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AUSSENHANDEL/248: Keine Entwarnung bei CETA und TTIP (spw)


spw - Ausgabe 5/2014 - Heft 204
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Keine Entwarnung bei CETA und TTIP

von Folke große Deters



"In jedem Fall sind Investor-Staat-Schiedsverfahren und unklare Definitionen von Rechtsbegriffen wie 'Faire und Gerechte Behandlung oder Indirekte Enteignung' abzulehnen."

Mit diesen klaren Worten hat der SPD-Parteikonvent am 20. September in die Debatte zum transatlantischen Freihandelsabkommen mit den USA, "Transtatlantic Trade Investment Partnership, TTIP", und mit Kanada, "Comprehensive and Economic Trade Agreement, CETA" eingegriffen. Endgültig gewonnen ist damit aber noch nichts. Ein Problem: Anders als TTIP liegt das CETA-Abkommen bereits ausverhandelt vor und steht zur Ratifikation an. Und es enthält genau die Komponenten, die nach dem Beschluss des Parteikonvents "in jedem Fall" abzulehnen sind.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass sich Sigmar Gabriel im Bundestag zu CETA eher verhalten äußerte und lediglich versprach, er wolle "versuchen", Veränderungen zu erreichen. Diese lassen sich allerdings nur schwer realisieren, insbesondere wenn man - wie offenbar Sigmar Gabriel - nicht auch ein Scheitern des Vertrages in Kauf nehmen will. Es entspricht nicht den internationalen Gepflogenheiten, in einem so späten Stadium noch Kernpunkte eines Vertrages in Frage zu stellen. Zudem sieht die Union keinen Anlass, sich für Neuverhandlungen einzusetzen. Daher wiegelt das Bundeswirtschaftsministerium ab. Man sei zwar gegen Schiedsgerichte, die Bestimmungen des CETA-Abkommens seien aber harmlos. Zitiert wird aus einem eigens beauftragten Gutachten,(1) nach dem Investoren aus Kanada durch das Abkommen nicht besser gestellt würden als deutsche Unternehmen. Für den Handlungsspielraum des deutschen Gesetzgebers, so soll suggeriert werden, ändere sich also nichts.

Was Vertragsinhalt ist, weiß man immer erst hinterher

Die oben zitierte Einschätzung vernachlässigt jedoch einen wesentlichen Aspekt: Was Inhalt des Vertrages ist, weiß man immer erst nach der Entscheidung der Schiedsgerichte. Die Behauptung, der Investitionsschutz bliebe hinter den Anforderungen des deutschen Rechts und des Unionsrechts zurück, bleibt eine bloße Vermutung. Natürlich räumt das auch der Gutachter des Bundeswirtschaftsministeriums ein, der ausführt, dass "verlässliche Anhaltspunkte" fehlten, "wie die Vorschriften in der Schiedspraxis in Zukunft tatsächlich ausgelegt und angewendet werden." Die "Gefahr" einer "Haftungserweiterung durch rechtsfortbildende Auslegung der investitionsschutzrechtlichen Standards" sei "nicht zu vernachlässigen, haben Investor-Staats-Schiedsgerichte doch in der Vergangenheit maßgeblich zur Ausformung und Fortentwicklung des Investitionsrechts beigetragen und sind deswegen in die Kritik geraten."

In der Diskussion zu den transatlantischen Freihandelsgesprächen taucht vielfach die Vorstellung auf, man könne unerwünschte Ergebnisse durch geeignete Klauseln und textliche Festlegungen vermeiden. Das ist nicht komplett falsch, jedoch wird die Steuerungsfähigkeit bzw. Vorhersehbarkeit rechtlicher Entscheidungen maßlos überschätzt. Das verdeutlicht die Auslegung des Tatbestandmerkmales der "Maßnahme gleicher Wirkung einer mengenmäßigen Einfuhroder Ausfuhrbeschränkung" (heute Art 34, 35 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV) durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der Gerichtshof las hieraus ein Verbot für den deutschen Gesetzgeber, das deutsche Reinheitsgebot für Bier verbindlich vorzuschreiben.

Verstärkt wird die Gefahr einer solchen Entwicklung, wenn sehr unbestimmte Rechtsbegriffe wie "gerechte und billige Behandlung" oder "indirekte Enteignung" ausgelegt werden müssen. Beide finden sich im CETA-Text. Hier bleibt einem Spruchkörper nichts anderes übrig, als diesen unkonkreten Begriffen durch die eigene Spruchpraxis Konturen zu verleihen. Beispiele aus der Schiedsgerichtsrechtsprechung für eine "indirekte Enteignung" sind etwa "Entzug bzw. Nichtverlängerung von Betriebsgenehmigungen für unternehmerische Tätigkeit", "übermäßige Besteuerung" oder "unverhältnismäßige Maßnahmen des Umweltschutzes". Die Beispiele veranschaulichen, dass aufgrund dieser Vorschrift jede regulierende Maßnahme des Staates zum Gegenstand von Investor-Staat-Streitigkeiten gemacht werden kann. Ab wann ist eine Steuer "übermäßig" oder Umweltschutz "unverhältnismäßig"? Es hängt alles von der Entscheidung durch das Schiedsgericht ab.

Natürlich kann an dieser Stelle eingewendet werden, dass es auch im nationalen Recht solche unbestimmten Rechtsbegriffe gibt. Das ist richtig, aber aus demokratischer Sicht viel weniger problematisch. Hier kann ein demokratisch legitimierter Gesetzgeber einer Auslegung, die seiner Absicht zuwiderläuft, durch eine klarstellende Änderung des Gesetzes begegnen. Dies ist bei einem internationalen Vertrag nur schwer möglich, da einer Vertragsänderung immer alle Parteien zustimmen müssen. Eine Kündigung des Vertrages ist zwar möglich. Abgesehen davon, dass eine solche politisch und rechtlich schwer durchzusetzen wäre (Vertragspartner ist die EU!), gilt für den Fall einer Kündigung eine Nachwirkungsfrist von 20 Jahren zum Schutz solcher Investitionen, die vor der Kündigung getätigt worden sind.

Als Beleg für die geringe Gefahr der Schiedsgerichte wird in dem Gutachten des Bundeswirtschaftsministers darauf verwiesen, dass die Macht der Schiedsgerichte bei CETA im Vergleich zu anderen Abkommen beschränkt sei. Tatsächlich können Komitees, die von den Vertragsparteien besetzt sind, den Schiedsgerichten verbindliche Auslegungen einzelner Tatbestandsmerkmale vorgeben. Dies ändert jedoch an der kritischen Einschätzung nichts. Denn erstens ist es unwahrscheinlich, dass eine Vertragspartei einem "ihrer" Investoren bei einem Schiedsgerichtsverfahren in den Rücken fällt. Zweitens kann der Vertrag durch solche Vorgaben genau so gut einschränkend wie erweiternd ausgelegt werden. Vertragspartner sind die EU und Kanada, so dass solche Komitees von europäischer Seite wohl in erster Linie mit freihandelsfreundlichen Kommissionsbeamten besetzt würden. Die Gefahr ist also real, dass der Investorenschutz dann verschärft wird, wenn die Öffentlichkeit nach Abschluss des Vertrages nicht mehr so genau hinschaut.

Es geht um Demokratie

Tragisch ist, dass manche Sozialdemokraten bei der Debatte um die transatlantischen Freihandelsabkommen im Hintergrund immer noch die Klänge der "Internationale" hören. Dabei geht es bei den Abkommen nicht um internationale Solidarität. Die übergroße Mehrheit der Kritiker der Abkommen sind weder bornierte Nationalisten noch Antiamerikaner oder fundamentalistische Freihandelsgegner. Vielmehr geht es ihnen um den Schutz der Demokratie.

Investorenschutz und Schiedsgerichte befördern das, was der englische Politologe Colin Crouch als "Postdemokratie" bezeichnet. Parlamente werden zwar regulär gewählt, aber sie haben immer weniger zu sagen. Politik verkommt so zu einem Schauspiel, weil die Bürgerinnen und Bürger den Eindruck haben, dass sich durch ihre Wahlentscheidungen ohnehin nichts ändert. Denn schließlich kann sich ein Unternehmen gegen "unverhältnismäßige" Entscheidungen zu Lasten des Investors vor einem Schiedsgericht wehren. Alleine die Drohung mit einer Klage kann die Forderung etwa nach einer gerechten Verteilung des Erwirtschafteten oder Umweltschutz zum Verstummen bringen. Strukturell sind klassisch sozialdemokratische Forderungen nach Eingriffen in das Marktgeschehen unter einem Schiedsgerichts-Regime benachteiligt, sie stehen unter Rechtfertigungszwang. Geschützt sind schließlich Gewinnerwartungen aus Investitionen, nicht aber das Vertrauen eines Bürgers oder einer Bürgerin in einen Arbeitsplatz mit angemessener Bezahlung, die Hoffnung auf sozialen Schutz oder das Vertrauen auf eine intakte Umwelt. Wo können diese Bürgerinnen und Bürger eigentlich klagen, wenn ihre legitimen Erwartungen durch einen Investor enttäuscht wurden?

Die oben beschriebene Ausgangslage zu CETA kann uns mehrerlei lehren. Erstens muss der Druck auch nach dem - in weiten Teilen - positiv zu bewertenden Parteikonventsbeschluss aufrechterhalten werden. Trotz der schwierigen Ausgangslage ist zu verlangen, dass SPD-VertreterInnen auf allen Ebenen das Abkommen CETA nur passieren lassen, wenn die Kriterien des Parteikonvent-Beschlusses vollständig erfüllt sind und die Sondergerichte komplett entfallen. Sie dürfen sich dabei weder mit beschwichtigenden Protokollerklärungen noch mit wohlklingenden Phrasen in der Präambel zufrieden geben.

Zweitens zeigt die Situation von CETA, dass die Formulierung von "roten Linien" nach Beginn der Verhandlungen nicht praktikabel ist. Deshalb bleibt entgegen dem Parteikonventsbeschluss die Forderung richtig, die TTIP-Verhandlungen abzubrechen. Diese dürfen erst auf Basis eines Mandates wieder beginnen, das vor Beginn der Verhandlungen (!) öffentlich diskutiert wurde und das vor allem klar benennt, welchen Rahmen die europäischen Volksvertreter ihren Unterhändlern stecken. Das ist nicht zuletzt ein Gebot der Fairness gegenüber unseren Verhandlungspartnern. Es ist ein Ärgernis, wenn in mühevoller Kleinarbeit um einen Text gerungen wird und dem Vertragspartner dann erst nach Abschluss der Verhandlungen einfällt, dass er bestimmte Kernpunkte des Vertrages doch nicht mittragen will. Nur durch eine vorherige öffentliche Diskussion kann das Risiko abgemildert werden, dass eine Regierung oder eine EU-Kommission an den Vorstellungen der Parlamente und der Zivilgesellschaft vorbei verhandelt.

Klar muss sein: Die immense Bedeutung internationaler Verträge rechtfertigt nicht länger, sie im Stil des 19. Jahrhunderts als domaine reservé der Exekutive zu behandeln. Das gilt insbesondere dann, wenn die Verhandlungen von der nach wie vor schwach demokratisch legitimierten EU-Kommission geführt werden. Es ist überfällig, auch auf diesem Feld mehr Demokratie zu wagen.


Folke große Deters ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen NRW sowie stellvertretender Vorsitzender der SPD Rhein-Sieg.


Anmerkung

(1) Dr. Stephan Schill LLM., "Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu den Investor-Staat-Schiedsverfahren im Entwurf des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers, abzurufen unter:
http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/C-D/ceta-gutachten-investitionsschutz,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 5/2014, Heft 204, Seite 4-6
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2014


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