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AUSSENHANDEL/189: Interview zum EU-Indien-Freihandelsabkommen (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 109, 3/09

Fortsetzung eines armutsbringenden Systems
Interview mit Shefali Sharma und Ranja Sengupta zum EU-Indien-Freihandelsabkommen


Von rund einer Milliarde Menschen, die in Indien leben, müssen laut asiatischer Entwicklungsbank etwa 73% mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen. Nun befürchten Akteurinnen der indischen Zivilgesellschaft, dass durch das von der EU seit 2007 angestrebte Freihandelsabkommen mit Indien die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander getrieben wird. Helga Neumayer von der Frauensolidarität interviewte zwei Aktivistinnen des indischen Forum on Free Trade Agreements (FTAs)(1), eines landesweiten Netzwerks zu Freihandelsabkommen, nämlich die Soziologin Shefali Sharma (ShSh) und die Genderforscherin Ranja Sengupta (RS).(2)


FRAUENSOLIDARITÄT: Warum ist es wichtig über das EU-Indien Freihandelsabkommen zu reden?

SHEFALI SHARMA: Wissen über dieses Freihandelsabkommen ist sowohl in Europa als auch in Indien sehr begrenzt. Nicht nur in der Zivilgesellschaft, sondern auch unter den ParlamentarierInnen. Nur Industriellenvereinigungen und staatliche BeraterInnen wissen davon. Das kommt daher, dass die Verhandlungen im Geheimen gemacht werden und konkrete Informationen nur selten nach außen dringen. Es gibt aber Gruppen, Individuen oder Organisationen, die die Handelspolitik verfolgen und Informationen untereinander austauschen.

RANJA SENGUPTA: Auch unter den indischen Frauenorganisationen gibt es über die Auswirkungen des Freihandelsabkommens kein großes Bewusstsein. Es wird in der Öffentlichkeit nicht genug diskutiert und es wurde definitiv noch kein öffentliches Bewusstsein geschaffen. Es bedarf noch viel Arbeit und wir müssen mehr Druck auf unsere Regierung erzeugen, weil auch sie ein Freihandelsabkommen will, von dem aber nur wenige Sektoren profitieren werden. Der landwirtschaftliche Sektor wird beispielsweise sehr negativ davon betroffen sein.

FRAUENSOLIDARITÄT: Warum ist Indien an diesem Abkommen interessiert?

SHEFALI SHARMA: Indien ist vor allem an einem Mobilitätsabkommen interessiert. Die EU soll ihre Einreise-Restriktionen entschärfen, damit ausgebildete Fachkräfte in einem europäischen Land arbeiten und somit Geld verdienen können. Weiters ist Indien an einer Harmonisierung der Bestimmungen über Investitionen und Dienstleistungen innerhalb der EU interessiert, damit es nicht mit 27 verschiedenen Ländern Verhandlungen führen muss.

FRAUENSOLIDARITÄT: Hat dieses Abkommen Auswirkungen auf Frauen?

SHEFALI SHARMA: Ich würde sagen, dass es dabei durchaus genderspezifische Folgen gibt. Der landwirtschaftliche Sektor - wo ein Großteil der indischen Frauen beschäftigt ist - muss beispielsweise mit einem stetigen Niedergang rechnen. Die Männer ziehen in die Städte, um anderwärtig ihr Geld zu verdienen. Frauen bleiben als Landarbeiterinnen am Land zurück. Landwirtschaftliche Arbeiterinnen sind die niedrigst bezahlten in Indien. Aus diesem Grund existiert hier auf jeden Fall ein Genderaspekt und es muss mehr Bewusstsein dafür geschaffen werden.

RANJA SENGUPTA: Verglichen mit vielen anderen Sektoren ist der Anteil von Frauen in der Landwirtschaft sehr groß. Das bedeutet für Frauen, dass diese Arbeit zusätzlich zu der, die sie unbezahlt machen - Haushalt, Kinder und Familie betreuen -, hinzukommt. Ein weiteres Problem ist, dass Frauen in Indien einen geringen Zugang zu Bildung haben. Die Bildung der ländlichen Bevölkerung ist im Allgemeinen schon sehr gering und die der ländlichen Frauen ist speziell niedrig, wodurch Frauen wenig alternative Beschäftigungsmöglichkeiten bleiben. Das führt zu einer Feminisierung der Landwirtschaft und zu einer steigenden Feminisierung von Armut am Land. Ob das ein prinzipielles Problem ist oder mit dem Freihandelsabkommen verstärkt wird, bleibt ein umstrittenes Thema. Es gibt jedenfalls nichts, dass die EU daran hindert, den indischen landwirtschaftlichen Markt mit subventionierten Agrarprodukten zu überhäufen, was vor allem KleinbäuerInnen trifft. Wenn der Lebensunterhalt von kleinen und marginalisierten BäuerInnen gefährdet ist, dann ist die Beschäftigung der Frauen bedroht. Nicht nur ihre Einkommensfähigkeit, sondern auch der Nahrungshaushalt. Denn ländliche und marginale KleinbäuerInnen in Indien produzieren grundsätzlich auch Nahrung für den eigenen Bedarf. Sie haben vielleicht etwas Überschuss, um es auf dem Markt zu verkaufen, aber es ist auch ihre eigene Nahrung. Werden sie vom Markt vernichtet, weil Leute billigeres Essen, das in der EU produziert wurde, kaufen, dann wird es für sie sehr schwer sein zu überleben und ihren eigenen Nahrungsbedarf zu gewährleisten. Frauen haben schlussendlich die Verantwortung, Essen auf dem Tisch bereitzustellen. Diese Verantwortung der Nahrungssicherung ist den indischen Frauen auf die Schultern gelegt worden. Ich glaube aber, ihre Fähigkeit dies zu bewerkstelligen wird durch das Freihandelsabkommen ernsthaft bedroht sein.

FRAUENSOLIDARITÄT: Wie wird sich das Freihandelsabkommen auf die Armut in Indien allgemein auswirken?

SHEFALI SHARMA: Das Freihandelsabkommen wird von Regierungen und Interessengruppen vorangetrieben und die Armen haben keine Stimme. Die Menschen, die davon profitieren, sind jene, die Geld haben und das Kapital in die europäischen Märkte und vice versa exportieren. Das betrifft vor allem Finanzierungsdienstleistungen oder agrochemische und pharmazeutische Industrien. Die EigentümerInnen dieser Industrien sind jene Leute, die mit dem Freihandelsabkommen Marktvorteile bekommen werden. Die armen Leute, die ums Überleben kämpfen, werden viel verlieren. Wie schon die Auswirkungen der Finanzkrise zeigen, haben 700.000 Leute seit Dezember 2008 in Indien ihren Job - v.a. in den exportorientierten Kleidungs-, Leder- und Textilindustrien - verloren. Warum haben sie ihren Job verloren? Weil sie vorübergehende VertragsarbeiterInnen waren. Diese ArbeiterInnen hatten vor der Liberalisierung der genannten Sektoren ein angemessenes Anstellungsverhältnis. Indien hat in den letzten Jahren diese Sektoren liberalisiert, weil dies die WTO vorschrieb. Diese ArbeiterInnen sind VertragsarbeiterInnen geworden, ihre Jobs sind unsicher und die Arbeitsbedingungen schlecht. Die Exportabhängigkeit schafft mehr Verletzlichkeit sowie vermehrt schlechte Arbeitsbedingungen und schlechte Jobs.

FRAUENSOLIDARITÄT: Gibt es Alternativen?

RANJA SENGUPTA: Unsere Organisation Centre for Trade and Development (New Delhi) ist eine Alternative. Wir liefern Informationen über Kampagnen, die von anderen Organisationen geführt werden; wir haben eine eigene Interessenabteilung und beraten Individuen oder Organisationen über das EU-Indien-Abkommen. Wir arbeiten mit afrikanischen und asiatischen ÖkonomInnen und NGOs zusammen, weil Freihandelsabkommen nicht nur in Indien ein Problem darstellen, sondern mit vielen Ländern des Südens Verhandlungen geführt werden. Der Austausch von Informationen ist immer hilfreich und wichtig. Zurzeit arbeiten wir daran, die Zusammenhänge der geistigen Eigentumsrechte mit heimischen Bestimmungen zu beleuchten und publik zu machen. Denn gerade im Gesundheitssektor gibt es viele ethische Fragen, die durch das Freihandelsabkommen nicht mehr innerstaatlich diskutiert werden können. Damit würde der EU u.a. erlaubt, Verordnungen zu unserem Gesundheitswesen zu bestimmen. Wenn dies passiert, gibt es kein zurück für uns und wir können diese Vorschriften nicht mehr ändern.

SHEFALI SHARMA: Ich glaube, dass der jetzige Rahmen betrügerisch ist. Die momentane Finanzkrise zeigt uns, warum: Durch den Mangel an Regulationen ist ein großer Missbrauch von Macht für den Zweck von Profit in der Finanzindustrie möglich geworden. Nun wird immer mehr aufgedeckt und öffentliche Gelder werden dazu verwendet, dieselben Firmen wieder aufzubauen. Dies sind auch die Prinzipien hinter dem Freihandelsabkommen. Und wir wissen, dass das nicht funktioniert. Also wieso sollten wir den gleichen Rahmen für den Handel verwenden? Wir brauchen eine alternative Möglichkeit, die wir noch aufbauen müssen. Es gibt andere Modelle: Kauf lokal, mach lokale Geschäfte und denk über die Stärkung von längerfristigen heimischen Sektoren nach!


Anmerkungen:
(1) Forum on FTA: http://www.forumonftas.org
(2) Das Interview fand Ende April 2009 während des europaweiten NGO-Workshops "Free Trade Agreement between India and Europe" in Berlin statt.
In der Zwischenzeit ging die siebente Runde der Verhandlungen Mitte Juli in Brüssel zu Ende. Die EU brachte u.a. Import- und Exportmaßnahmen an die Tagesordnung. Indien beanstandete Artikel 18, der vorsieht, dass die FischerInnen eine Zulassung haben müssen, um exportieren zu können, denn die Bestimmungen sind mit der indischen Fischexportstruktur nicht kompatibel. Ob Indiens Forderungen gehört werden, bleibt ungewiss.


Hörtipp:
Unequal partners. Helga Neumayer interviewt Shefali Sharma und Ranja Sengupta zum geplanten EU-Indien-Freihandelsabkommen:
www.noso.at (Sendung vom 26. Mai 2009).

Übersetzung aus dem Englischen: Claudia Dal-Bianco


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 109, 3/2009, S. 14-15
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Senseng 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Oktober 2009