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AUSSENHANDEL/316: Freihandelsabkommen mit der EU soll Vietnams Weltwirtschaftsposition stärken (Gerhard Feldbauer)


Mit einem Freihandelsabkommen mit der EU will das sozialistische Vietnam seine Positionen in der internationalen kapitalistischen Weltwirtschaft sichern und ausbauen

von Gerhard Feldbauer, 3. Juli 2019


Die Sozialistische Republik Vietnam (SRV) hat nach über neunjährigen Verhandlungen mit der EU ein Freihandelsabkommen (EU-Vietnam Free Trade Agreement, EVTFA-Abkommen) geschlossen, das vorsieht, in den kommenden Jahren 99 Prozent der Zölle abzubauen. Bestandteil des Vertrages ist ein Investitionsschutzabkommen und eine Zusage zur Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens. In einer Zeit, in der US-Präsident Donald Trump einen risikoreichen internationalen Handelskrieg mit drastischen Einfuhrzöllen entfessele, sei das Abkommen als ein wichtiges Signal "gegen Protektionismus" von internationaler Bedeutung, so der Tenor internationaler Pressestimmen. Die SRV sichert damit ihre Positionen in der internationalen kapitalistischen Weltwirtschaft, will sich neue Auslandsinvestitionen erschließen und Zugang zu neuen Absatzmärkten gewinnen. Bereits in den vergangenen Jahren wurde ein Dutzend ähnliche Abkommen geschlossen, darunter die sogenannten CPTPP (Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership) bzw. TPP11 (Trans-Pazifische Partnerschaft).

Nach einem Bericht des staatlichen vietnamesischen Fernsehens wurde das Abkommen am Sonntag in Hanoi in Anwesenheit des vietnamesischen Ministerpräsidenten Nguyen Xuan Phuc durch Außenhandelsminister Tran Tuan Anh, EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström und dem Vorsitzenden des EU-Handelsministerrates Stefan-Radu Oprea unterzeichnet. Malmström sagte anschließend, es sei "das ambitionierteste Freihandelsabkommen, das die EU je mit einem Entwicklungsland geschlossen hat", ein "wahrer Meilenstein" in der Entwicklung der Beziehungen. Besonders befriedigt zeigte sich die EU-Kommissarin von dem Investitionsschutzabkommen, das "ein hohes Maß an Investitionsschutz durch eine klare Definition von Standards gewährleiste." Einbezogen ist der Umgang mit geistigem Eigentum auf der Grundlage von Standards der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Der Direktor der Weltbank Ousmane Dione in Vietnam würdigte im Interview mit Vietnam News Agency (VNA), Vietnam bringe in die Zusammenarbeit mit der EU ein "breites Potenzial" ein. Das Abkommen muss noch vom EU-Parlament und der Nationalversammlung der SRV verabschiedet werden. Danach werden etwa zwei Drittel der Waren von Zöllen befreit. Für einige Artikel ist jedoch eine Frist von zehn Jahren vorgesehen. Für den Import einer Reihe landwirtschaftlicher Erzeugnisse hat Vietnam zum Schutz seiner Erzeuger Quoten durchgesetzt.

Die Wirtschaft Vietnams weist ein rasantes Wachstum auf. 2018 stieg das BIP um 7,08 Prozent. EU-Experten erwarten langfristig ein Wachsen auf 15 Prozent. Das Land ist ein wichtiger Produktionstandort von Elektrogeräten und Textilien für den europäischen Markt. Umgekehrt ist es mit 95 Millionen Einwohnern ein begehrter Absatzmarkt für europäische Firmen. Nach Singapur ist Vietnam der zweitgrößte Handelspartner der EU im Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN).

2018 exportierte die SRV Waren und Dienstleistungen im Wert von über 35 Mrd. Euro in EU-Länder, darunter neben Kleidung vor allem Mobiltelefone und Ersatzteile. Die EU-Exporte betrugen über zehn Mrd. Euro. Importe aus der BRD beliefen sich auf etwa zehn Mrd. Euro, Exporte auf vier Mrd. Euro. Während die EU weltweit größter Investor ist, kam sie (Stand 2016) in Vietnam nur auf acht Mrd. Euro.

Die Weichen für den Sprung auf den internationalen Kapitalmarkt wurden in Vietnam mit dem "Doi-Moi"-Kurs (Erneuerung), der stärkeren Einbeziehung privatkapitalistischer Betriebe in die sozialistische Entwicklung, gestellt. Der war nicht erst nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten Osteuropas 1989/90 beschlossen worden, sondern bereits vom VI. Parteitag der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV) 1986. Nach dem Sieg über die USA 1975 und der folgenden Vereinigung mit dem befreiten kapitalistischen Süden stand die SRV vor der Aufgabe, das Bankensystem zu dezentralisieren, private Geldhäuser zuzulassen, eine marktorientierte Finanzpolitik einzuschlagen und den Weg des Beitritts zur Welthandelsorganisation WTO zu beschreiten. Die strategisch weitblickende Entscheidung für diesen Prozess, der unter Führung der KPV verfolgt wurde und wird, bewahrte die SRV 1989/90 nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Wegfall der Zusammenarbeit mit dem RGW davor, dem Druck ihrer Gegner nachzugeben und den Weg der osteuropäischen "kommunistischen und Arbeiterparteien" zu gehen und den Pfad der Sozialdemokratie einzuschlagen.

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2019

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