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AUSSENHANDEL/251: TiSA - "Freunde der Dienstleistungen" (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2014
REGulIEREN - ABER WIE?
Vom Sinn und Unsinn der (De-)Regulierung

"Freunde der Dienstleistungen"
Das Handelsabkommen TiSA

Von Markus Henn



Die Krise der Welthandelsorganisation (WTO) belebt nicht nur bilaterale Verhandlungen über Handelsabkommen, wie die der EU mit den USA oder Kanada. Sondern es verhandeln auch 23 WTO-Mitglieder schon seit 2012 über ein Abkommen zu Dienstleistungen (Trade in Services Agreement, TiSA). Die Beteiligten nennen sich selbst die "wirklich guten Freunde der Dienstleistungen" und wollen diese liberalisieren - stärker als im Allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services, GATS) der WTO. Und übergehen dabei negative Erfahrungen.


Laut Plan der EU, einer der Verhandlungsparteien, soll das neue Abkommen später in die Welthandelsorganisation integriert werden. Dafür sollen ihm genügend WTO-Mitglieder beitreten. Auch stünden die Verhandlungen allen Mitgliedern offen. Allerdings haben sich bereits mehrere WTO-Mitglieder ablehnend geäußert, darunter Brasilien und Indien. Und China wird der Zutritt verwehrt, weil sich Japan und die USA sträuben. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass der Plan der EU funktionieren kann. Eher wird mit TiSA die Welthandelsorganisation völlig umgangen - und damit auch die Widerstände, die dort gegen bestimmte Liberalisierungen bestehen. Mit TiSA schaffen die beteiligten Staaten Fakten, die später von den nicht beteiligten Staaten, somit praktisch allen Entwicklungsländern, kaum ignoriert werden können.

Zudem sind die Ziele der Verhandlungen widersprüchlich: Zwar soll das neue Abkommen nah genug am WTO-Recht bleiben, um integriert werden zu können - gleichzeitig soll es jedoch klar davon abweichen, sonst müsste ja gar nicht verhandelt werden. Bezeichnend ist dabei, welche Abweichungen als verhandelbar gelten und welche nicht: Als die EU-Kommission vor einigen Monaten den EU-Staaten intern berichtete, dass Nichtregierungsorganisationen den Einbezug von Menschenrechten, nachhaltiger Entwicklung oder zumindest der OECD-Investitionsleitlinien forderten, wurde dies verworfen. Solche Aspekte würden im WTO-Kontext auch nicht behandelt werden.

Die Verhandlungen über TiSA laufen im Wesentlichen im Geheimen ab. Aber die EU hat im Juni diesen Jahres auf Druck von Mitgliedstaaten Dokumente ins Netz gestellt, unter anderem einen Entwurf des Abkommens. Zudem sickerten verschiedene Dokumente durch. Dadurch kann man sich ein gewisses Bild von den Verhandlungen machen.

Bekanntes im TiSA-Entwurf

Im Entwurf für TiSA wird, wie zu erwarten, viel vom Wortlaut des GATS übernommen. Das gilt zunächst für die üblichen Grundpfeiler solcher Abkommen. So gibt es vor allem die Inländerbehandlung, also die Gleichbehandlung von ausländischen und inländischen Anbietern. Und es gibt den Marktzugang, es darf also keine Einschränkung der Märkte geben, zum Beispiel keine Vorgaben zur Zahl der Anbieter und Dienstleistungen, keine Sonderrechte für einzelne Anbieter und schon gar keine Monopole. Ebenfalls aus dem GATS übernommen werden einige Bestimmungen, wann von der Regel des freien Wettbewerbs abgewichen werden darf. Das betrifft zum Beispiel nationale Sicherheitsinteressen oder den Gesundheitsschutz.

Wer verhandelt?
Australien, Chile, Costa Rica, EU, Hongkong, Island, Israel, Japan, Kanada, Kolumbien, Liechtenstein, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Pakistan, Panama, Paraguay, Peru, Südkorea, Schweiz, Taiwan, Türkei, USA


Nicht neu gegenüber dem GATS - doch genauso falsch wie dort - ist eine sogenannte Stillstandsklausel. Diese schreibt das bei Vertragsabschluss bestehende Liberalisierungsniveau fest. Dahinter darf später nicht zurückgegangen werden. Es ist auch nicht zu erwarten, dass TiSA einen Rechtsschutz über das GATS hinaus enthalten wird, denn dann wäre es kaum mehr in die WTO zu integrieren. Es werden wohl nur - wie bei der WTO - Klagen eines Staates gegen einen anderen zugelassen, aber keine von Investoren, wie sie gerade im EU-Kanada-Abkommen beschlossen wurden. Doch auch Staat-Staat-Klagen können sinnvolle staatliche Maßnahmen bedrohen.

Über GATS hinaus

Wie weit sich TiSA momentan vom GATS unterscheidet und vor allem am Ende unterscheiden wird, ist schwer zu sagen. Denn zum einen enthalten die Entwürfe noch große Lücken, zum anderen weiß man nicht, wer sich mit seinen Vorschlägen durchsetzen wird. Doch schon jetzt zeichnen sich einige Punkte klar ab.

In jedem Handelsabkommen muss festgelegt werden, auf welche Sektoren sich Regeln wie die Inländerbehandlung beziehen und wo Ausnahmen bestehen. Das GATS hat dazu sogenannte Positivlisten, in denen ein Staat alle Sektoren auflisten muss, die liberalisiert werden. Der Rest bleibt geschützt. TiSA will diesen Ansatz zwar für den Marktzugang übernehmen. Aber für die Inländerbehandlung soll stattdessen mit einer Negativliste gearbeitet werden. Dabei werden im Prinzip alle Sektoren liberalisiert; die Liste enthält nur noch die von der Liberalisierung ausgenommenen Sektoren. Über die erwähnte Stillstandsklausel hinaus soll es außerdem eine Sperrklausel geben, mit der Liberalisierungsschritte nach Vertragsabschluss nicht mehr rückgängig gemacht werden dürfen. Durch Negativliste und Sperrklausel wird der Liberalisierungsdruck verstärkt.

Mehrere sektorübergreifende, vermeintliche Handelshemmnisse sollen behandelt werden. Dazu zählen innerstaatliche Regelungen wie technische Normen, Zulassungs- oder Qualifikationserfordernisse. In diesem Rahmen könnte zum Beispiel der Umweltschutz infrage gestellt werden, falls er nicht wiederum von einer der Ausnahmen geschützt ist. Diskutiert werden auch temporäre Aufenthalte von Fachpersonal und Exportsubventionen.

Schließlich werden in Einzelsektoren besondere Liberalisierungsfortschritte angestrebt, nämlich: internationale Seefahrt, Telekommunikation, elektronischer Geschäftsverkehr, Finanzdienstleistungen, Luft-/Straßenverkehr, freiberufliche Dienstleistungen sowie Post- und Kurierdienste. Von diesen Sektoren werden im Folgenden beispielhaft die Finanzdienstleistungen betrachtet.

Liberalisierung von Finanzdienstleistungen

Die Entwürfe sehen den Abbau von Beschränkungen bei gewerblichen Niederlassungen, grenzüberschreitenden Leistungen sowie der vorübergehenden Einreise von Fachpersonal vor. Die Staaten sollen sich außerdem verpflichten, bestehende Monopole abzubauen oder sie zu reduzieren. Eine solche Bestimmung findet sich bislang nur im WTO-Übereinkommen zu Finanzdienstleistungen, das nicht alle WTO-Mitglieder unterzeichnet haben, aber nicht im GATS.

Das Anbieten von neuen Finanzdienstleistungen soll erleichtert werden. Die EU will sogar wie im WTO-Übereinkommen vorschreiben, dass prinzipiell jede neue Finanzdienstleistung angeboten werden darf; Zulassungsverfahren und Rechtsformvorschriften sollen möglich bleiben. Der Vorschlag der USA ist demgegenüber viel vorsichtiger. Er verlangt nur die Gleichbehandlung von ausländischen und inländischen Anbietern bei neuen Leistungen. So sieht es im Übrigen auch das EU-Kanada-Abkommen vor, was wohl eher auf Kanada als die EU zurückgeht.

Der radikalste Artikel zu Finanzdienstleistungen hat den Titel "Nichtdiskriminierende Maßnahmen". Hier geht es nicht um Schutz vor Diskriminierung, sondern staatliche Maßnahmen werden weit darüber hinaus disqualifiziert. Es gibt unter anderem ein allgemeines Gebot, Markthindernisse zu beseitigen, und das gilt selbst für Maßnahmen, die mit TiSA konform sind. Noch weiter geht ein Verbot, den bestehenden Grad an Marktmöglichkeiten und schon genossene Vorteile für Unternehmen einzuschränken. Aufsichtsmaßnahmen sollen zwar zum Schutz des Finanzsystems sowie von Investoren und anderen gestattet sein. Die Regel, die auch so im GATS steht, ist aber eng formuliert, sprich regulierungsfeindlich. Deshalb wurde sie sogar im EU-Kanada-Abkommen erweitert.

Ein großer Streitpunkt wird wohl der Datenschutz. Die EU will eine Beschränkung des Informationsflusses innerhalb eines Finanzinstituts zulassen, wenn es um persönliche Daten geht. Demgegenüber wollen die USA keine Beschränkung zulassen und zum Beispiel Gesetze untersagen, die eine Speicherung von Daten in einem bestimmten Territorium vorschreiben.

Öffentliche Dienste

TiSA könnte wegen seiner Liberalisierungsorientierung eine negative Wirkung auf öffentliche Dienstleistungen haben. Allerdings hängt viel von den Details insbesondere der Negativ- und Positivlisten ab. Die EU schlägt eine weitgehende Schutzregel für einige Sektoren wie die Wasserversorgung - nicht aber die -entsorgung - oder öffentlich finanzierte Gesundheitsdienste vor. Sie will auch bestimmte öffentliche Dienste allgemein vom freien Marktzugang ausnehmen. Dazu zählen Umweltdienstleistungen oder öffentlicher Transport. Allerdings bezieht sich diese Ausnahme nur auf Teile des Markzugangs und sie unterschlägt wichtige Sektoren wie Energie oder Telekommunikation. Außerdem ist unklar, ob die anderen Beteiligten den EU-Vorschlag akzeptieren.

TiSA steht für weitere Liberalisierung, obwohl deren Schwächen in vielen betroffenen Wirtschaftssektoren deutlich geworden sind. Das gilt allen voran bei Finanzmärkten, aber auch bei vielen anderen wie der Energieversorgung. Zudem war die Finanzkrise möglich durch die bestehende Liberalisierung durchs Welthandelsrecht. Davon abzurücken, wäre geboten. TiSA aber geht den umgekehrten Weg.


Autor Markus Henn ist Referent für Finanzmärkte bei der Organisation WEED - Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung in Berlin.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2014, Seite 12-13
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2014


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