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MEMORIAL/047: Die Paulskirche in Frankfurt/Main (Gerhard Feldbauer)


Die Paulskirche in Frankfurt/Main

Hier wurde das Schicksal der deutschen Revolution von 1848/49 entschieden

von Gerhard Feldbauer, 12. Juni 2012



Frankfurt, die Metropole am Main, ist für den historisch Interessierten immer ein Anziehungspunkt. 794 erstmals als franconofurd erwähnt stieg sie zur karolingischen, später staufischen Pfalz auf. In dem 1264 erstmals erwähnten Rathaus (dem Römer) wurden über Jahrhunderte die deutschen Könige gewählt, seit 1562 auch die Kaiser gekrönt. Schon im Mittelalter war Frankfurt durch seine Messen ein bedeutendes Fernhandelszentrum. Seit 1600 entwickelte sich das Bankenwesen (Rothschild, Bethmann). Die Erhebungen der Zünfte 1355 und 1366, die niedergeschlagen wurden, markierten die beginnenden sozialen Klassenauseinandersetzungen mit der Patrizischen Herrschaft. Erst im 17. Jahrhundert setzen die Zünfte ihre Beteiligung an der Stadtverwaltung durch. Karl Freiherr von Stein begründete hier die Monumenta Germaniae historica. 1815 wurde Frankfurt Freie Stadt und Sitz des Bundestages.


Die Paulskirche - Sitz der Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49

Das wohl historisch bedeutendste Bauwerk der Stadt ist die Paulskirche, die von 1789 bis 1833 anstelle der abgerissenen mittelalterlichen Barfüßerkirche errichtet wurde. Der klassizistische Rundbau des Architekten Johann Friedrich Christian erinnert an einen historisch schicksalhaften Abschnitt der deutschen Geschichte. Am 18. Mai 1848 trat in der Paulskirche die Frankfurter Nationalversammlung, das in den deutschen Nachfolgestaaten des Heiligen Römischen Reiches gewählte Parlament, zusammen. Seine Wahl war Ergebnis und Bestandteil der im März 1848 ausgebrochenen bürgerlichen Revolution in den Staaten des deutschen Bundes.

Paulskirche (Frankfurt), 1848 - Das Bild ist gemeinfrei. - http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Frankfurt_Paulskirche_1848.jpg?uselang=de

Die Frankfurter Paulskirche im Jahr 1848, als sie Tagungsort des Vorparlaments und der Nationalversammlung war; Aquarell von Jean Nicolas Ventadour; Historisches Museum Frankfurt.
Das Bild ist gemeinfrei [1].

In heftigen und kontrovers geführten Debatten erarbeiteten die Abgeordneten der Nationalversammlung eine Reichsverfassung, auch Paulskirchenverfassung genannt. In einem Grundrechtekatalog wurden einige Forderungen der seit 1815 in Opposition zu dem vom Wiener Kongress 1815 errichteten System der Feudalreaktion Metternichs stehenden liberal-nationalen Bewegung des Vormärz verkündet. Zustande kam eine sehr gemäßigte liberale Verfassung, die auf der Grundlage eines Kompromisses mit der herrschenden Feudalklasse die reaktionären Interessen der Großbourgeoisie sichern sollte. Sie enthielt als bescheidenes Ergebnis der vorangegangenen revolutionären Kämpfe des Volkes eine Reihe fortschrittlicher Artikel, sah eine politische Zentralgewalt vor und konnte der Bourgeoisie und ihren Produktivkräften Raum zur Entfaltung, damit aber auch der Arbeiterklasse günstigere Entwicklungsbedingungen verschaffen.


Statt der Republik Bekenntnis zur Monarchie

Das Zurückweichen der Bourgeoisie vor der feudalen Reaktion zeigte sich vor allem im Verzicht auf die Proklamation einer Demokratischen Republik an deren Stelle eine konstitutionelle Monarchie mit einem Erbkaiser verkündet wurde. Trotz ihres Kompromisscharakters zugunsten der Feudalreaktion stieß die Reichsverfassung auf entschiedenen Widerstand. Zwar erkannten 29 kleine und mittlere Staaten sie an, nicht aber Preußen, Sachsen, Bayern und Hannover, die sie kategorisch ablehnten. Preußens König Wilhelm IV. wies die ihm von einer Delegation der Nationalversammlung unterwürfig angetragene Kaiserwürde zurück, da ihr "der Ludergeruch der Revolution" anhafte. Sollte die tausendjährige Krone deutscher Nation "wieder einmal vergeben werden, so bin ich es und meines Gleichen, die sie vergeben werden. Und wehe dem, der sich anmaßt, was ihm nicht zukommt!" Den drohenden Worten folgten nur zu bald blutige Taten. Der radikaldemokratische Flügel der Revolution mit Volks- und Arbeitervereinen an der Spitze forderte daraufhin, die Reichsverfassung mit militärischer Gewalt durchzusetzen.


Günstige nationale und internationale Bedingungen

Zur Durchsetzung dieser Forderungen bestanden im Frühjahr 1849 günstige nationale als auch internationale Bedingungen. Die deutsche Revolution hatte zu dieser Zeit nach den 1848 erlittenen Niederlagen noch einmal eine Erfolgschance. Während bewaffnete Erhebungen in Dresden, Breslau und im Rheinland niedergeschlagen werden konnten, waren sie in der zu Bayern gehörenden Pfalz und in Baden erfolgreich. Fast die gesamte badische Armee und die pfälzischen Soldaten folgten dem Aufstand, der sich auf eine große Mehrheit der Bevölkerung stützte. Zum ersten Mal entstand eine deutsche Revolutionsarmee. Da die Volksmassen in allen mitteldeutschen Staaten noch eindeutig auf die Seite des Aufstandes neigten, bestand die Möglichkeit, den Erfolg über die Landesgrenzen zu tragen.

In Budapest hatte Lajos Kossuth den ungarischen Thron der Habsburger gestürzt und die kaiserlichen Truppen über Waag und Leitha gejagt. In Rom war die Republik ausgerufen und der Papst vertrieben worden. Garibaldis Truppen schlugen sich erfolgreich gegen die französische Interventionsarmee. Sardinien Piemont führte Krieg gegen Österreich. In Paris schlug das Proletariat seine erste Schlacht. Obwohl sich im Juni die günstigen internationalen Ausgangsbedingungen durch die Niederlage der demokratischen Partei in Paris, den Stillstand der Revolution in Ungarn und die italienischen Rückschläge in Rom und Piemont verschlechterten, war die folgende Niederlage - zumindest im dann eintretenden Ausmaß - keineswegs unausweichlich. Um die Revolution voranzutreiben, hätte es vor allem der militärischen Offensive bedurft.

Neue Rheinische Zeitung vom 19. Juni 1848 - Lizensiert unter CC BY-SA 3.0 - http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de

Neue Rheinische Zeitung vom 19. Juni 1848
(Aufgenommen im Volkskunde- und Freilichtmuseum Roscheider Hof)
Urheber: Stefan Kühn, 1. August 2004
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Neue_Rheinische_Zeitung.jpg
Das Bild ist lizensiert unter CC BY-SA 3.0 [2].


Liberale Bourgeoisie lief zur Konterrevolution über

Als am 19. Mai 1849 nach dem Verbot durch die preußische Regierung die letzte Ausgabe der "Neuen Rheinischen Zeitung" erschien, befanden sich Karl Marx und Friedrich Engels bereits auf dem Weg nach Südwestdeutschland, um die Forderungen der revolutionären Demokraten nach Durchsetzung der Reichsverfassung mittels bewaffneter Kräfte entschieden zu vertreten. Am 20. und 21. Mai verhandelten sie mit den demokratischen Abgeordneten der Nationalversammlung und appellierten, dass es für das Parlament nur einen Weg zur Verteidigung der Revolution und der eigenen Existenz geben konnte: die Badisch-Pfälzische Revolutionsarmee nach Frankfurt zu rufen und an die Spitze des bewaffneten Aufstandes zu treten. Sie fanden kein Gehör. Durch Hessen, wo Preußen bereits ein Armeekorps zur Niederschlagung des Aufstandes zusammenzog, setzten Marx und Engels ihre gefährliche Reise fort und führten in Mannheim, Karlsruhe und Ludwigshafen mit demselben Ziel Gespräche mit den Vertretern der kleinbürgerlichen Demokraten. Auch hier ergebnislos, denn diese befanden sich bereits im Schlepptau der liberalen Bourgeoisie, die zur Konterrevolution überlief. Zum "Dank" wurde das Frankfurter "Rumpfparlament" von preußischen Husaren auseinandergejagt, das Mobilar des Sitzungssaales zerschlagen und die Abgeordneten mit Lanzen und Säbeln durch die Straßen gehetzt.


Friedrich Engels in der Revolutionsarmee

Nach den ergebnislosen Verhandlungen mit den Demokraten begab sich Friedrich Engels zur badisch-pfälzischen Revolutionsarmee, während Marx nach Paris reiste, um dort die Situation zu analysieren. Engels lehnte einen Posten in der provisorischen Regierung ebenso wie im Oberkommando der Revolutionsarmee ab und nahm den Vorschlag von Oberst Willich an, Stabschef und zugleich Adjutant seines Freiwilligenkorps, des besten Truppenteils der Revolutionsarmee, zu werden. Die militärischen Kenntnisse, die Engels sich vorausschauend als Einjährig-Freiwilliger in der preußischen Garnison in Berlin angeeignet hatte, kamen nun der revolutionären Sache zugute. Hatte er in der "Neuen Rheinischen Zeitung" sein ausgezeichnetes Vermögen als Militärtheoretiker gezeigt, so stellte er diese Kenntnisse jetzt während des Badisch-Pfälzischen Feldzuges, wie Wilhelm Liebknecht schrieb, glänzend unter Beweis. In mehreren Gefechten und in der Schlacht bei Rastatt stand Engels immer in vorderster Linie und führte dabei auch das Kommando über Abteilungen. In ihren "Memoiren einer Frau aus dem Badisch-Pfälzischen Kriegszug" (Newark 1853, Neuauflage unter dem Titel "Mutterland", München 1982) schrieb die Revolutionsteilnehmerin Franziska Anneke, Engels habe in einem Gefecht bei Rinntal als Kommandeur eines Seitendetachements mehrere Stunden zeitweise im dichtesten Feuer gestanden. "Sein Eifer und sein Mut wurden von seinen Kampfgenossen ungemein lobend hervorgehoben."

Zusammen mit Engels kämpften in der Revolutionsarmee weitere Mitglieder des Bundes der Kommunisten, unter ihnen Wilhelm Liebknecht, Johann Philipp Becker, der die badische Volkswehr kommandierte, Joseph Moll, der als Kanonier der Besançoner Arbeiterkompanie in der Schlacht an der Murg fiel, Fritz Anneke sowie die Setzer und Arbeiter der verbotenen "Neuen Rheinischen Zeitung". "Die entschiedensten Kommunisten waren die couragiertesten Soldaten", hielt Engels fest.

Friedrich Engels, ca. 1868 - Das Bild ist gemeinfrei. - http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Engels_1856.jpg?uselang=de

Friedrich Engels, ca. 1868
Urheber: George Lester, Photograph aus Manchester
Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/Image:Engelss56fe1.jpg
Das Bild ist gemeinfrei [3].


Die Schlacht an der Murg

Nachdem die konterrevolutionäre Bourgeoisie eine Offensive der Revolutionstruppen verhindert hatte, traten diese in mutigen Gefechten der in Baden einfallenden 60.000 Mann starken preußischen Interventionsarmee entgegen. Am 28. und 29. Juni stellten sie sich an der Murg unterhalb der Festung Rastatt mit noch 13.000 Mann 40.000 Preußen zur letzten erbitterten Schlacht. Die Preußen konnten sie erst für sich entscheiden, als sie überraschend über das neutrale Württemberg vorstoßend die Truppen General Mieroslawskis umgingen und dadurch dessen rechten Flügel zerschlugen. Nach der Niederlage zogen sich etwa 7.000 Mann nach Süden zurück. Mit einer Nachhut des Freikorps Willich deckte Engels den Rückzug, der am 12. Juli bei Lottstetten mit dem Übertritt in die Schweiz endete.


In den Gräben von Rastatt gestorben wie die Helden

Die Lage der von 25.000 Preußen belagerten Festung Rastatt, in die sich weitere Abteilungen der Revolutionsarmee zurückgezogen hatten, wurde aussichtslos. Um die Zivilbevölkerung vor dem Artilleriebeschuss zu bewahren, kapitulierte die Festung am 23. Juli. Der preußische Befehlshaber, General Graf von der Groeben, ließ danach den Festungskommandanten Oberst Tiedemann und 27 seiner Offiziere standrechtlich erschießen. Hunderte starben in den Kasematten der Festung ohne medizinische Hilfe an Typhus, unzählige wurden heimlich ermordet. "Sie sind in den Gräben von Rastatt gestorben wie die Helden. Kein einziger hat gebettelt, kein einziger hat gezittert", schrieb Engels in seiner Schrift "Die deutsche Reichsverfassungskampagne".

Tausende fielen im ganzen Land dem Terror der Feudalreaktion zum Opfer, unter ihnen der Bataillonskommandeur Maximilian Dortu aus Potsdam. Er hatte öffentlich den Würger der badischen Revolution, den späteren deutschen Kaiser Wilhelm I., als "Kartätschenprinz" angeprangert. Zehntausende wurden gerichtlich verfolgt, insgesamt 700.000 Teilnehmer an den Erhebungen von 1848/49 in die Emigration getrieben.

Die revolutionären Kämpfer würdigend, schrieb Engels, das deutsche Volk werde "die Füsilladen und die Kasematten von Rastatt nicht vergessen". Eine solche Wertung sucht man allerdings in den Räumen der Paulskirche vergebens.


Verweise:
[1] http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Frankfurt_Paulskirche_1848.jpg?uselang=de
[2] http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de
[3] http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Engels_1856.jpg?uselang=de

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Quelle:
© 2012 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2012