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BERICHT/027: Wenn Sicherheit Angst macht (research*eu)


research*eu - Nr. 60, Juni 2009
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Wenn Sicherheit Angst macht

Von Julie Van Rassom


Das Thema Sicherheit steht auf allen politischen Aufgabenlisten ganz weit oben. Wie steht es dabei aber um die Wahrung der persönlichen Freiheiten, die für das Funktionieren unserer Demokratien entscheidend sind? Im Bestreben ihre Bevölkerung zu beruhigen - und einen technologischen Wettbewerbsvorteil herauszuholen - hat die Europäische Union ihre Vorgehensweise noch nicht klar festgelegt. Wie so oft schreitet die technische Entwicklung voran, aber die Überlegungen über ihre potenziellen Missbrauchsmöglichkeiten hinken hinterher. Dieses Defizit versucht die Europäische Kommission jetzt zu beseitigen, indem sie sich insbesondere auf den Beitrag der Geisteswissenschaften stützt.


Seit dem Angriff auf die Türme des World Trade Centers am 11. September 2001 ist die Welt besessen von der Frage nach Sicherheit. Dieses Attentat, auf das wenig später die Anschläge in London und Madrid folgten, trug dazu bei, dass die Angst in der Bevölkerung wuchs. Und vielleicht liegt es am irrationalen Charakter dieses Gefühls, dass neue Sicherheitsmaßnahmen wie der amerikanische Patriot Act ergriffen wurden, die zahlreichen fundamentalen Grundrechten unserer Demokratien abträglich sind.

Konfrontiert mit dieser diffusen Bedrohung drängten sich der Europäischen Kommission technische Lösungen als unverzichtbar zur Wahrung der Sicherheit auf, wobei unter dem Begriff "Sicherheit" die Vorbeugung vor einer großen Anzahl von Risiken verschiedenster Art und Ursprungs (Naturkatastrophen, Terrorismus, Regulierung der illegalen Einwanderung oder auch Sicherheit von Infrastrukturen zur Datenverarbeitung) verstanden wird. "Seit 2001 ging alles sehr schnell. Es gab einen enormen politischen Druck, sowohl international, als auch aus der Bevölkerung heraus, rasch eine Antwort auf die verschiedenen Sicherheitsbedrohungen zu finden. Die Europäische Kommission reagierte zwar mit viel Sachverstand, aber diese Eile trug auch dazu bei, dass die Planung von Sicherheitsforschung undurchsichtig wurde", erklärt J. Peter Burgess, Forscher am Peace Research Institute - PRIO (NO) "Die Palette der Bedrohungen, die von der Kommission für dieses neue Thema gewählt wurden, ist so vielschichtig, dass die Identifizierung der Auswirkungen und ethischen Folgen der verschiedenen betroffenen Technologien extrem aufwändig ist."


Eine Länge Vorsprung in der Technologie

J. Peter Burgess koordiniert derzeit Inex(1), ein Projekt, das aus dem "Sicherheits"-Budget des 7. Rahmenprogramms (RP7) finanziert wird. In dieser Forschungsarbeit sollen die ethischen Auswirkungen der jüngsten Entwicklung bei den Sicherheitsstrategien bestimmt werden, eine Entwicklung, die insbesondere durch eine Annäherung von Verteidigungspolitik und innerer Sicherheit gekennzeichnet ist. "Unser Ziel ist es, den Menschen, den Bürger, wieder in den Mittelpunkt der Sicherheitsüberlegungen zu stellen. Wie so häufig ist die Innovation der Gesetzgebung weit voraus. So kommt es vor, dass neue Sicherheitsvorrichtungen auftauchen, ohne dass die ethischen und rechtlichen Auswirkungen ihrer Einführung ausführlich untersucht wurden", erklärt J. Peter Burgess weiter. "Die Kommission scheint sich dieser Tatsache bewusst zu sein, sodass die zweite Ausschreibung zum Themenbereich "Sicherheit" des RP7 mehr Projekte aus geisteswissenschaftlichen Bereichen zu diesen Themen enthält.

Und auch das Europäische Forum für Sicherheitsforschung und Innovation (ESRIF), das im September 2008 zur Entwicklung der Forschungsstrategie für die Sicherheit Europas im Hinblick auf eine Partnerschaft zwischen privatem und öffentlichem Bereich eingerichtet wurde, umfasst eine Arbeitsgruppe zum Thema Ethik. Trotzdem muss noch viel Forschungsarbeit geleistet werden, um den Einsatz dieser neuen Technologien streng zu reglementieren. Geisteswissenschaften und Gesetzgebung befinden sich eindeutig in einer Aufholphase, was die Sicherheitslösungen angeht.

Christiane Bernard, verantwortlich für ethische Aspekte im Referat "Sicherheitsforschung und Entwicklung" der Generaldirektion Unternehmen und Industrie der Europäischen Kommission, pflichtet dem bei, möchte aber auch beruhigen." Es ist richtig, dass die Ethik den technologischen Entwicklungen hinterherhinkt. Aber die Europäische Kommission achtet besonders darauf, dass die Projekte zum Thema "Sicherheit" unter Berücksichtigung der individuellen Rechte und Freiheiten entwickelt werden. Die Einhaltung ethischer Richtlinien wird zunächst im Vorhinein bei der Auswahl der Projekte (2) geprüft, dann nach der Hälfte der Laufzeit, bei der Prüfung des Halbzeitberichts und schließlich am Ende, bei der Beurteilung der Forschungsergebnisse. In aller Regel achtet die Europäische Kommission darauf, dass bei den sensibelsten Projekten grundsätzlich ein Ethikkomitee eingerichtet wird, damit die Forscher Technologien unter Achtung des Rechts auf persönliche Freiheit entwickeln können.


Den Rückstand aufholen ...

Die ethischen Probleme spitzen sich besonders dann zu, wenn man sich mit den Überwachungstechnologien befasst. Kameras mit Programmen zur Gesichtserkennung, Informatikeinrichtungen zum Abfangen von Telefongesprächen und E-Mails, Datenbanken, Radaranlagen, die Mauern durchdringen - und wo bleibt die Achtung der Privatsphäre? Die Forscher von Prise(3), einem der wenigen Projekte aus den Geisteswissenschaften im Rahmen der "Vorbereitenden Maßnahme zur Sicherheitsforschung", die dem Start der Sicherheitsthematik im RP7 vorausging, arbeiteten eine Methodik aus, die das Gleichgewicht zwischen den Sicherheitslösungen und diesem Grundrecht während der gesamten Entwicklung garantieren soll. "Es liegt im Interesse der Industriezweige, die sich mit Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet befassen, das Recht auf persönliche Freiheit zu achten, um sich der Unterstützung durch die Zivilgesellschaft zu versichern. Andernfalls laufen diese Technologien Gefahr, dass sie niemals umgesetzt werden, was eine eindeutige Gewinneinbuße bedeutet", unterstreicht Walter Peissl, stellvertretender Direktor vom Institute of Technology Assessment (AT), das für die Koordination von Prise zuständig ist.

Insbesondere wurde im Rahmen des Projekts eine Befragung durchgeführt, um mehr über die Grenzen zu erfahren, die die Bürger den Sicherheitstechnologien setzen. Die Teilnehmer waren sich weitgehend einig, dass die Terrorismusgefahr keinesfalls eine Einschränkung des Rechts auf Privatsphäre rechtfertigt und dass Vorrichtungen, die einen Eingriff in die physische Intimsphäre ermöglichen, nicht geduldet werden dürfen. Ebenso wurde die Gefahr der Verwendung von Sicherheitstechnologien zu kriminellen Zwecken oder zu Zwecken, die die Grundrechte missachten, unterstrichen und die Verwendung von Technologien oder von privaten Daten zu anderen Zwecken als denen, für die sie eingerichtet bzw. gesammelt wurden, als inakzeptabel erachtet. Grundsätzlich sprachen sich die Befragten dafür aus, dass die Verwendung von Sicherheitsvorrichtungen streng durch richterliche Gewalt reguliert werden sollte.


... bevor es zu spät ist?

"Die Befragung enthält die Meinung von 160 Personen, die zu den Fragen der Sicherheitsentwicklung in Europa gut informiert wurden. Sie ist keinesfalls repräsentativ für die Gesamtheit der europäischen Bürger", erklärt Walter Peissl. "Aber sie bietet einen aussagekräftigen Aufschluss über die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Fragen der Sicherheit." Diese Ergebnisse wurden durch eine Studie zur Gesetzgebung im Bereich Achtung der Privatsphäre und weiterer Grundrechte, die durch Überwachungstechnologien gefährdet werden könnten, ergänzt und ermöglichten es den Forschern, zwei Analyseraster zu erarbeiten, eines für die Verantwortlichen für Vorschläge von Forschungsvorhaben und eines für die Gutachter der Kommission. Das Ziel? Überwachungsvorrichtungen zu entwickeln, die den Regelungen zur Wahrung der Rechte des Einzelnen entsprechen.

Alles in allem ein unverzichtbares Werkzeug, wenn man die Interessen der Bürger im Zentrum der Entwicklung neuer Sicherheitslösungen behalten will. Die Methodik von Prise wurde allerdings bei der Umsetzung des Sicherheitsportfolios des RP7 nicht eingesetzt. "Das ist normal", erklärt Christiane Bernard, "die Ergebnisse dieses Projekts wurden eben erst eingereicht und müssen noch von der Europäischen Kommission bestätigt werden."

In der Zwischenzeit scheint sich die Kluft zwischen Sicherheitstechnologie und Grundrechten unerbittlich zu vertiefen. Die von den Teilnehmern an der Prise-Befragung als Grenze bezeichnete Intimsphäre, die von den Sicherheitstechnologien nicht überschritten werden darf, hinderte einige Flughäfen wie Luton (London) und Schiphol (Amsterdam) nicht daran, Körperscanner zu installieren, mit denen man durch die Kleidung der Passagiere hindurch sieht.


Anmerkungen

(1) Converging and conflicting ethical values in the internal/external security in continuum in Europe.

(2) Siehe "Das Ende des zerstreuten Professors", Seite 30.

(3) Privacy enhancing shaping of security research and technology - A participatory approach to develop acceptable and accepted principles for European Security Industries and Policies.


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Quelle:
research*eu - Nr. 60, Juni 2009, Seite 14-15
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2009