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MELDUNG/318: Literaturhinweis - Als Europa sich von den Arabern abwandte (idw)


Julius-Maximilians-Universität Würzburg - 16.01.2017

Als Europa sich von den Arabern abwandte


In der Renaissance begannen die Europäer, die arabischen Wurzeln ihrer Kultur zu verdrängen: Damit befasst sich das neue Buch des Würzburger Philosophie-Professors Dag Nikolaus Hasse.

In der Epoche der Renaissance, dem 15. und 16. Jahrhundert, kam es in Kunst und Kultur zu einer verstärkten Hinwendung zur griechischen und römischen Antike. Gleichzeitig markiert die Renaissance auch einen Wendepunkt in den europäisch-arabischen Beziehungen. Das zeigt Professor Dag Nikolaus Hasse von der Universität Würzburg in seinem neuen Buch auf.

Oft gehe die Forschung davon aus, dass sich die Menschen der Renaissance nur wenig für die Wissenschaft und Philosophie der Araber interessierten. Doch Hasse weist in seinem englischsprachigen Buch nach, dass die Dinge anders liegen.


Boomendes Interesse an arabischen Werken

Auf der einen Seite erreichten arabische Traditionen wie Pharmakologie, Astrologie oder Intellekttheorie in der Renaissance den Höhepunkt ihres Einflusses. So gab es in dieser Epoche geradezu einen Boom an lateinischen Neuübersetzungen und Neuausgaben arabischer Werke, zum Beispiel von Avicennas Kanon der Medizin oder von Averroes' Kommentaren zur aristotelischen Logik.

Zudem übernahmen viele Gelehrte der Renaissance arabische Ideen in den Bereichen Medizin, Astrologie und Philosophie. Sie verteidigten diese Ideen auch gegen Kritiker.


Bewusste Verdrängung der arabischen Wurzeln

"Auf der anderen Seite begann man in dieser Zeit damit, die arabischen Wurzeln der europäischen Kultur zu vergessen und sie sogar bewusst zu verdrängen", sagt Hasse. Im Namen eines radikal verstandenen Humanismus wurden arabische Autoren auf den Lehrplänen europäischer Universitäten gezielt durch griechische Autoritäten ersetzt.

Harsche Polemiken begleiteten diesen Prozess. So wurde arabischen Wissenschaftlern zu Unrecht vorgeworfen, sie seien Religionsfeinde, Plagiatoren und Sprachverfälscher. Aber die Polemik war nicht nur ideologisch: Die Humanisten waren Sprachexperten und als solche erstmals in der Lage, in arabischen Wissenschaftstexten Defizite aufzuzeigen. Diese waren durch Übersetzungs- und Überlieferungsfehler entstanden.


Mischung aus ideologischen und wissenschaftlichen Motiven

Der Würzburger Professor zeigt in seinem Buch, wie eine Mischung aus ideologischen und wissenschaftlichen Motiven dazu führte, dass manche arabischen Traditionen in der europäischen Kultur nahezu verschwanden, während andere weiterhin florierten.

Die Intellekttheorie des Averroes beispielsweise wurde zwar als religionsfeindlich und nicht-griechisch angegriffen, fand aber weiterhin klug argumentierende Anhänger. Erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts wurde sie durch rivalisierende philosophische Theorien ersetzt.


Dag Nikolaus Hasse: "Success and Suppression. Arabic Sciences and Philosophy in the Renaissance", Harvard University Press 2016, 688 Seiten, 54 Euro, ISBN 9780674971585.

Informationen über den Buchautor

Dag Nikolaus Hasse ist Professor am Institut für Philosophie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind die arabische Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte, der arabische Einfluss in Europa aus historischer Sicht sowie die europäische Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte des 12. bis 16. Jahrhunderts.

Mit seinen Studien hat Hasse unter anderem gezeigt, wie intensiv und fruchtbar der kulturelle Austausch zwischen Gelehrten und Institutionen aus dem Orient und dem Okzident war. Er verbindet historisch-philologische Forschung mit neuen, selbst entwickelten Analyseverfahren. So identifizierte er mit philologischen und computergestützten Methoden die sprachlichen Eigenheiten einzelner Übersetzer arabischer Texte und rekonstruierte so deren Rolle in den großen Übersetzerschulen und ihren Einfluss auf die Geschichte der europäischen Wissenschaften.

Für die Leistungen, die er auf diesen Gebieten erbracht hat, erhielt Hasse 2016 den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die renommierte Auszeichnung ist mit 2,5 Millionen Euro Forschungsgeldern dotiert.



Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution99

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Robert Emmerich, 16.01.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2017

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