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AUSSENHANDEL/171: Zum geplanten Freihandelsabkommen mit Indien (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 103, 1/08

Wettbewerbsfähigkeit sichern?
Eine kritische Betrachtung des geplanten Freihandelsabkommens zwischen der EU und Indien

Von Christa Wichterich


"Die indische Mittelklasse hungert nach aufregenden Essens- und Trinkerlebnissen", behauptet die EU-Agrar-Kommissarin Mariann Fischer Boel. Diesen Hungrigen will das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien, das bis Ende 2008 unter Dach und Fach sein soll, helfen. Die EU will unter anderem Wein, Whisky, Olivenöl und 40 Fischsorten nach Indien exportieren, wenn die Zölle fallen. Doch wem nutzen die neuen bilateralen Freihandelsabkommen?


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Seit die Doha-Entwicklungsrunde der Welthandelsorganisation in einer Sackgasse steckt, will die EU mit bilateralen Freihandelsabkommen den Vormarsch europäischer Unternehmen gegen den Hauptkonkurrenten USA auf dem Weltmarkt ankurbeln. Die mächtige Wirtschaftslobby in Brüssel macht Druck, damit die neuen Verträge auch in Bereiche vorstoßen - wie Dienstleistungen, Investitionsschutz und öffentliche Beschaffung -, wo die Länder des Südens bisher eine Marktöffnung ablehnten.

Indien, mit einer Wachstumsrate von neun Prozent, einem großen Konsumentinnenmarkt und bislang hohen Zöllen und Handelsschranken, steht ganz oben auf der Liste des Begehrens der EU nach Marktzugang. "Groß in Europa, groß in der Welt", hat der EU-Handelskommissar als Parole für EU-Konzerne ausgegeben. "Wettbewerbsfähigkeit sichern", heißt die Devise.


Ungleiche Partnerschaft

Indien will - dem chinesischen Modell folgend - mit mehr Exportorientierung zu einer "globalen Schaltstelle für Produktion, Handel und Dienstleistungen" werden. 500 Sonderwirtschaftszonen sollen Investoren anlocken und Millionen Jobs schaffen, für arbeitsintensive Exportproduktion und Lebensmittelverarbeitung, für IT- und Software-Parks und für kapitalintensive Industrien wie die Autoherstellung. Außerdem soll die EU eine Blue-Card einführen, damit Indien IT-Fachkräfte exportieren kann.

Bei dem handelspolitischen Schulterschluss der "zwei Verbündeten auf der Weltbühne" fallen jedoch große ökonomische Ungleichheiten und Asymmetrien auf. Auch wenn sich Indien bereits "auf dem Weg zur Weltmacht" fühlt, müssen 80% der Bevölkerung mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen. Im UNDP-Index zur menschlichen Entwicklung rangiert Indien auf Platz 128. Indiens Bruttoinlandsprodukt beläuft sich auf nur 7% des EU-Bruttoinlandsprodukts. Es handelt sich also um höchst ungleiche Partner, für die der Handelspakt gleiche Regeln für Import, Export, Produktstandards und Investitionen festlegen soll. Erste Wirkungsstudien zeigen, dass auch die Gewinne aus dem Freihandel keineswegs gleich verteilt sein werden: Indien muss stärker öffnen, weil seine Zölle jetzt höher sind als die der EU, und große Einbußen im Staatshaushalt wegstecken. Die EU wird ihre Exporte nach Indien um 57% steigern, Indien umgekehrt bestenfalls um 19% und dies vor allem in der Textilindustrie.


Handel versus Entwicklung

Jahrzehntelang hat die EU Indien durch Entwicklungsprogramme - von Bildung bis zur Infrastruktur - mit dem Oberziel der Armutsbekämpfung finanziell unterstützt. Gender-Mainstreaming und Geschlechtergerechtigkeit galten dabei als eine Priorität. Generationen von Frauen-Empowerment-Projekten zielten auf "einkommenschaffende Maßnahmen", unterstützt durch Mikrokredite. Die Frauen, die jetzt als kleine Produzentinnen oder Straßenhändlerinnen ein Einkommen erwerben, werden bei der Marktöffnung durch den Großhandel und Billigimporte auskonkurriert. Die Öffnung des Handelssektors, ein Kernanliegen der EU, ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich die EU-Handelspolitik in einen Widerspruch zur eigenen Entwicklungspolitik begibt.


Gefährdung der Existenz

Nicht weit von Mumbai demonstrierten kürzlich 10.000 Klein- und GroßhändlerInnen dagegen, dass der deutsche Handelskonzern Metro eine Kette von Großmärkten in Indien aufbaut. Auch die Zulieferung von Agrarprodukten und den Gütertransport will Metro selbst organisieren. Das bedeutet, sie strukturiert ganze einheimische Wertschöpfungsketten und Vermarktungswege um und marginalisiert dabei die lokalen HändlerInnen. Auch die Fischer und Fischverkäuferinnen im südindischen Kerala fürchten angesichts der Fisch-Exportpläne der EU um ihre Existenz und den Fortbestand der traditionellen Kleinfischerei. Sie fordern, Fisch auf die Liste jener Produkte - 10% von 5.000 Produkten - zu setzen, die von den 90% Zollsenkungen ausgenommen werden.

An vielen Orten, wo die Regierung Land für Sonderwirtschaftszonen beschafft und damit den Bauern und Bäuerinnen ihre Existenzgrundlage förmlich unter den Füßen wegzieht, leistet die lokale Bevölkerung Widerstand. Als Kompensation werden ihnen ein Stück Land und Industriejobs in Aussicht gestellt. Junge Frauen sollen vor allem im Textil- und IT-Sektor Beschäftigungschancen haben.

Im Unterschied zu anderen Billiglohnländern liegt jedoch bisher der Frauenanteil in den indischen Exportproduktionszonen mit etwa 35% recht niedrig. 93% der erwerbstätigen Inderinnen arbeiten im informellen Sektor, nur 17,5% aller Beschäftigten außerhalb der Landwirtschaft sind weiblich. Zwar nahm in indischen Städten die Erwerbstätigkeit von Frauen zu, doch die meisten sind Hausangestellte oder Textilarbeiterinnen - zwei Sektoren, die für Niedriglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen bekannt sind. Nur 0,3% der beschäftigten Frauen arbeiten im vielgepriesenen IT-Sektor und 1,4% in Finanzdienstleistungen.


Geheime Verhandlungen

Der indische Handelsminister Kamal Nath scheint Arbeitsrechte für Handelshindernisse zu halten: Er beschwerte sich bei EU-Regierungen über AktivistInnen der 'Kampagne für Saubere Kleidung', die Arbeitsrechtsverletzungen bei einem indischen Jeanshersteller öffentlich gemacht hatten. Nath besteht darauf, dass Menschenrechte, Arbeits- und Umweltstandards im Freihandelsabkommen nichts zu suchen haben. Die EU beabsichtigt dagegen, ein Kapitel zu "nachhaltiger Entwicklung" mit sozialen und Umweltstandards einzubringen.

Paradoxerweise finden alle Verhandlungen zwischen den "beiden größten Demokratien der Welt" hinter verschlossenen Türen statt. Während die Privatwirtschaft viele Lobbymöglichkeiten eingeräumt bekommt, dringen kaum Informationen an die indische und die europäische Öffentlichkeit. Zivilgesellschaftliche Organisationen in Indien, VertreterInnen des informellen Sektors, Bauernverbände und Frauennetzwerke erfahren nichts über die Verhandlungen und können ihre Interessen nicht einbringen.

Viele wissenschaftliche Studien warnen, dass eine Handelsliberalisierung in der Landwirtschaft, dem Finanzsektor, der geistigen Eigentumsrechte vor allem im Saatgut- und Pharmabereich und der Ausbeutung von Bodenschätzen dem Ziel der Armutsbekämpfung zuwiderlaufen. Und dass die beabsichtigte Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen den Zugang der Armen zu Bildung, Gesundheit, Wasser- und Energieversorgung einmal mehr erschweren wird. Kurzum: Marktöffnung schafft neue Armut.


Christa Wichterich ist Autorin und Beraterin in der Entwicklungspolitik. Sie ist aktives Mitglied von WIDE (Women in Development Europe), Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Globalisierung, Frauenbewegung, Ökologie und Frauenarbeit. Sie lebt in Bonn.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 103, 1/2008, S. 26-27
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2008