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STELLUNGNAHME/001: bdvb fordert Rückkehr zum Geist von Maastricht (idw)


bdvb - Bundesverband Deutscher Volks- und Betriebswirte e.V. - 25.07.2011

bdvb fordert Rückkehr zum Geist von Maastricht

Stellungnahme zum Krisengipfel des Europäischen Rates am 21. Juli 2011


Mit den Rettungspaketen für Griechenland, Irland und Portugal wurde nach Auffassung des bdvb die Architektur der Europäischen Währungsunion aus den Angeln gehoben. Die Folgen sind unübersehbar. Finanzkrise reiht sich an Finanzkrise, Krisengipfel an Krisengipfel. Die bisherige Strategie, zu den Schulden der bereits überschuldeten Mitgliedstaaten neue Schulden hinzuzufügen, ist gescheitert.

Auf dem jüngsten EU-Gipfel scheint sich die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass Feuer sich nicht mit Benzin bekämpfen lässt. Diese Einsicht wäre grundsätzlich zu begrüßen, wenn damit eines der konstituierenden Prinzipien einer liberalen Wirtschaftsordnung, die Eigenverantwortung und Haftung für eigenes Handeln, wieder Beachtung finden würde. Dies scheint mit dem beschlossenen Teilschuldenerlass und Forderungsverzicht bei griechischen Staatsanleihen im Rahmen eines zweiten gigantischen Rettungspaktes für Griechenland wenigstens für den privaten Investor, also im Wesentlichen Banken und Versicherungen, zu gelten. Nur wenn das Kapitalrisiko wieder virulent wird, kann sich das Anlageverhalten der privaten Investoren in entsprechenden Renditeaufschlägen niederschlagen mit entsprechender Disziplinierung der Emittentenländer.

Erfolgt der Kapitalschnitt durch Umtausch ausstehender Staatsanleihen gegen neue Anleihen mit einem entsprechenden Abschlag, aber mit einer Rückzahlungsgarantie durch die übrigen Euroländer, wäre Griechenland von seiner Eigenverantwortung und seiner Haftung für seine eigenen Schulden befreit. Das Kapitalrisiko wäre gegenstandslos.

Der bdvb bedauert, dass die Staats- und Regierungschefs bei der Rückkehr zum Geist von Maastricht auf halbem Wege stehen geblieben sind. Ob die wirtschaftspolitischen Auflagen des Ministerrats und die Sanktionsmechanismen der Finanzmärkte eine Fehlsteuerung in der Finanzpolitik angesichts des massiven innenpolitischen Widerstands der griechischen Bevölkerung und der Befreiung von der Haftung für die Staatsschulden wirksam verhindern, erscheint eher zweifelhaft. Zudem stellt die Garantie für die Rückzahlung der umgetauschten Anleihen durch die übrigen Euroländer erfahrungsgemäß geradezu eine Einladung an spekulative Akteure auf den Finanzmärkten dar, diese Garantie zu testen, um so mehr als der Euro-Krisenfonds EFSF nunmehr auch Anleihen am Sekundärmarkt kaufen kann - von der Bundesregierung bisher strikt abgelehnt.

Der Kapitalschnitt erfordert naturgemäß eine Rekapitalisierung der griechischen Banken als größte Gläubiger, um einen Zusammenbruch des gesamten Bankensektors in Griechenland mit Dominoeffekten für den europäischen Bankensektor zu verhindern. Der bdvb sieht dabei aber keine Notwendigkeit, auch die Tochtergesellschaften ausländischer Mutterunternehmen auf Kosten der Steuerzahler zu rekapitalisieren. Als Blaupause könnten vielmehr die Finanzhilfen des IWF an Rumänien und die Beitrittsländer auf dem Balkan dienen, die als Bedingung ausdrücklich ein unverändertes Engagement in den Schuldnerländern der Tochtergesellschaft vorsehen.

Hinter der Überschuldung der Peripherieländer stecken allerdings tiefe strukturelle Probleme. Bundesfinanzminister a.D. Peer Steinbrück fordert mit Recht eine Art "Marshallplan" für die überschuldeten Mitgliedstaaten zur Wiederherstellung ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Hier wäre in erster Linie die Regionalpolitik der EU gefordert, die im aktuellen Finanzrahmen für die Jahre 2007 bis 2013 mehr als jeweils 20 Mrd. Euro für Griechenland und Portugal vorsieht. Allerdings müsste die derzeit noch notwendige Kofinanzierung von 50 % durch die Empfängerstaaten zeitweise suspendiert werden, damit die seit Jahren wegen der Haushaltsprobleme der Schuldenländer blockierten Mittel rasch abfließen können.

Neben der ökonomischen Staatsschuldenkrise spielen für den bdvb soziale und politische Aspekte eine nicht minder wichtige Rolle. Die Steuerzahler in den Gläubigerländern werden kaum bereit sein, für die stabilitätspolitischen Versäumnisse überschuldeter Euroländer und für deren Banken geradezustehen. In den Schuldnerländern selbst lassen Streiks und Massendemonstrationen eine Renaissance von Euroskepsis und Rechtspopulismus befürchten. Euro und europäische Integration laufen Gefahr, zunehmend diskreditiert zu werden. Schließlich ist nicht auszuschließen, dass der Integrationsprozess weiter rückwärts abgespult wird, wie die Einführung von Grenzkontrollen in Dänemark belegt. Dies wäre der GAU nicht nur für die Eurozone, sondern für das gesamte europäische Einigungswerk. Die finanzielle Solidarität in der Euro-Krise hätte dann genau das Gegenteil von dem bewirkt, was beabsichtigt war.


bdvb (www.bdvb.de)

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
bdvb - Bundesverband Deutscher Volks- und Betriebswirte e.V.,
Dr. Arno Bothe, 25.07.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2011