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WÄHRUNG/161: Geldpolitik der EZB und die Inflationsgefahren in der Eurozone (spw)


spw - Ausgabe 5/2012 - Heft 192
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Geldpolitik der EZB und die Inflationsgefahren in der Eurozone

Von Arne Heise



Bei einem Thema, das wissen die Medien, horchen die Deutschen immer auf: Inflation! So auch jetzt wieder, wo die Europäische Zentralbank (EZB) zur Stützung notleidender Regierungen in der Eurozone Staatsschuldverschreibungen aufkauft und somit, so die implizite Konnotation, die Geldmenge ausweitet und damit zwangsläufig die Entwertung des Geldes vorantreibt.

Andererseits erscheint es irgendwie nicht plausibel, dass die Inflation ansteigen sollte, wenn gleichzeitig fast überall in der Eurozone die Binnennachfrage schwächelt und aufgrund hoher (und steigender) Arbeitslosigkeit die Lohnkosten nur mehr wenig steigen. Was also ist von den neuerlichen Inflationswarnungen zu halten?

Bevor wir etwas zu den Bestimmungsgründen der Inflation sagen wollen, soll zunächst einmal gefragt werden, ob es eine 'optimale' Inflationsrate gibt bzw. warum eigentlich eine geringe Inflationsrate besser sein sollte als eine hohe Inflationsrate. Hierzu muss zunächst einmal zwischen erwarteter und nicht-erwarteter (also überraschend auftretender) Inflation unterschieden werden. Solange die Veränderung des Geldwertes (korrekt) von den Wirtschaftsteilnehmern erwartet wird, spielt die absolute Höhe der Inflationsrate keine Rolle - sie kann in die den Geschäften zugrundeliegenden Verträge einfließen, egal ob 1 Prozent Inflation oder 50 Prozent Inflation erwartet werden. Problematisch ist also nur nicht-erwartete (oder inkorrekt erwartete) Inflation, die dazu führt, dass die realen Einkommen der Wirtschaftssubjekte anders ausfallen als erhofft. So kann eine unerwartete und deshalb nicht korrekt in die Verträge aufgenommene Geldentwertung zur Reduktion von realen Rentenzahlungen oder auch Reallöhnen oder realen Zins- und Tilgungszahlungen führen. Prinzipiell bedeutet eine unerwartete Inflation eine Lastenverschiebung von den Schuldnern zu den Gläubigern - da Regierungen zumeist Schuldner sind, wird häufig unterstellt, dass Regierungen gerne Überraschungsinflationen auslösen, um sich real zu entschulden. Letztlich würden derartige unerwartete Geldentwertungen dazu führen, dass Preise teilweise ihre Funktion einbüßten, wirtschaftliche Handlungen exakt zu steuern - und je höher die unerwartete Inflation, desto höher die volkswirtschaftlichen Kosten. Dieser Zusammenhang zwischen der Höhe der Inflationsrate und den volkswirtschaftIichen Kosten wird noch dadurch gestützt, dass es eine empirische Korrelation zwischen Inflationshöhe und Inflationsvolatilität gibt: Je höher also die Inflationsrate, desto größer auch ihre Schwankungsbreite und die Gefahr von Erwartungsfehlern! Andererseits mag auch eine Inflationsrate von etwa 0 Prozent mit besonderen Kosten verbunden sein, wenn in Rechnung gestellt wird, dass es psychologische Hemmnisse gegen die Senkung von Inflationsdeterminanten (z.B. Nominallöhne, dazu gleich mehr) gibt. Deshalb geht die Mehrheit der Ökonomen mittlerweile von einem nicht-lineare Zusammenhang zwischen Inflationshöhe und volkswirtschaftlichen Kosten aus: Sowohl hohe Inflationsraten wie auch ganz geringe Inflationsraten sind mit hohen Kosten verbunden, mittlere Inflationsraten von 2 Prozent bis 6 Prozent sind dann mit den geringsten volkswirtschaftlichen Kosten verbunden und sollten deshalb als 'optimal' angesehen werden. Vor diesem Hintergrund dürfte die Zielinflationsrate der EZB, die bei 0 Prozent bis 2 Prozent liegt, eher zu niedrig sein.

Inflation hat entweder angebots- oder nachfrageseitige Ursachen. Entweder steigt die Inflation, weil die kaufkräftige Nachfrage das Warenangebot auf breiter Linie (also nicht nur einzelner Warengruppen) übersteigt. Dies kann nur dadurch geschehen, dass die Zentralbank eine Geldschöpfung erlaubt, der keine Produktion gegenübersteht. Wenn andererseits die nominellen Produktionskosten steigen und die Zentralbank eine Anpassung der Geldschöpfung erlaubt, dann steigt ebenfalls die Geldentwertung. Breite inflationäre Effekte haben allerdings nur solche Kostensteigerungen, die quasi in alle Produktionen einfließen: Energiekosten, Lohnkosten und Steuern wie Mehrwertsteuererhöhungen.

TABELLE: Ausgewählte Indikatoren in der Eurozone                




Inflations-
rate in %

Nominallohnent-
wicklung in %

Endverbrauch
Konsum in %

Arbeitslosen-
quote in %

M1


M3

2008  
2009  
2010  
2011  
2012  
12/2011
05/2012
08/2012

2,5    
1,2    
1,1    
1,6    
1,8    
2,7    
2,4    
2,6    

3,0      
1,9      
2,0      
2,1      
2,0      




0,0    
-1,6    
1,0    
0,1    
-0,3    




7,2    
9,2    
9,6    
9,7    
10,4    




3,4
12,4
4,4
4,4
1,7




7,6 
-0,3 
1,7 
1,1 
1,5 
2,9*
3,1**


Anmerkungen zu Tabelle "Ausgewählte Indikatoren in der Eurozone":
* 1. Quartal 2012; ** 2. Quartal 2012.
Quelle: European Economy-Statistical Annex 2012; ECB.


Tatsächlich sind in den letzten Monaten vor allem die Energiekosten teilweise drastisch gestiegen - sollte dies zu entsprechend höheren Lohnforderungen und, vor allem, -abschlüssen führen, wäre ein gewisses Inflationspotential unbestreitbar. Die gegenwärtige Lohnentwicklung (s. Tabelle) lässt eine solche Gefahr jedoch nicht erkennen, und auch die Ölproduzenten scheinen kein Interesse an einem neuerlichen 'Ölpreisschock' zu haben. Bei steigender Arbeitslosigkeit in der Eurozone besteht eher die Gefahr einer Deflation, die insgesamt mit noch fataleren Folgen für die Realwirtschaft verbunden wäre, weil die implizite Lastenumverteilung von Gläubigern zu Schuldnern letztlich auch die Gläubiger schädigt, wenn die Schuldner die Lasten nicht mehr tragen können.

Bleibt also allenfalls eine nachfrageseitige Inflationsgefahr: Zinsen auf niedrigstem Niveau könnten das Ausgabeverhalten der Wirtschaftsakteure derart beflügeln, dass ein breiter Nachfrageüberschuss befürchtet werden könnte. Tatsächlich wird die Niedrigzinspolitik mit Blick auf eine gewünschte Konjunkturstimulierung betrieben - allein die Daten zeigen uns, dass sich die Konsumenten (s. Tabelle: Endverbrauch Konsum) in der Eurozone angesichts der allgemeinen Sparprogramme und der unsicheren Konjunktursituation weiterhin zurückhalten. Und ohne konsumtive Endnachfrage bleibt natürlich auch die Investitionstätigkeit gedrückt.

Bleibt schließlich noch danach zu fragen, ob denn die Ausweitung der Geldmenge durch den Ankauf von Staatsschuldverschreibungen durch die EZB nicht zu einer Aufblähung der Geldmenge führen kann, die dann im Verhältnis zur Warenmenge zumindest einen monetären Überschuss mit folgender Inflation impliziert? Immerhin ist die Inflationsrate in den letzten Monaten leicht angestiegen und auch die Geldmengenaggregate M1 (Zentralbankgeld und Sichteinlagen) und M3 (Zentralbankgeld und Sicht-, Termin- und Spareinlagen) zeigen einen leicht ansteigenden Trend in 2012 (vgl. Tabelle). Allerdings handelt es sich hierbei um ziemlich normale Ausschläge in monetären Aggregaten, deren Entwicklung aufgrund der gegenwärtig recht nervösen Nachfrage nach Geld und geldnahen Aktiva schwer zu prognostizieren ist. Wenn der EZB-Staatsschuldverschreibungsankauf - als Ursache der leichten Geldmengenerhöhung - denn tatsächlich zu einer Senkung der Zinslasten der Eurozone-Regierungen führt und damit die Wachstumskräfte in der Eurozone stärkt, dann besteht keinerlei monetäres Inflationspotential. Sollten die Wachstumskräfte aber schwach bleiben, so hat die EZB mit ihrem geldpolitischen Instrumentarium alle Möglichkeiten, überschüssige Liquidität abzuschöpfen.


Dr. Arne Heise ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg.

*

Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 5/2012, Heft 192, Seite 40-42
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2013