Niederlanden bis zu neun Euro in Frankreich. Luxemburg hat mit 10,16 Euro den höchsten Mindestlohn in Europa. Der britische Mindestlohn beträgt umgerechnet 6,91 Euro. Allerdings ist dieser Wert stark von der anhaltenden Schwäche des Pfunds beeinflusst. "Ohne die Abwertungen seit 2007 würde der britische Mindeststundenlohn heute bei umgerechnet 8,67 Euro liegen", erklärt Schulten.

Die südeuropäischen EU-Staaten haben Lohnuntergrenzen zwischen 2,92 Euro in Portugal und 4,28 Euro in Griechenland. Etwas darüber liegt mit 4,32 Euro erstmals ein EU-Beitrittsstaat aus Osteuropa - Slowenien. In den übrigen mittel- und osteuropäischen Staaten sind die Mindestlöhne deutlich niedriger. Sie reichen von 0,71 Euro in Bulgarien bis 1,85 Euro in Polen. Allerdings haben die meisten dieser Länder über einen längeren Zeitraum aufgeholt, weil die Mindestlöhne dort schneller stiegen. Zudem spiegeln die Mindestlöhne zum Teil die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten wider, zeigt Schultens Untersuchung. Legt man Kaufkraftparitäten zugrunde, reduziert sich das Verhältnis zwischen dem niedrigsten und dem höchsten gesetzlichen Mindestlohn in der EU von 1:14 auf etwa 1:7.

Außerhalb der EU verfügen nach Daten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) rund 80 weitere Staaten über eine allgemeine Untergrenze für Löhne. "Das macht deutlich, dass gesetzliche Mindestlöhne weltweit zu den etablierten Instrumenten bei der Regulierung des Arbeitsmarktes gehören", schreibt Schulten. Exemplarisch betrachtet der WSI-Forscher die Mindestlöhne in acht Ländern, darunter die Vereinigten Staaten, Australien, die Türkei, Japan und Brasilien. Mit Ausnahme der USA wurden dort die Lohnuntergrenzen innerhalb des vergangenen Jahres angehoben. Sie reichen von umgerechnet 1,03 Euro in Brasilien über 6,28 Euro in Japan bis zu 10,40 Euro in Australien. Dieser hohe Euro-Wert beruht allerdings zum Teil auf der Stärke des Australischen Dollars.

Von Seiten der Wissenschaft haben Mindestlöhne kürzlich neue Unterstützung erhalten. Forscher der US-Universität Berkeley widerlegten in einer umfassenden, methodisch anspruchsvollen Studie die Befürchtung, Mindestlöhne würden sich negativ auf die Beschäftigung auswirken. Die Wissenschaftler um Professor Michael Reich kamen zu dem Ergebnis, dass Lohnuntergrenzen in den USA die Einkommen in Niedriglohnbranchen erhöht haben, ohne dass Jobs verloren gingen (Link zur Studie unten).

Trotzdem sei im Gefolge der Finanz- und Wirtschaftskrise der Druck auf Mindestlöhne gewachsen, so WSI-Forscher Schulten. Internationale Organisationen wie die OECD, der Internationale Währungsfonds oder die EU-Kommission nähmen verstärkt Einfluss auf die nationale Mindestlohnpolitik in vielen Ländern - mit dem Ziel, eine Erhöhung der Lohnminima zu bremsen oder zu stoppen. Offenbar nutzten diese Organisationen "die Gunst der Krise", um ihre traditionellen Wirtschaftskonzepte wieder auf die Tagesordnung zu setzen, schreibt der Wissenschaftler.

Die Internationale Arbeitsorganisation ILO verfolge hingegen eine alternative Politik. In ihrem jüngsten Global Wage Report hätten die Ökonomen der ILO einmal mehr positiv hervorgehoben, dass Mindestlöhne Lohnarmut und Lohnungleichheit reduzierten. Damit seien sie "eine wichtige Grundlage für ein alternatives, stärker lohngetriebenes Wachstumsmodell", analysiert Schulten.

(*) Thorsten Schulten:
WSI Mindestlohnbericht 2011 - Mindestlöhne unter Krisendruck
WSI Mitteilungen 3/2011:
http://www.boeckler.de/pdf/wsimit_2011_03_schulten.pdf

Grafik zum Download im Böckler Impuls 4/2011:
http://www.boeckler.de/32015_113430.html

Artikel im Böckler Impuls 1/2011 mit Link zur Berkeley-Studie:
http://www.boeckler.de/32014_111853.html

Zugang zur WSI-Mindestlohndatenbank:
http://www.boeckler.de/pdf/ta_mindestlohndatenbank.pdf

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution621


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Hans-Böckler-Stiftung, Rainer Jung, 03.03.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2011