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AUSSENHANDEL/302: Die Risiken des Freihandelsabkommens der EU mit Mercosur (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2018

Mit Bioökonomie die Welt retten?
Neue Geschäftsmodelle und alte Strukturen

Tausche Autos gegen Rindfleisch: Standards spielen keine Rolle
Die Risiken des Freihandelsabkommens der EU mit Mercosur

von Jürgen Knirsch


Die Europäische Kommission gefährdet mit dem geplanten Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur europäische Verbraucherschutzstandards beim Import von Fleisch. Das zeigen bislang geheime Verhandlungsdokumente, die im Dezember 2017 und im Januar 2018 geleakt wurden. Demnach ist die EU bereit, laxere Kontrollen der Lebensmittel und um bis zu 50 Prozent höhere Fleischimporte zu akzeptieren, wenn die Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay ihrerseits die Zölle für den Export von Autos und Autoteilen aus der EU absenken. Und nicht nur das, die Mercosur-Staaten sollen auch unsere Auto-Standards ungeprüft übernehmen. Die EU-Kommission drängt auf einen baldigen Abschluss des Abkommens, da Wahlen in Brasilien anstehen. Eventuell könnte im Oktober 2018 die derzeitige Regierung, die pro Freihandelsverträge ist, abgelöst werden. Doch beim EU-Mercosur-Abkommen geht es um mehr als nur den Warenaustausch. Um diesen zu ermöglichen, werden Absenkung von Standards, Menschenrechtsverletzungen, Landvertreibungen und Korruption hingenommen. Schließlich geht es um einen gegenseitigen Warenhandel von mehr als 80 Milliarden Euro, der deutlich höher als der im Falle des CETA-Abkommens zwischen Kanada und der EU ist.


Zwei weitere Wochen intensiver Handelsgespräche gingen in der paraguayischen Hauptstadt Asunción am 2. März 2018 zu Ende, ohne den Vorhang für die nie endende EU-Mercosur-Saga zu schließen. Denn bereits 1999 wurde das Mandat der EU für diese Verhandlungen erteilt, es blieb bis heute unter Verschluss. Die erste Verhandlungsrunde fand im April 2000 statt, nach einigen Jahren versandeten die Verhandlungen. Ein neuer Start der Verhandlungen erfolgte im Mai 2010, jedoch war 2012 wieder Schluss. Im Oktober 2016 unternahm die EU einen erneuten Anlauf, nachdem in Argentinien wie Brasilien neue, handelsliberale Regierungen an die Macht gekommen waren. (1)


Eine unendliche und intransparente Geschichte

Im Vorfeld der letzten Verhandlungsrunde wurde wie auch bei den beiden Runden zuvor spekuliert, ob sie den entscheidenden Durchbruch bringen würde. Die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström und ihr Landwirtschaftskollege Phil Hogan standen Ende Februar 2018 in den Startlöchern, um nach Asunción und zum politischen Abschluss der Verhandlungen zu fliegen. Doch die weiterhin unterschiedlichen Verhandlungspositionen bei den Zöllen für Autos und deren Teile, bei der Frage der Ursprungsregeln und über die Höhe der Quoten für zollfreie Einfuhren von Rindfleisch, Zucker und Bio-Ethanol aus den Mercosur-Staaten verhinderten ihren Trip nach Paraguay. Für Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Fraktion Die Grünen/EFA im Europaparlament und Mitglied im EU-Umweltausschuss, entwickeln sich die nach Art von Geheimverhandlungen geführten Gespräche über ein Freihandelsabkommen "immer mehr zu einem skandalösen Mysterium. Wir Abgeordnete und die Öffentlichkeit fühlen uns von der EU-Kommission verschaukelt. Anders lässt es sich nicht interpretieren, wenn der Außenminister Paraguays, Eladio Loizaga, in seiner Hauptstadt Asunción vor JournalistInnen darüber plaudert, dass das Abkommen innerhalb von 'zwei bis drei Wochen' unter Dach und Fach kommen werde. In Europa aber weiß niemand offiziell, was genau Inhalt des Pakts sein soll ... Ich fordere die Kommission deshalb ultimativ auf, endlich den Stand der Verhandlungen offenzulegen." (2)

In der Tat verrät die 'Transparenz in Aktion'-Internetseite der Generalkommission Handel wenig. Während über das parallel geplante EU-Mexiko-Abkommen seit November 2016 35 Verhandlungspositionen vorliegen, sind es im Falle von EU-Mercosur gerade mal 10.


Leaks offenbaren den geplanten Abbau von Standards

Es bedurfte also zweier Leaks, um mehr Transparenz in die Verhandlungen zu bringen und vor allem auch die Verhandlungspositionen der Mercosur-Länder zu verdeutlichen. Im Dezember 2017 veröffentlichte Greenpeace Niederlande 7 Dokumente, (3) im Januar 2018 wurden dann dank der Internetplattform bilaterals.org weitere und neuere Dokumente publik. (4) Analysiert wurden vor allem die Kapitel zu den Schutzstandards (SPS) und zu Handel und Nachhaltiger Entwicklung. (5)

Viele Standards für den Schutz der VerbraucherInnen liegen in südamerikanischen Staaten niedriger als in der EU. Die Regeln für den Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht etwa sind in Brasilien weit weniger strikt als in Europa. Während andere Wachstumsförderer wie die Substanz Ractopamin in der EU und in vielen Ländern verboten sind, dürfen TierzüchterInnen sie in Argentinien und Brasilien einsetzen. In Brasilien zeigte vor allem im letzten Jahr ein bis in die Regierungsspitze reichender Skandal um korrupte KontrolleurInnen die Schwächen der dortigen Kontrollen: Damals kam verdorbenes Rinderfleisch und gestrecktes Hühnerfleisch in den Handel und teilweise auch in den Export. Die Ausweitung der Weideflächen für Rinder bedroht zudem schützenswerte Wälder und ist für das Klima Gift. Statt das Prüfsystem zu verbessern, um den Export verdorbenen Fleischs zu verhindern, schlägt die EU-Kommission laut der geleakten Dokumente eine zwischenstaatliche Schnellkontrolle vor. Einen Verweis auf das in der EU geltende Vorsorgeprinzip findet sich im SPS-Kapitel nicht. Aus dem Januar-Leak ist zudem ersichtlich, dass im Rahmen des Abkommens Arbeitsgruppen zu Tierschutz, Biotechnologie, Antibiotikaresistenz und Lebensmittelsicherheit eingesetzt werden sollen. In der Arbeitsgruppe zu Biotechnologie soll u. a. die "asynchrone Zulassung" von genetisch veränderten Organismen (GVO) wie auch die Frage der zulässigen Verunreinigung von Lebensmitteln mit GVOs auf der Tagungsordnung stehen. Beides sind äußert sensible Themen, und der bisherige Text lässt offen, ob auch VertreterInnen der Agrarlobby Zugang zu den Arbeitsgruppen haben. Doch die EU ist nicht Opfer, sondern auch Täterin. In ihrer Verhandlungsposition von März 2017 übernimmt sie die Forderung der Automobilindustrie, dass die in der EU geltenden Standards automatisch von der anderen Seite ohne weitere Überprüfung angenommen werden sollen.

Die gegenwärtige brasilianische Regierung unter Michel Temer tut nicht nur alles, um die Leistungen ihrer VorgängerInnen zu eliminieren, sondern auch, um die Interessen der das Parlament beherrschenden Agrarlobby zu unterstützen. Der Agrarminister Blairo Maggi ist zugleich einer der größten Agrarindustriellen der Welt und als "Soja-Baron" berüchtigt. Menschenrechtsverletzungen sind alltäglich, Landvertreibungen und Morde an KritikerInnen der Regierungen bleiben ungesühnt, Sklavenarbeit wurde wieder als rechtlich zulässig erklärt. In der Reaktion auf den Greenpeace-Leak gestand der Präsident der brasilianischen Agentur für Export- und Investitionsförderung (Apex), Roberto Jaguaribe, "das Problem der Sklavenarbeit und der erniedrigenden Arbeit" ein. Allerdings ersparte er sich den Seitenhieb auf Europa nicht: "Aber wir haben keine illegalen Einwanderer, die in Silos stecken, um Äpfel zu pflücken, wie in der Normandie".


Maßnahmen zum Waldschutz werden vertagt

Zum Thema Waldschutz arbeitende Nichtregierungsorganisationen (NGOs) warten seit 5 Jahren auf eine von der EU in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie zu politischen Optionen für den Schutz vor Entwaldung. Nach Informationen der NGO Fern ist in den letzten Wochen bekannt geworden, dass die Kommission die Maßnahmen wieder verschieben oder erst gar nichts vorschlagen will, um die derzeitigen Mercosur-Verhandlungen nicht zu gefährden. Seit Juni letzten Jahres fordern Fern, Greenpeace und weitere NGOs einen ehrgeizigen breiten EU-Aktionsplan zum Stopp der Entwaldung ein.


Ein Deal mit fatalen Folgen

Der Grüne Europaabgeordnete und Brasilienkenner Martin Häusling bewertet den Verhandlungsstand wie folgt: "[W]as hier ausgedealt werden soll, wird nicht ohne fatale Folgen für Teile der europäischen Landwirtschaft und der Natur in Südamerika bleiben. Wenn wahr ist, dass mindestens 99.000 Tonnen Rindfleisch zusätzlich zollfrei auf den Markt kommen sollen, dass die EU möglicherweise sogar 130.000 Tonnen duldet und die Südamerikaner sogar 200.000 Tonnen pro Jahr fordern, dann steht hierzulande die Weidehaltung von Rindern vor dem Aus, während in Südamerika weiterer Urwald gerodet wird. Ein Abkommen mit solchen Inhalten tritt die Natur mit Füßen, missachtet die Rechte der Bauern hierzulande, aber auch die der indigenen, unterdrückten Landwirte in Südamerika. Für Europa bedeutet das Abkommen eine Flutung der Märkte mit Gentech-Soja, mit Agro-Sprit sowie mit Fleisch zweifelhafter Provenienz und zweifelhafter Qualität, da mit Hormonen belastet oder sogar verdorben. Damit aber werden die bäuerliche Landwirtschaft dies- und jenseits des Atlantiks geopfert, damit deutsche und französische Auto-Konzerne in Südamerika Geschäfte machen können." EU-Mercosur reiht sich ein in eine Linie von Handelsabkommen, bei denen zum "Wohle" europäischer Exporte VerbraucherInnen-, Umwelt- und Klimaschutz wie auch Kernarbeitsnormen geopfert werden. Auch in diesem Falle sollte die Antwort der Zivilgesellschaft sein: "Stoppt EU-Mercosur!"


Anmerkungen:

(1) Miserior (2017): Das EU-Mercosur-Abkommen auf dem Prüfstand.
https://www.misereor.de/fileadmin/user_upload/Studie_MERCOSUR_Misereor.pdf.

(2) http://martin-haeusling.eu/presse-medien/ressemitteilungen/1860-mercosur-verhandlungen-schluss-mit-der-geheimniskraemerei-im-deal-autos-gegen-rindfleisch.html.

(3) https://trade-leaks.org/2017/12/06/greenpeace-netherlands-leaks-eu-mercosur-trade-papers/.

(4) https://www.bilaterals.org/?-eu-ftas-&lang=en.

(5) https://www.bilaterals.org/?research-on-the-impacts-of-the-eu&lang=en,
https://www.bilaterals.org/IMG/pdf/eu-mercosur_-_an_assessment_of_the_trade_and_sustainable_development_chapter.pdf,
http://bilaterals.org/IMG/pdf/research-sps-and-tsd_chapters-jan-2018. pdf.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 1/2018, Seite 39-40
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2018

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