Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2015
Ökosystem Boden
Die dünne Haut der Erde
Recht auf Informationen vs. Recht auf Geheimnisse
Der Weg wird geebnet für Geschäftsgeheimnisse in TTIP
Von Sophie Bloemen
Die Notwendigkeit zu mehr Transparenz im Pharmabereich steht im Gegensatz zur derzeitigen Praxis der produzierenden Unternehmen. Wenn eine Krankheit ausbricht und sich rasant verbreitet, sind Menschen auf eine effiziente Versorgung angewiesen. Doch meist wissen sowohl BürgerInnen wie auch Gesundheitseinrichtungen sehr wenig über die Zusammensetzung und den Wirkungsgrad der verfügbaren Medikamente. Nötige Daten werden unter Verschluss gehalten. Die anstehende EU-Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen könnte die vorherrschende Situation nun weiter verschärfen.
Grosse Angst herrschte 2009 weltweit vor N1H1, der
Schweinegrippe. Die Ausbreitung der Grippe führte zu Panik und Angst,
am heftigsten in Mexiko, wo die Hauptstadt, Mexiko City, für mehrere
Wochen praktisch stillgelegt wurde. Die Grippe wurde schnell von der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Pandemie erklärt und Regierungen
horteten für Milliarden von Euro den antiviralen Wirkstoff Tamiflu,
der von der Firma Roche produziert wurde. Später stellte sich
allerdings heraus, dass Tamiflu in seiner Wirksamkeit ungefähr mit
Aspirin zu vergleichen ist - es verringerte weder die Anzahl der
Krankenhausaufenthalte noch der Komplikationen.(1) Zum gegebenen
Zeitpunkt waren weder die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), die
das Medikament genehmigte, noch die WHO, die es empfahl, in der Lage
gewesen, das gesamte Datenmaterial einzusehen, um die Wirksamkeit
Tamiflus einschätzen zu können. Wären den Aufsichtsbehörden,
unabhängigen ForscherInnen und der Gesellschaft alle Daten zugänglich
gewesen, wäre das Ergebnis sehr wahrscheinlich ein anderes gewesen.
Millionen aus den begrenzten Gesundheitsetats vieler Länder wären
nicht für ein Medikament, das kaum Wirkung zeigte, in den Kassen von
Roche gelandet.
Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie wichtig Transparenz in Bezug auf alle klinischen Versuchsdaten ist, wenn ein medizinisches Produkt auf den Markt kommt. Andere Beispiele betreffen Medikamente, die sich als nicht sicher erwiesen, wie etwa Vioxx, das in den USA zu schätzungsweise 100.000 Herzinfarkten führte. Als Argument für begrenzte Transparenz bei medizinischen Versuchsdaten wurde lange "commercial confidentiality"(2) angebracht. Dies hielt die EMA davon ab, alle Daten offenzulegen, die von den Firmen übermittelt wurden, wenn sie für ihr Produkt die Marktzulassung einholten. Erst vor Kurzem, nach starkem öffentlichen Druck, haben die EU und EMA einen Kurswechsel hin zu mehr Transparenz vollzogen. Damit haben sie endlich Maßnahmen unternommen, der öffentlichen Gesundheit den Vorrang einzuräumen gegenüber den Interessen von Unternehmen.(3)
In gleicher Weise wie bei medizinischen Behandlungen werden Entscheidungen über die Marktzulassung von Nahrungsmitteln auf Grundlage der Sicherheitsbewertung von Daten getroffen, die der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) von der Industrie bereitgestellt werden. Die Hersteller selbst führen toxikologische Studien durch, auf die sich die EFSA verlässt, wenn sie die Risiken einschätzt, die mit einem Produkt verbunden sind. Deswegen müssen die Daten, damit sie einer genauen öffentlichen Untersuchung unterzogen werden können, von den Firmen oder der EFSA offengelegt werden. Transparenz ist somit der Schlüssel zur Freigabe von Informationen über Substanzen, die die Umwelt schädigen könnten, wie etwa bestimmte Chemikalien.
Derzeit stellt ein EU-Richtlinienvorschlag zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen eine Gefahr für Datentransparenz im Sinne des öffentlichen Interesses dar.(4) Die Richtlinie könnte den kürzlich erreichten Gewinn an Transparenz umkehren und jeden weiteren Fortschritt verhindern. Sie strebt an, die verschiedenen Rechtsvorschriften in Europa einander anzugleichen, um die Informationen der Unternehmen zu schützen. In dem Vorschlag weist die Kommission besonders auf die Bedeutung von gemeinsamer und offener Innovation hin und behauptet dann, dass Geschäftsgeheimnisse - also das Gegenteil von Transparenz - diese Formen der Innovation weiter voranbringen würden.
Erstens enthält der momentane Entwurf eine zu weit gefasste Definition von Geschäftsgeheimnissen, die es erlaubt, fast alles innerhalb eines Unternehmens als solche zu deklarieren. In der Folge könnten Unternehmen im Gesundheits- oder Umweltsektor sowie solche im Bereich der Lebensmittelsicherheit die Einhaltung von Grundsätzen der Transparenz sogar dann ablehnen, wenn öffentliche Interessen auf dem Spiel stehen. Bezeichnenderweise argumentieren pharmazeutische Unternehmen, dass alle Punkte der klinischen Entwicklung als Geschäftsgeheimnisse betrachtet werden sollten.(5)
Zweitens bietet der Vorschlag der Richtlinie Unternehmen übermäßigen Schutz, sodass sie jeden verklagen könnten, der ihre sogenannten Geschäftsgeheimnisse "widerrechtlich erwirbt, nutzt oder offenlegt". Drittens bietet er unzureichende Absicherung dafür, dass EU-KonsumentInnen, JournalistInnen, sogenannte Whistle Blower, ForscherInnen und ArbeiterInnen verlässlichen Zugang zu wichtigen Daten haben, die für die Öffentlichkeit von Interesse sind. Dadurch gefährdet er die Redefreiheit und die Mobilität der ArbeitnehmerInnen, weil er rechtliche Unsicherheit dahingehend schafft, inwiefern Whistle Blower und JournalistInnen das Recht haben, Informationen von öffentlichem Interesse offenzulegen. Gleichzeitig beeinträchtigt er potentiell die berufliche Mobilität von ArbeitnehmerInnen.
Wie in vielen anderen derzeitigen politischen Prozessen steht auch hier TTIP bedrohlich im Hintergrund und souffliert. Da der politische Prozess hin zu einer Europäischen Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen zeitgleich mit den TTIP-Verhandlungen stattfindet, wird eine Aufnahme der Definition in das TTIP-Abkommen möglich sein. Das Verfassen der Richtlinie wird gerade schnell vorangebracht und die erste Abstimmung im Europäischen Parlament findet schon im April 2015 statt. Indem der Schutz von Geschäftsgeheimnissen in einem internationalen Handelsabkommen verankert wird, wird es fast unmöglich, ihn durch demokratische Prozesse wieder außer Kraft zu setzen. Seltsamerweise äußert sich die Europäische Kommission nur verhalten, wenn sie nach der Aufnahme von Geschäftsgeheimnissen in TTIP gefragt wird und spielt die Beziehung zwischen beiden herunter. Dennoch geht aus EU-Dokumenten deutlich hervor, dass der Angleichung des Umgangs mit Geschäftsgeheimnissen hohe Priorität eingeräumt wird, um Verhandlungsstandards zu ermöglichen.(6) Dies trägt zur Undurchsichtigkeit der TTIP-Verhandlungen in Bezug auf Inhalt und Beweggründe bei.
Der Entwurf der Richtlinie wird ausdrücklich unterstützt von multinationalen Unternehmen. Sie sind durch die Trade Secrets Coalition, einem internationalen Lobby-Zusammenschluss, wahrscheinlich ein treibender Faktor. Dementsprechend ist der EU-Richtlinienvorschlag kein Einzelfall, zwei Gesetzesvorlagen sind noch vor dem US-Kongress anhängig. Es soll ein weltweiter Maßstab gesetzt werden, der schlussendlich auch von Drittländern übernommen werden soll.
Es mag tatsächlich Vorteile haben, den Schutz der Geschäftsgeheimnisse und der "commercial confidentiality" zu vereinheitlichen. Allerdings sollte dies auf eine Weise geschehen, die der Öffentlichkeit zu Gute kommt und die Verwendung und Verbreitung von Informationen im Sinne des öffentlichen Interesses schützt, anstatt den öffentlichen Zugang zu Informationen, die im Besitz von Unternehmen sind, immer weiter einzuschränken.
Autorin Sophie Bloemen leitet das Commons Network.
Aus dem Englischen von Susanne Öhlmann.
(1) Zanamivir for influenza in adults and children: systematic review of clinical study reports and summary of regulatory comments. BMJ 2014;348:g2547Oseltamivir: the real world data BMJ 2014;348:g2371.
(2) Informationen, die nicht öffentlich zugänglich sind und deren Offenlegung den legitimen ökonomischen Interessen des Antragstellers zuwiderlaufen könnten.
(3) Siehe Health Action International:
haieurope.org/wp-content/uploads/2014/10/20141016_JointStatement_EMA_NewTransparencyPolicy_FINAL.pdf
(4) European Commission; Proposal for a Directive on the protection of
undisclosed know-how and business information (trade secrets) against
their unlawful acquisition, use and disclosure. COM(2013) 813 final.
November 28, 2013.
ec.europa.eu/internal_market/iprenforcement/docs/tradesecrets/131128_proposal_en.pdf
(5) Siehe die Presseerklärung der European Federation of
Pharmaceutical Industries, die betont, dass "fast jeder Aspekt des
Entwicklungsprozesses von Medikamenten die Herstellung und Anwendung
von erheblichen Mengen von technischen Informationen und Know-How mit
sich bringt. Das schließt die vorklinische Chemie, die Herstellung und
den Kontrollvorgang wie auch die Phase klinischer Tests mit ein.",
European Commission; Proposal for a Directive on the protection of
undisclosed know-how and business information (trade secrets) against
their unlawful acquisition, use and disclosure. COM(2013) 813 final.
November 28, 2013.
ec.europa.eu/internal_market/iprenforcement/docs/tradesecrets/131128_proposal_en.pdf
(6) Europäische Kommission 1.7.2014 COM(2014) 389.
Mehr Informationen:
Gemeinsame Stellungnahme von 15 zivilgesellschaftlichen Gruppen:
http://commonsnetwork.eu/wp-content/uploads/2014/12/Statement-EU-Trade-Secrets-Directive-Needs-Amendments.pdf
*
Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2015, S. 19-20
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2015
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang