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ARBEIT/174: Studie - Lohn- und Arbeitskosten, Deutschland in EU weiter auf Position acht (idw)


Hans-Böckler-Stiftung - 19.11.2015

Lohn- und Arbeitskosten: Deutschland in EU weiter auf Position acht - notwendige Anpassung nach oben noch nicht erreicht

Neue IMK-Studie


Deutschland rangiert bei den Lohn- und Arbeitskosten für die private Wirtschaft weiterhin im westeuropäischen Mittelfeld - Ende 2014 lag die Bundesrepublik wie im Vorjahr an achter Stelle unter den EU-Ländern. Mit nominal 1,8 Prozent lag der Zuwachs der deutschen Arbeitskosten 2014 nahe am sehr niedrigen Durchschnitt von EU (1,5 Prozent) und Euroraum (1,3 Prozent) und leistete damit nur einen geringen Beitrag dazu, die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa zu reduzieren, die sich erneut auch im hohen Überschuss der deutschen Leistungsbilanz 2014 abgebildet haben. Das zeigt der neue Arbeitskostenreport, den das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung heute auf einer Pressekonferenz in Berlin vorstellt.*


Im ersten Halbjahr 2015 war die Entwicklung der Arbeitskosten in Deutschland mit 3 Prozent deutlich stärker als zuvor. Auch war der Zuwachs, der unter anderem ein Resultat der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns sein dürfte, im deutschen Dienstleistungsbereich kräftiger als im verarbeitenden Gewerbe und merklich höher als im Mittel von EU (2,2 Prozent) und Euro-Raum (1,7 Prozent). Diese Entwicklung verbessert nach Analyse des IMK die Balance der deutschen Wirtschaft, da sie die Binnennachfrage stärkt, ohne die sehr hohe internationale Wettbewerbsfähigkeit merklich zu dämpfen. Ob damit nach den insgesamt sehr moderaten Zuwächsen der vergangenen anderthalb Jahrzehnte eine positive Trendwende eingeleitet sei, ist aus Sicht der Forscher aber noch offen.

Auch bei den für die internationale Wettbewerbsfähigkeit wichtigeren Lohnstückkosten weist Deutschland für den Zeitraum von 2000 bis 2015 weiterhin eine sehr moderate Tendenz auf. Trotz einer etwas stärkeren Steigerung in den vergangenen Jahren sind die deutschen Lohnstückkosten seit Beginn der Währungsunion deutlich schwächer gestiegen als in allen anderen Mitgliedsstaaten des Euroraums und schwächer, als mit dem Inflationsziel der EZB vereinbar. Die deutsche Lohnstückkostenentwicklung lag zuletzt laut IMK immer noch um kumuliert gut 12 Prozent unter dem Durchschnitt des Euroraums ohne Deutschland. "Die Entwicklung der deutschen Lohnstückkosten ist seit Euro-Einführung deutlich unterdurchschnittlich gewesen und in den letzten Jahren auch nicht durch entsprechend höhere Anstiege kompensiert worden", schreiben die Studienautoren Dr. Alexander Herzog-Stein, Prof. Dr. Heike Joebges, Prof. Dr. Torsten Niechoj, Dr. Ulrike Stein und Dr. Rudolf Zwiener. Insgesamt sei der Nachholbedarf bei der Stärkung der inländischen Nachfrage nach wie vor groß, "So haben sich die deutschen Exporte seit der Jahrtausendwende preisbereinigt mehr als verdoppelt, während der reale private Konsum, die wichtigste Komponente der Binnennachfrage, im gleichen Zeitraum gerade mal um rund zehn Prozent zunahm."

"Unsere aktuelle Situation zeigt sehr plastisch, wie falsch es ist, sich einseitig auf möglichst niedrige Arbeits- und Lohnstückkosten zu fixieren", sagt Prof. Dr. Gustav A. Horn, der wissenschaftliche Direktor des IMK. "Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem moderaten Aufschwung, der ganz wesentlich vom Konsum getragen wird. Steigende Löhne sind ein wichtiger Grund für die solide Binnennachfrage, steigende Arbeitskosten spiegeln das wider. Gleichzeitig behauptet sich der Exportsektor in einem schwierigen weltwirtschaftlichen Umfeld. Das deutsche Wirtschaftswachstum ist aktuell nachhaltiger als vor fünf oder zehn Jahren. Damals hätte uns beispielsweise der Wachstumsrückgang in China weitaus heftiger getroffen."


Arbeitskosten 2014: 31,90 Euro pro Stunde

Zu den Arbeitskosten zählen neben dem Bruttolohn die Arbeitgeberanteile an den Sozialbeiträgen, Aufwendungen für Aus- und Weiterbildung sowie als Arbeitskosten geltende Steuern. Die Forscherinnen und Forscher des IMK nutzen für ihre Studie die neuesten verfügbaren Zahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat.

2014 mussten deutsche Arbeitgeber in der Privatwirtschaft (Industrie und privater Dienstleistungsbereich) 31,90 Euro pro geleistete Arbeitsstunde aufwenden (siehe auch die Tabelle in der pdf-Version dieser PM; Link unten). Höher liegen die Arbeitskosten in sieben Ländern: In Dänemark, Belgien, Schweden, Luxemburg, Frankreich, den Niederlanden und Finnland müssen zwischen 42,10 und 33 Euro pro Stunde ausgegeben werden. Geringfügig niedriger als in Deutschland sind die Arbeitskosten in Österreich (31,60 Euro). Der Durchschnitt des Euroraums liegt bei 28,90 Euro. Etwas darunter folgen Irland, das 2014 Arbeitskosten von 28,40 Euro auswies, und Italien (27,30 Euro). In den übrigen südeuropäischen EU-Staaten betragen sie zwischen 21 Euro (Spanien) und 12,70 Euro (Portugal). Portugal liegt damit hinter dem EU-Beitrittsland Slowenien, wo 15,50 Euro aufgewendet werden müssen. In der Slowakei, der Tschechischen Republik, Polen und Ungarn betragen die Stundenwerte zwischen 10 und 7,90 Euro. Schlusslichter sind Rumänien und Bulgarien mit Arbeitskosten von 4,80 bzw. 3,80 Euro pro Stunde.

Die Zuwachsraten der Arbeitskosten wichen 2014 wie auch in den Vorjahren zum Teil deutlich von den Durchschnittswerten für EU (1,5 Prozent) und Euroraum (1,3 Prozent) ab. Bei Nicht-Euro-Ländern spielt auch die Wechselkurs-Entwicklung eine Rolle. Vergleichsweise hohe Zuwächse von 5 bis 6 Prozent verzeichneten die osteuropäischen Länder Estland, Rumänien, Bulgarien und die Slowakei. In Großbritannien stiegen die Arbeitskosten, gemessen in Euro, sogar um 7,1 Prozent an, was wesentlich auf einer Aufwertung des britischen Pfunds beruht. In der Gruppe der westeuropäischen "Hochlohnländer" wiesen Luxemburg und Österreich mit jeweils 3 Prozent den kräftigsten Anstieg auf. Der sehr niedrige Euroraum-Durchschnittswert wurde wesentlich beeinflusst von stagnierenden oder sogar sinkenden Arbeitskosten in Ländern wie Spanien, Italien, Irland, Griechenland oder Portugal und einem schwachen Anstieg in Frankreich. In Schweden sanken die Arbeitskosten wegen einer Abwertung der Krone in Euro gerechnet um 2,3 Prozent. In Landeswährung stiegen sie dagegen um 2,7 Prozent.


Differenz zwischen Industrie und Dienstleistungen weiter groß

Im Verarbeitenden Gewerbe betrugen 2014 die Arbeitskosten in Deutschland 37 Euro pro Arbeitsstunde. Im EU-Vergleich steht die Bundesrepublik damit wie im Vorjahr an vierter Stelle als Teil einer größeren Gruppe von Industrieländern, die deutlich über dem Euroraum-Durchschnitt von 31 Euro liegen. Dazu zählen auch Belgien mit industriellen Arbeitskosten von 43,20 Euro, Dänemark (41,60 Euro), Schweden (41,20 Euro) und Frankreich (36,40 Euro), Finnland (36 Euro), die Niederlande (34,60 Euro), und Österreich (34,40 Euro). Dabei ist nicht berücksichtigt, dass das Verarbeitende Gewerbe in der Bundesrepublik stärker als in jedem anderen EU-Land von günstigeren Vorleistungen aus dem Dienstleistungsbereich profitiert (siehe folgenden Abschnitt). 2014 stiegen die industriellen Arbeitskosten in Deutschland um 2,5 Prozent, nach 3,2 Prozent 2013. Im Durchschnitt von EU und Euroraum waren es 2,1 bzw. 1,9 Prozent im Jahr 2014. Im ersten Halbjahr 2015 blieb es in Deutschland bei einem Wachstum um 2,5 Prozent. Im Mittel von EU und Euroraum waren es 2,2 bzw. 1,7 Prozent.

Im privaten Dienstleistungssektor lagen die deutschen Arbeitskosten 2014 mit 29,10 Euro weiterhin an neunter Stelle nach den nordischen EU-Staaten, den Benelux-Ländern, Frankreich und Österreich. Den höchsten Wert wies Dänemark mit 42,70 Euro aus, der Durchschnitt im Euroraum beträgt 27,90 Euro. 2014 stiegen die Arbeitskosten im deutschen Dienstleistungssektor um 1,7 Prozent, nachdem sie 2013 faktisch stagniert hatten. Damit lag der Zuwachs 2014 etwas über dem geringen Durchschnitt in EU (1,4 Prozent) und Euroraum (1,2 Prozent). In der ersten Hälfte 2015 beschleunigte sich das Wachstum der Arbeitskosten im deutschen Dienstleistungssektor dann deutlich auf 3,1 Prozent. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Einführung des Mindestlohns eine Rolle spielte, weil dieser insbesondere in niedrig bezahlten Servicebranchen spürbare Einkommensverbesserungen gebracht hat. Wie groß dieser Effekt ist, lässt sich aber derzeit noch nicht beziffern. In der EU lag die durchschnittliche Steigerungsrate im 1. Halbjahr 2015 bei 2,2 Prozent, im Euroraum bei 1,7 Prozent.


Industrie kann Vorleistungen günstiger einkaufen

Falls sich die stärkere Entwicklung der Arbeitskosten im Dienstleistungsbereich auch im Gesamtjahr fortsetzen sollte, würde der Rückstand gegenüber dem Verarbeitenden Gewerbe etwas reduziert, er bliebe aber weiterhin größer als in jedem anderen EU-Land. Er betrug Ende 2014 mehr als 21 Prozent oder 7,9 Euro pro Stunde. Vom vergleichsweise niedrigen Arbeitskostenniveau in den deutschen Dienstleistungsbranchen profitiert auch die Industrie, die dort Vorleistungen nachfragt. Dadurch entsteht eine Kosteneinsparung für die Industrie von rund zehn Prozent. Während der Dienstleistungssektor die Industrie hierzulande entlaste, sei es insbesondere in den mittel- und osteuropäischen EU-Ländern umgekehrt, so die Forscher.


Lohnstückkosten: Jährlich 1,0 % Zunahme von 2000 bis 2014

Die Lohnstückkosten, welche die Arbeitskosten in Relation zur Produktivitätsentwicklung setzen, sind in Deutschland zwischen 2000 und 2014 um lediglich 1,0 Prozent im Jahresmittel gestiegen - und damit deutlich langsamer als im Euroraum insgesamt (+1,7 Prozent). Zwischen 2000 und 2008 stagnierten sie sogar.

Für 2014 beobachten die Forscher bei den Lohnstückkosten der deutschen Privatwirtschaft einen Anstieg um 1,9 Prozent, im Euroraum-Durchschnitt waren es sehr niedrige 1,2 Prozent. Im ersten Halbjahr 2015 sind die Lohnstückkosten in Deutschland gegenüber dem Vorjahreszeitraum ebenfalls um 1,9 Prozent gestiegen, im Mittel des Euroraums um schwache 0,9 Prozent. Auch wenn sich der über Jahre aufgelaufene Abstand zwischen Deutschland und seinen Euro-Partnern etwas verringere, "besteht weiterhin gegenüber dem Euroraum-Durchschnitt ein deutlicher Vorteil bei der preislichen Wettbewerbsfähigkeit", konstatieren die Forscher. Das gelte auch, wenn man nur die Lohnstückkosten der Industrie betrachte.


Weitere Informationen unter:
http://www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_109_2015.pdf
- (*) Alexander Herzog-Stein, Heike Joebges, Torsten Niechoj, Ulrike Stein, Rudolf Zwiener: Nur moderater Anstieg der deutschen Arbeitskosten. Arbeits- und Lohnstückkostenentwicklung 2014 und 1. Halbjahr 2015 im europäischen Vergleich. IMK Report Nr. 109, November 2015.

http://www.boeckler.de/pdf/pm_imk_2015_11_19.pdf
- Die PM mit Tabellen-Anhang (pdf)

https://youtu.be/BrASH2Qdg5E
- Videostatement von Dr. Ulrike Stein

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution621

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Hans-Böckler-Stiftung, Rainer Jung, 19.11.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2015

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