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MELDUNG/060: Zufallsfund - Glaskelch erzählt bewegte Geschichte (Stadt Witten)


Stadt Witten - Pressemitteilung 09.11.2010

Zufallsfund: Glaskelch erzählt bewegte Geschichte

Trinkgefäß überstand zwei Weltkriege - sein Spender wurde in Treblinka ermordet


Witten. Vor wenigen Tagen entdeckte die Leiterin des Stadtarchivs Witten in einem Wittener Antiquitätengeschäft einen kulturhistorisch bedeutsamen Fund: einen Glaskelch in Stiefelform mit einer Stiftungsinschrift. Aus der Beschriftung geht hervor, dass der jüdische Kaufmann Louis Löwenthal das Trinkgefäß dem Fuhrmannsverein Langendreer anlässlich seiner Fahnenweihe 1914 gespendet hatte. "Die Symbolik des Bierstiefels ist keine untypische für das Gewerbe der Fuhrleute, denn Bier und Wein gehörten mit zu den ersten Transportgütern," meint Dr. Martina Kliner-Fruck. Wesentlich an diesem Fund sei, dass das gläserne Objekt zwei Weltkriege und auch die so genannte Reichskristallnacht durch behutsames Aufbewahren überlebt habe, der Schenkungsgeber jedoch im Vernichtungslager Treblinka ermordet worden sei.

Nach Recherchen der Stadtarchive Witten, Bochum und Dortmund kam Louis Löwenthal am 14. September 1863 als Sohn des Handelsmann Salomon Löwenthal und seiner Frau Jettchen in Lödingsen, einem kleinen Ort im heutigen Niedersachsen, zur Welt. Er war seit mindestens 1897 mit einem Geschäft für Haus- und Küchengeräte, Leder- und Spielwaren in Langendreer ansässig. Unter dem nationalsozialistischen Verfolgungsdruck gab Löwenthal sein späteres Handelswaren- und Porzellangeschäft auf und meldete sich mit seiner Frau Johanna nach Witten und 1939 nach Dortmund ab. Von dort wurden die Eheleute am 29. Juli 1942 in das Ghetto Theresienstadt und zwei Monate später, am 23. September 1942, in das SS-Vernichtungslager Treblinka deportiert.

Der gebürtige Wittener Udo Wichert erfuhr zufällig von dem Fund, den die Leiterin des Stadtarchivs Witten gemacht hatte, und der nicht zum klassischen Archivgut zählt. Damit der Glaskelch mit seiner besonderen Geschichte in die Bestände des Stadtarchivs übernommen werden kann, übernahm er spontan den Ankauf, mit dem er ein Zeichen setzen will: "Das Stadtarchiv hat auch die Aufgabe, an das Schicksal der ermordeten Juden in Witten zu erinnern. Diese Erinnerung gilt es wach zu halten, auch mit Exponaten, die das Wittener Stadtarchiv erwerben kann. In Zeiten knapper Kassen der öffentlichen Haushalte kann bürgerschaftliches Engagement helfen, Lücken zu schließen. Hierzu will meine Spende ein öffentliches Signal und Beispiel zur Nachahmung setzen."

"Archive sind auch schulische Lernorte," erklärt Martina Kliner-Fruck. "Die Schenkung kann besonders für Schulklassen, die regelmäßig zu Themen wie Ausgrenzung, Integration und zur Judenverfolgung im Stadtarchiv arbeiten, anschaulich genutzt werden. Wir entleihen das Glas, das mehr ist als ein Erinnerungsstück, auch gern an die Stadtarchive Bochum und Dortmund."

Die 1914 festlich eingeweihte Fahne des Fuhrmannsvereins, so konnte inzwischen herausgefunden werden, wird in den Heimatstuben Langendreer aufbewahrt.


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Quelle:
Pressemitteilung von Dienstag, 9. November 2010
Stadt Witten
Postfach 22 80
58449 Witten
Internet: http://www.witten.de
Email: presse@witten.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2010